Multiepistemische Sichten (auf Wissenschaft, auf …)

Schon länger befasse ich mich mit unterschiedlichen Sichten auf Wissenschaft und auch damit wie unterschiedlich Wissenschaft in den verschiedenen Wissenschaften verstanden werden kann. Beides wird von mir als wichtigen Teil einer umfassend verstandenen Informationskompetenz und auch Wissenschaft(lichkeit)skompetenz gesehen.

Immer mehr sind mir dabei auch Aspekte der Vielfalt der Wissenschaften wichtig geworden, etwa aus genderspezifischer Sicht (dazu vgl. etwa Iris Mendel: WiderStandPunkte : umkämpftes Wissen, feministische Wissenschaftskritik und kritische Sozialwissenschaften. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2015, zu anderen, hier schon erwähnten Texten von Mendel) oder die Frage nach einem Verständnis von Wissenschaft(en) aus nicht-westlicher Perspektive (vgl. dazu etwa Boaventura de Sousa Santos: Epistemologien des Südens : gegen die Hegemonie des westlichen Denkens. Münster: Unrast, 2018).

All das passt nämlich auch zum Nachdenken über das und zum Weiterentwickeln des „ACRL Framework for Information Literacy for Higher Education“, das anlässlich der deutschen Übersetzung des Frameworks in begleitenden Aufsätzen in der Zeitschrift o-bib auch in Deutschland noch mehr Beachtung erfährt.

So bin ich vor Monaten bzgl. des Frames „Authority is Constructed and Contextual“ auf einen passenden Aufsatz mit dem Titel „Exploring worldviews and authorities : Library instruction in Indigenous Studies using Authority is Constructed and Contextual“ von Michael Dudley (College & Research Libraries News, 81(2), 66, 2020) gestoßen.

Die Thematisierung indigenen Wissens hier sowie das im obigen Aufsatz zitierte Buch mit dem Titel „Reshaping the University : Responsibility, Indigenous Epistemes, and the Logic of the Gift“ (UBC Press, 2007) von Rauna Kuokkanen, einer zwischen Finnland und Kanada wechselnden feministischen Wissenschaftlerin für „Indigenous Studies and Political Science“, haben mich vollends neugierig gemacht:

  1. auf andere Sichten auf die Welt, auf Wissen, auf Wissenschaften, auf …?
  2. auf Möglichkeiten auch im Bibliotheks- und Informationswesen, in den Informationwissenschaften, eine Sicht der Dekolonialisierung sichtbar zu machen?
  3. und vielleicht auch eine Sicht auf Informationskompetenz und Wissenschaft(lichkeit)skompetenz zu entwickeln, in die Sichten aus dem globalen Süden und/oder in die indigene Sichten einfließen könnten?

zu 1)

In ihrem spannenden Buch fragt Rauna Kuokkanen nach Möglichkeiten an Universitäten verstärkt ein auch indigene Sichten umfassendes Denken zu etablieren, sie betont mit Derrida, dass „politics and ethics of the university … implies something more than knowledge, something more than a constative statement.“ (Kuokkanen, 2007, S. 7) Anerkennung von Verantwortung für Kolonialisierung, Ausbeutung und Unterdrückung umfasst auch „Openness to various kinds of knowledge“ (S. 20).

Andere Sichten auf das Lernen, auf Wissen sind vielleicht besser geeignet oder gar notwendig (vgl. dazu etwa Herman, R.D.K. Traditional knowledge in a time of crisis: climate change, culture and communication. Sustain Sci 11, 163–176 (2016). https://doi.org/10.1007/s11625-015-0305-9), um anstehende Veränderungen aufgrund der vorhandenen und sich verstärkenden Krisen, wovon die Klimakrise als ökologisch-soziale für mich die entscheidenste ist, besser oder überhaupt bewältigen zu können.

Gegen Ende ihres Buches schreibt Kuokkanen „…, we can speak of ‚multiepistemic literacy‘ with literacy understood in a broad sense, as an ability not only to read and write but also to listen and hear, to learn, …“ (S. 155) Dieses „Multiepistemische“ ist daher in den Titel des Beitrags gewandert.

Eine Kurzfassung von Kuokkanens Buch ist übrigens als „Indigenous Epistemes“ (A Companion to Critical and Cultural Theory. Ed. I. Szeman, S. Blacker, and J. Sully. Wiley-Blackwell (2017). 313-326) publiziert.

zu 2)

Erste Ansätze zum Thema Dekolonialisierung im Bibliotheksbereich sind ja nun auch in Deutschland zu sehen.

Die spannendsten Veröffentlichungen des letzten Jahres im Bibliothekswesen insgesamt waren für mich die Texte von Nora Schmidt, die ihre Dissertation mit dem Titel „The Privilege to Select: Global Research System, European Academic Library Collections, and Decolonisation“ (2020, Lund University, Faculties of Humanities and Theology, https://doi.org/10.5281/zenodo.4011296) auch als deutsche Zusammenfassung veröffentlicht hat: „Überlegungen für die Dekolonialisierung wissenschaftlicher Bibliotheken in Europa“ (2021).

Im Januar 2021 gab es ein von österreichischen Kolleginnen organisiertes Online-Austauschtreffen „Decolonize the Library“ (Aufruf mit Programm und Video, und noch ein Bericht zur Veranstaltung), bei dem auch Nora Schmidt einen Impulsvortrag gegeben hat. Speziell die Betonung von „kultureller Demut“ durch Nora Schmidt, nicht nur bezogen auf das Wissenschaftssystem, gefällt mir.

Gespannt bin ich auch auf das Ergebnis eines Call for Papers der Zeitschrift Libreas mit dem Schwerpunkt Dekolonialisierung.

zu 3)

Macht es Sinn über so etwas Ähnliches wie Informationskompetenz aus Sicht des globalen Südens nachzudenken? Wer hat schon mal über Alternativen, konzeptionell und von der Benennung her, zum Konzept Informationskompetenz nachgedacht bzw. wer kennt solche, die einen indigenen Hintergrund haben oder ursprünglich aus dem „globalen Süden“ stammen?

Ich meine hier jetzt nicht „indigene information literacy“, also eine Informationskompetenz, um Ressourcen indigener oder postkolonialer Sichten auf die Welt, auf Geschichte, auf Wissen usw. zu ermitteln bzw. um Information und Literatur zur Disziplin „Indigenous Studies“ (etwa so etwas) zu finden.

Letztlich bewusst geworden ist mir die Bedeutung von Konzepten aus dem Süden, die im Norden und Westen nur langsam Fuss fassen, vor Jahren bei einem Vortrag zur Ernährungssouveränität, ein Begriff, der aus dem Süden stammt. Auch das „Buen Vivir“, einem Konzept ‚des guten Lebens‘ aus den Andenländern, gehört zu diesen Konzepten, die von Bedeutung für Süd und Nord, West und Ost sein können.

Ein Blick auf das Fachreferat in Bibliotheken

Wenn man mehr als 30 Jahre Fachreferent an einer kleinen wissenschaftlichen Bibliothek war, hat man sich eigentlich immer Gedanken um die Zukunft der eigenen Tätigkeiten gemacht und auch um die Zukunft der Institution, in der man arbeitet. Das Folgende fasst meine aktuelle Sicht auf die Entwicklung des Berufsbildes von Fachreferent*innen in Bibliotheken zusammen, verbunden im zweiten Teil mit einer Übersicht über laufende praktische Fachreferent*innen-Tätigkeiten in den letzten Monaten und Jahren, es stellt also den Versuch dar, die Fragen, warum Fachreferate in der Bibliothek und damit fachlich wissenschaftlich Ausgebildete immer noch wichtig scheinen und was Fachreferent*innen eigentlich machen, zu beantworten.

Grundlage des ersten Teils ist ein von mir verfasstes internes Papier „Zur Neukonzeption des Wissenschaftlichen Dienstes an der Universitätsbibliothek der TUHH (tub.)“ aus den Jahren 2018/19, hat also eher begründenden und werbenden Charakter. Grundlage des zweiten Teils ist der Versuch, im Rahmen der Einarbeitung von Kollegen die konkreten Tätigkeiten von Fachreferent*innen zu beschreiben. Vielleicht sind diese beiden „Abfallprodukte“ – inhaltlich enthalten diese sicher kaum etwas Neues – für die einen oder anderen doch noch interessant?!

Zu meinem eigenen, nun auch schon historischen Hintergrund im Bereich des Fachreferats siehe meinen Aufsatz aus dem Jahre 1999, Transfer zwischen Wissenschaft und Bibliothek : Beispiele aus der Praxis des Fachreferats Chemie und Verfahrenstechnik (https://doi.org/10.1515/bd.1999.33.11.1835) sowie einen Text von 2006, wo ich etwas zum Berufsfeld Bibliothek für Chemiker*innen, Helfer im Informationsdschungel geschrieben habe (Nachrichten aus der Chemie 54(2006)719-720).

 

Der wissenschaftliche Dienst an Bibliotheken

Zur Situation von Bibliotheken

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Veränderungen – zwischen Nicht und Noch-Nicht

„Zwischen Nicht und Noch-Nicht – zwischen vorzeitigen Nachrufen und konkreten Utopien“ – so lautete mal ein Blog-Beitrag von mir zur Lage wissenschaftlicher Bibliotheken, nun passt das auch auf mich persönlich.

Die folgenden Sätze hatte ich so oder so ähnlich im Rahmen meiner Verabschiedung aus dem Bibliotheksdienst an der Bibliothek der TU Hamburg (tub.) im März 2021 gesagt. „Alte weiße Männer“ reden ja bekanntlich öfters etwas länger. 😎 Zudem fördern es einschneidende persönliche Veränderungen sich Gedanken über die eigene Geschichte zu machen, sich an vergangene Aspekte zu erinnern bzw. neu bewusst zu machen. So ist es mir jedenfalls gegangen. Nun im Mai 2021 bin ich offiziell im Ruhestand.

Das „Nicht“ verstanden als „Noch-Nicht“ stammt vom Philosophen der Hoffnung, von Ernst Bloch. Für Bloch ist das Nicht kein „Nichts“ sondern ein Noch-Nicht und damit mit Veränderung und mit Zukunft sowie mit Hoffnung verbunden. Auch für mein Gefühl zur Zeit und wohl auch in der nahen Zukunft ist das Kommende ein Noch-Nicht aber auch eine Zeit der Ungleichzeitigkeit, auch ein Begriff u.a. von Bloch inspiriert.
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Open Access und OER

Im Rahmen eines HOOU Workshop zu „Open Access“ auf der Campus Innovation 2017 (Donnerstag, 23.11.2017) ging es um Fragen nach Schnittstellen und möglichen Synergien zwischen Open Educational Resources (OER) und Open Access. Dies ist ein kurzer Bericht zum Impuls-Vortrag mit dem Titel „Open Access. Bibliothek in Zukunft?! – und was dies mit Open Educational Resources (OER) zu tun hat“ und von der daran anknüpfenden Diskussion.

Die Impulspräsentation begann mit einer Sicht auf „Offenheit in Forschung und Lehre“, die aufgrund der ständig zunehmenden Digitalisierung und deren Einfluss auf die Hochschulbildung und das wissenschaftliche Publizieren sich in den Schlagwörtern „Open Science“ und „Open Education“ manifestiert. In Hamburg illustrieren die laufenden Projekte „Hamburg Open Science“ (HOS) (Bürgerschaft Hamburg Drucksache 21/10485 vom 26.09.2017) und „Hamburg Open Online University“ (HOOU) (Drucksache 21/10426 vom 19.09.2017) diese Schlagwörter.

Das in der Ankündigung zur Impulspräsentation zu findende „Bibliothek in Zukunft?!“ umfasst die Frage der Verortung von Bibliotheken in diesen Open-Szenarien. Die Universitätsbibliothek der TUHH, die tub., versucht in beiden Szenarien aktiv ihre Kompetenz z.B. bzgl. Repositorien, Schnittstellen, eindeutigen Identifikatoren und Metadaten im Bereich Informations-Infrastrukturen einzubringen, vgl. etwa https://openscience.tuhh.de.

Die tub. führte ein Early Bird Projekt im Rahmen der HOOU mit dem Titel „Wie funktioniert eigentlich Forschung?“ durch. Als OER zum Wissenschaftlichen Arbeiten entstand unter anderen Ressourcen ein Weblog, das ein Bachelor-Seminar an der TUHH begleitet.
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"Cogitamus" in "Kollaboration"

Der Titel dieses Beitrages enthält die Titel der beiden interessantesten Bücher, die ich im letzten halben Jahr gelesen habe. Bruno Latour (Cogitamus. Edition Unseld: Vol. 38. Berlin: Suhrkamp, 2016) beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik (Rezension), während Mark Terkessidis (Kollaboration. Berlin: Suhrkamp, 2015) über zeitgemäße Formen der Zusammenarbeit, genauer das Leben von Zusammenarbeit nachdenkt.

Cogitamus

Latours sechs Briefe an eine Studentin umfassen eine Einführung in sein Denken über die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Er rät der Studentin ein „Bordtagebuch“ zu führen, um hier Ereignisse, Beispiele und deren Quellen (z.B. aus Tageszeitungen) festzuhalten, die zeigen, wie sehr wissenschaftliche Ergebnisse Einfluss auf gesellschaftlich-politische Entscheidungen haben und umgekehrt.

„Keine Information ohne Transformation.“ (S. 189)

Meine Lieblingsformulierung von Latour erinnert an meinen Lieblingssatz bei Ernst Bloch. Weiterlesen

Fake-News und Informationskompetenz

Seit meinem Text zum epistemologischen Kern von Informationskompetenz hat sich für mich durch weltweite politische Entwicklungen die Notwendigkeit verstärkt, über die im Hintergrund stehende philosophische Frage nach dem Wesen von Wahrheit und Wissen, auf den akademischen Bereich bezogen über das Wesen und das Funktionieren von Wissenschaft und Forschung nachzudenken. Spätestens seit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist das Thema Fake-News ein Dauerbrenner in den Medien.

Bibliotheken schreiben Blog-Beiträge zu Fake News. Fake News ist auch für die IFLA ein Thema. Es gibt z.B. Veranstaltungen mit Titeln wie „Digital Literacy and Fake News“ oder einen schönen Aufsatz mit dem Titel „Fake news and alternative facts: five challenges for academic libraries„.
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Gedanken und Fragen zum Rahmenvertrag § 52a

Hier mal ein paar Punkte und Gedanken bzw. Fragen beim und nach dem Lesen des Rahmenvertrages zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG
(Hochschulen)
zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK), dem Bund und der VG WORT.

[Absatz hinzugefügt am 9.12.2018:] Ab März 2018 wurde das Urheberrechtgesetz durch das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz verändert.
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Open Educational Resources und Bibliotheken

Open Educational Resources (OER) sind "Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in Form jeden Mediums, digital oder anderweitig, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, welche den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen erlaubt“ („Leitfaden zu Open Educational Resources in der Hochschulbildung“, hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission, Bonn 2015, S. 5).

Ein wirklich alle Bereiche von OER betrachtende "Whitepaper zu Open Educational Resources (OER) an Hochschulen in Deutschland" von Markus Deimann, Jan Neumann und Järan Muuß-Merholz fasst den Stand der Diskussion im Frühjahr 2015 zusammen. Der letztere betreibt auch die Transferstelle für OER mit vielen weiteren Infos zum Thema. Auf politischer Ebene gibt es einen Anfang des Jahres von BMBF und KMK publizierten "Bericht der Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes zu OER". Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Projektes von Wikimedia Deutschland, Mapping OER, sollen folgende zentrale Herausforderungen von OER untersucht werden:

  • "Wie kann Qualität auch bei offenen und freien Bildungsmaterialien sichergestellt werden?
  • Welche Arten der Weiterbildung bieten sich an, um Lehrende zum Thema OER zu schulen?
  • Welche nachhaltigen Finanzierungsmodelle sind in Bezug auf freie Bildungsmaterialien denkbar?
  • Wie kann die Lizenzierung der Materialien praxisnah gestaltet werden und welche urheberrechtlichen Fallstricke sind zu bedenken?"

OER und Bibliotheken

OER sind spätestens seit dem Aufsatz von Jan Neumann im Bibliotheksdienst auch ein Thema für Bibliotheken (siehe auch das Gespräch dazu zwischen Jöran Muuß-Merholz und Jan Neumann). Auch das oben erwähnte umfangreiche Whitepaper berücksichtigt das Thema Bibliothken in einem eigenen Teilkapitel (S. 48-50). Sichtbar ist dies auch durch die Vorträge von Jürgen Plieninger ("Was sind Open Educational Resources (OER) und was haben Bibliotheken damit zu tun?") und Adrian Pohl ("Metadaten für Open Educational Resources (OER) im deutschsprachigen Raum") auf einer Session zu OER-Metadaten im Rahmen eines Workshops der DINI AG KIM (Kompetenzzentrum Interoperable Metadaten – KIM) im Frühjahr 2015. Jürgen Plieninger hat in einem Wiki Material zum Thema OER und Bibliotheken gesammelt. Hier findet man z.B. auch Überblicke zur Recherche nach OER, vgl. auch eine Übersicht auf deutsche Quellen bei iRights.info von Jöran Muuß-Merholz.

Die OER-Metadaten-Gruppe vom KIM hat "Empfehlungen zur Publikation von OER-Metadaten (Entwurf)" gegeben. Schon 2013 wurde ein Papier "Metadaten für Open Educational Resources (OER). Eine Handreichung für die öffentliche Hand", erstellt von der Technischen Informationsbibliothek (TIB), publiziert.

Gerade die Frage der Metadaten stellt zur Zeit wohl eine große Herausforderung dar, da "große Teile der heute verfügbaren OER nur unzureichend mit Metadaten ausgezeichnet sind, die eine Grundvoraussetzung für das Suchen und Finden von OER darstellen." "Um diesen Missstand zu überwinden ist es deshalb erforderlich, OER mit Metadaten auszuzeichnen, wobei ein institutionsübergreifender einheitlicher Standard verwendet werden sollte. Voraussetzung dafür wäre, dass sich ein einheitlicher Standard entwickelt und in der Praxis etabliert. Der Standard sollte den Anforderungen der Praxis gerecht werden und genügend Felder enthalten, um aussagekräftig zu sein, aber ansonsten so schlank [wie irgend möglich (Hervorhebung T.H.)] sein, dass potentielle Metadatenredakteure [ich denke da eher an die Autoren selbst!] nicht abgeschreckt werden." (Whitepaper, S. 49)

Die Erstellung und das Angebot von Open Educational Ressources ist eine Form der Publikation. Publizieren impliziert dabei immer ein gewisses Qualitätsniveau, einerseits hinsichtlich Inhalt, andererseits aber auch hinsichtlich der technischen Art und Weise des Publizierens. Und hier kommen eben auch Bibliotheken ins Spiel. Weiterlesen

Anthropozän und Information(skompetenz)

Als ein Beispiel für Aktivitäten im Umfeld von Bildung für nachhaltige Entwicklung sei im Folgenden das sogenannte „Anthropozän-Projekt“ vorgestellt. Unter dem Begriff Anthropozän wird eine neue geochronologische Epoche vorgeschlagen, eine Epoche, in der alle biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde durch den Menschen beeinflusst werden.

Die Einsicht, dass der Begriff Anthropozän berechtigt ist, kann im Zeichen des Klimawandels zu einem Perspektivwechsel in Politik, Kultur und Gesellschaft aber auch bei uns einzelnen Menschen beitragen. Der Begriff wird aber durchaus auch kritisch gesehen. Gleichwohl wird der Begriff politisch stark unterstützt. In Deutschland haben sowohl das Haus der Kulturen der Welt in Berlin als auch das Deutsche Museum in München das Thema aufgegriffen (siehe unten).

Aus Informationskompetenz-Sicht ist interessant, dass es in der "Lyon Declaration on Access to Information and Development" (Lyoner Erklärung über den Zugang zu Informationen und Entwicklung) in den Punkten 3 und 4 heisst:

"Ein besserer Zugang zu Informationen und Wissen auf Grundlage der Alphabetisierung aller stellt einen unverzichtbaren Stützpfeiler der nachhaltigen Entwicklung dar. Die bessere Verfügbarkeit von hochwertigen Informationen und Daten sowie die Einbeziehung des Gemeinwesens in deren Erstellung ermöglicht eine umfassendere, transparentere Verteilung von Ressourcen.[…]
Informationsvermittler wie beispielsweise Bibliotheken […] sind in der Lage,[…] bei der Kommunikation, Organisation, Strukturierung und dem Verständnis der für eine solche Entwicklung entscheidenden Daten mit adäquaten Mitteln zu unterstützen, beispielsweise durch […] das Angebot von Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zur Förderung des Zugangs zu den für die Menschen wichtigsten Informationen und Dienstleistungen sowie ihres Verständnisses."

Für eine nachhaltige Entwicklung ist also auch Informationsbildung bzw. -kompetenz notwendig.

Es folgen nun weitere Hinweise auf Texte zum Thema Anthropozän, darunter auch zu ersten Ansätzen für ein Curriculum sowie zu einem Open-Access-Buch "Fantasien der Bibliothek" 😎
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Liaison Librarians als Teil des Third Space

Ein Report der amerikanischen Association for Research Libraries (ARL) mit dem Titel "New Roles for New Times: Transforming Liaison Roles in Research Libraries" ist im August 2013 erschienen. Eine deutsche Übersetzung des schönen Begriffs „Liaison Librarian“ ist nicht einfach, vielleicht bibliothekarischeR FachspezialistIn. Beschrieben werden in dem Report jedenfalls gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen und Aufgaben, die im deutschen Bibliothekswesen bisher von Fachreferentinnen und Fachreferenten an Bibliotheken erwartet werden, aber sicher nicht auf diese zu beschränken sind.

So gefällt mir die Verschiebung zum Begriff des "functional specialist" sehr, die im Abschnitt "Trend 2: A hybrid model of liaison and functional specialist is emerging" beschrieben wird. Denn damit werden im Bereich der Hochschulbibliotheken in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Bereiche von Services im Bereich Publizieren (Beispiel Webseite der TUHH-Bibliothek), aber auch von Forschungsdaten und bei der Entwicklung der Wissenschaftskommunikation insgesamt berücksichtigt. Beispiele von Bibliotheken im letzten Bereich stammen u.a. von der TIB in Hannover (Open Science Lab) und der ZBW in Hamburg bzw. Kiel (ZBW Labs), die beide auch beim Forschungsverbund Science 2.0 mit dabei sind.

Diese "functional specialists" bieten Services

"as ’superliaisons‘ to other librarians and to the entire campus. Current specialist areas of expertise include copyright, geographic information systems (GIS), mediaproduction and integration, distributed education or e-learning, data management, emerging technologies,user experience, instructional design, and bioinformatics. This dedication of resources to specific areas of proficiency is an indicator of arenas in which research libraries are assuming leadership, or at least well-defined partnership roles on campus. Libraries are identifying gaps in the services required to support teaching, learning, and research, and are responding in new and critical ways." (S. 7)

Es tut sich also etwas im Bereich der Personalentwicklung an Hochschulen. In seinem Beitrag mit dem Titel „Der Third Space als Handlungsfeld in Hochschulen: Konzept und Perspektive“ (In: Barnat, M., Hofhues, S., Kenneweg, A. C., Merkt, M., Salden, P. & Urban, D. (Hrsg.): Junge Hochschul- und Mediendidaktik. Forschung und Praxis im Dialog. Hamburg 2013, S. 27-36) beschreibt Peter Salden, der im Zentrum für Lehre und Lernen an der TU Hamburg-Harburg tätig ist, einen Bereich, in dem "die Grenzen zwischen Verwaltung und Wissenschaft" (S. 27) verschwimmen.

Dieser „dritte“ Bereich zwischen dem Administrativen und dem Akademischen "entstehe bei Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen" und agiere als „Übersetzer“ (S.30), wie es in dem theoretisch-konzeptionellen Teil über „das Dritte“ im Aufsatz heisst. Peter Salden diskutiert in seinem Beitrag aber auch deutlich Herausforderungen des Third Space an Hochschulen. Hier tauchen Sätze auf, die auch für das Fachreferat in Bibliotheken gelten können, wie

"Wenn der Third Space gegenüber der klassischen Verwaltung tatsächlich etwas Anderes sein soll, dann muss auch die konkrete Arbeitsweise eine andere sein. Dazu gehören kreatives und strategisches Arbeiten, nach verbreiteter Auffassung aber auch Wissenschaftlichkeit […]. Third Space-Beschäftigte müssen demnach die Bereitschaft mitbringen, ihre eigene Tätigkeit wissenschaftlich zu reflektieren und diese Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion zur Verfügung zu stellen. […]
Derartige Tätigkeit – die ihren Ausdruck z.B. in Vorträgen und Aufsatzpublikationen finden kann – sollte aber nicht als Privatvergnügen, sondern als Teil der Personalentwicklung verstanden werden. Dies kostet die Hochschulen über die Einräumung von Zeitfenstern hinaus wenig, bedeutet im Gegenzug aber die Erhöhung der Qualität der Arbeitsergebnisse (und nebenbei auch die Sichtbarkeit der eigenen Institution sowie die akademische Glaubwürdigkeit im Inneren)." (S. 34-35)

Aus meiner Sicht sind Bibliotheken bzw. manche in Bibliotheken Arbeitende unbedingt ein Teil dieses "Third Space" bzw. sollten dies sein. Gerade aktuelle Entwicklungen – wie am Anfang dieses Beitrags beschrieben – demonstrieren dies deutlich. Aber auch Entwicklungen wie Dienstleistungs-Kooperationen z.B. an der Leibniz-Universität Hannover im Bereich Lernraum aber auch im Kleinen bei der Durchführung eines Seminars zum „Wissenschaftlichen Arbeiten" (Begleitender Blog) an der TUHH belegen dies. Letzteres wird federführend von der TU-Bibliothek in Kooperation u.a. mit Kolleginnen vom FinishING-Projekt (vormals Endspurt) der Studienberatung der TUHH und von der TU-Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik (M-1) durchgeführt. Im Optimum sind Bibliotheken zudem Teil des im Aufsatz erwähnten "Third place", "nach dem first place (= das Zuhause eines Menschen) und dem second place (= der Arbeitsplatz eines Menschen) [als …] öffentlichen Orte informellen Beisammenseins (Cafés, Kneipen…) […]" (S. 31).

Zum Zusammenhang zwischen mathematischer Physik und Katalogen (1904)

Der französische Physiker Henri Poincaré erwähnt in seinem zuerst 1904 erschienenen Werk "Wissenschaft und Hypothese" auch Bibliotheken (Auf Poincaré im Zusammenhang mit Bibliotheken bin ich schon vor einiger Zeit beim Lesen eines Aufsatzes von Alex Csiszar gestoßen.)

„Man gestatte mir, die Wissenschaft mit einer Bibliothek zu vergleichen, welche unaufhörlich wachsen soll; der Bibliothekar verfügt für seine Ankäufe nur über ungenügende Mittel; er muß sich bemühen, dieselben nicht zu vergeuden.

Die Experimental-Physik spielt die Rolle des Bibliothekars; sie ist mit den Ankäufen beauftragt; sie allein kann also die Bibliothek bereichern.

Was die mathematische Physik betrifft, so hat sie die Mission, den Katalog herzustellen. Wenn dieser Katalog gut gemacht ist, so wird die Bibliothek deshalb nicht reicher; aber der Katalog ist für den Leser notwendig, um sich die Reichtümer der Bibliothek zu Nutze zu machen.

Indem der Katalog ferner den Bibliothekar auf die Lücken seiner Sammlungen aufmerksam macht, setzt er ihn in den Stand, von seinen Mitteln einen vernünftigen Gebrauch zu machen; und das ist um so wichtiger, als diese Mittel gänzlich ungenügend sind.

Das ist also die Rolle der mathematischen Physik, sie muß die Verallgemeinerang in dem Sinne leiten daß sie, wie ich mich soeben ausdrückte, den Nutzeffekt der Wissenschaft erhöht. …“

(Zitiert nach Henri Poincaré: Wissenschaft und Hypothese. 2., verb. Aufl. Leipzig : Teubner, 1906. S. 146.)

Weil so schön ist, das Ganze auch noch in Englisch:
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Warum Geschichte?

"Information Systems history: What is history? What is IS history? What IS history? … and why even bother with history?" fragen Antony Bryant, Alistair Black, Frank Land and Jaana Porra in einem frei zugänglichen Beitrag in der Zeitschrift "Journal of Information Technology" der am Anfang von zwei Sonderheften mit dem Motto "Special Issue on History in IS" steht (Journal of Information Technology 28 (2013) 1-17).

Ein paar Kapitel-Überschriften, die vielleicht neugierig darauf machen, über die Frage "Wozu Geschichte?" nachzudenken:

  • History as disciplinary veneer (Fassade!)
  • History as collective memory and identity
  • History as teleology
  • History as a meeting of ourselves as ‘Other’
  • The uses of history

Hier noch zwei Beispiele, wie eine historische Betrachtungsweise Reflexionen aktueller Problemfelder fördern kann:

Noch ein paar Neuerscheinungen zur Informationsgeschichte:

  • Das Buch "International perspectives on the history of information science and technology : proceedings of the ASIS&T 2012 Pre-conference on the History of ASIS&T and Information Science and Technology" hrsg. von Toni Carbo und Trudi Bellardo Hahn (Medford, NJ: Information Today, 2012) erschien anläßlich des 75-jährigen Jubiläums der ASIST, die jetzt nur noch "Association for Information Science and Technology " heisst. Der Band enthält u.a. auch einen Aufsatz zur deutschen Informationsgeschichte: Pioneers of Information Science in Europe: The Œuvre of Norbert Henrichs von Katharina Hauk und Wolfgang G. Stock (S. 151ff). Weitere Beträge beschäftigen sich mit der Geschichte des Annual Review of Information Science and Technology, von Brenda Dervins Sense-making methodology, der französischen Informationswissenschaften, des niederländischen Informationspioniers Donker Duyvis u.a.
  • "Vor Google : eine Mediengeschichte der Suchmaschine im analogen Zeitalter" hrsg. von Thomas Brandstetter, Thomas Hübel und Anton Tantner (Bielefeld : Transcript-Verl., 2012, Einleitung als pdf) U.a. über Staatskalender, Diener, Anzeigenblätter, Vannevar Bushs Memex sowie die frühe Bibliometrie
  • Das Lehrbuch "An introduction to information science" von David Bawden and Lyn Robinson (London: Facet Publ., 2012, Kapitel 1 als pdf) enthält als Kapitel 2 "History of information: The story of documents" eine gute Zusammenfassung zur Geschichte der Information. Im Eingangskapitel gibt es zusätzlich ein paar Abschnitte zur Geschichte der Informationswissenschaft.

    Mit dieser besonderen Betonung der Geschichte unterscheidet sich das Lehrbuch von zwei fast parallel erscheinenden Lehrbüchern zur Informationswissenschaft, die beide historische Zusammenhänge kurz nur in allgemeinen Grundlagen-Kapiteln erwähnen:

    • Introduction to information science and technology / Charles H. Davis and Debora Shaw (Eds.) Medford, NJ : Information Today, 2011 (in Chapter 2: Foundations of Information Science and Technology).
    • Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation : Handbuch zur Einführung in die Informationswissenschaft und -praxis / Rainer Kuhlen, Wolfgang Semar, Dietmar Strauch (Hrsg.) 6., völlig neu gefasste Ausg. Berlin: De Gruyter Saur, 2013 (In Kapitel A.1 Information – Informationswissenschaft).

Bibliothek 2.0 und Bibliotheksentwicklung

Schweizer Kollegen publizieren eine neue ambitionierte Zeitschrift mit dem Titel "027.7 Zeitschrift für Bibliothekskultur / Journal for Library Culture". Bei mir ist der Untertitel Bibliothekskultur besonders gut angekommen, da ich ja auch gerne von Informationskultur rede. 😎 Außerdem habe ich gerade einen Aufsatz für eine amerikanische Bibliotheks-Zeitschrift über einen der ersten Förderer der Dezimalklassifikation in Deutschland geschrieben, der in seinen Briefen an Mitstreiter DK-Notationen als Ersatz für manche Worte verwendet, wodurch mich der Titel der Zeitschrift zusätzlich angesprochen hat.

Mein Hamburger Kollege Werner Tannhof, der im Blog der Universitätsbibliothek der Helmut-Schmidt-Universität immer wieder interessante Beiträge publiziert, hat zudem einen Artikel mit dem Titel "Das deutsche wissenschaftliche Bibliothekswesen jenseits der Bibliothek 2.0 – Zukunft jetzt gestalten" beigesteuert. Da Werner Tannhof mich im Vorfeld des Artikels nach meiner Sicht gefragt hat, wie die Bewegung zur Bibliothek 2.0 die Bibliotheksentwicklung in Deutschland geprägt habe, erlaube ich mir hier noch ein paar Anmerkungen.

  • Die Existenz eines wirklichen Mehrwertes von Bibliothek-2.0-Aktivitäten für die Nutzenden von Bibliotheken ist sicher schwierig zu messen. So kann man auch für das Blog der TUHH-Bibliothek fragen, wieweit dessen Inhalt wahrgenommen werden – gefühlt manchmal eher weniger! Trotzdem ist es ein wichtiges Instrument des Marketing von Neuigkeiten. Als Bibliothek hat die TU-Bibliothek beim Thema Web 2.0 wahrscheinlich auch die Entwicklung der Universität in Richtung Social Media mit beeinflusst. Die TUHH als Institution Universität fängt erst seit letztem Jahr in diesem Bereich vermehrt Aktivitäten an!
  • Bei vielen Aktivitäten von Bibliotheken im Bereich IT sind Bibliotheken oft Early-Adopter! Und dies gilt teilweise auch für das Thema Web 2.0! So z.B. auch beim eLearning, wo an der TUHH auch die Bibliothek mit eine treibende Kraft war, Lernmanagement-Systeme – und besonders als Open Source Variante – einzuführen. Die von Werner Tannhof in einem Blog-Artikel zitierten Thesen zum Scheitern wissenschaftlicher Bibliotheken von Steve Coffman finde ich zu kritisch. Innovationen brauchen auch Freiräume und ein Aus- und Rumprobieren und kein sofortiges Schielen auf Nachhaltigkeit! Man kann das auch alles anders verkaufen als Coffmann, Bibliotheken sind und waren immer am Puls der Zeit, so beim Erstellen von Webverzeichnissen und bei den Informationsvermittlungsstellen – Bibliotheken sind damit aber auch immer Teil der allgemeinen Entwicklung gewesen. Insgesamt ist es sicher auch viel zu früh, um endgültig über Beiträge der Library 2.0 Bewegung auf die Bibliotheksentwicklung zu sprechen! Spannend und ein positives Beispiel ist übrigens hier auch das Open Science Lab der TIB Hannover.
  • Das Thema Informationskompetenz profitierte für mich von Bibliothek-2.0-Aktivitäten dadurch, dass das Eigentliche oder der Kern von Informationskompetenz schärfer gefasst werden kann. Der ständige Wandel der Informationstechnologie wirft eben die Frage auf, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums im Bereich Informationskompetenz wichtig bleiben. Lambert Heller sieht Informationskompetenz-Förderung als Teil eines veränderten Bibliotheksmarketing, in dem alle in Bibliotheken Arbeitenden ihre eigene Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen öffentlich (beispielsweise in Blogs) darstellen und wirklich selbst Erfahrungen im Web 2.0 sammeln. Nur durch für Interaktion auf Augenhöhe und Mitagieren in virtuellen Gemeinschaften sei es ohne pädagogischen Duktus und in informellem Rahmen möglich, durch Authentizität, Aufbau von Reputation und Nähe zur jeweiligen Gemeinschaft die Entwicklung von Informationskompetenz bei deren potentiellen Mitgliedern zu fördern und gleichzeitig die Reputation der Einrichtung Bibliothek zu erhöhen. Das heisst auch Mitforschen und Mitpublizieren, um aufgrund eigener Erfahrungen Beratung und Publikationsunterstützung geben zu können.
  • Dass das Thema Lernort für Werner Tannhof zu den großen Herausforderungen von Bibliotheken gehört, ist sicher nicht falsch. Es ist als Thema eigentlich aber eher und auch ein Thema für die Universität insgesamt. So gibt es an der TUHH im neuen Hauptgebäude studentische Lern- und Gruppenarbeitsräume, die nichts mit der Bibliothek zu tun haben. Trotzdem hoffe ich und als TU-Bibliothek arbeiten wir ständig daran, dass bei einer Universität als Institution eine Bibliothek weiterhin immer mit gedacht wird.
  • Eindeutig positive Beiträge von Bibliothek 2.0 zur allgemeinen Bibliotheksentwicklung sind natürlich die Web 2.0 Kataloge, heute Discovery-Systeme genannt, aber (!!) genauso wichtig ist heutzutage die Pflege der Knowledge Base von Link Resolvern – das ist fast wichtiger als klassische Katalogisierung bzw. das ist Katalogisierung heute!
  • Ein sehr wichtiger Aspekt von Bibliotheksentwicklung durch Bibliothek 2.0 ist der Einfluss auf die interne Bibliotheksentwicklung. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen können sich durch Blog-Beiträge u.a. an dem beteiligen, was man früher Öffentlichkeitsarbeit nannte. Schon lange nutzt die TU-Bibliothek intern ein Wiki, womit Kommunikationsmöglichkeiten und Mitarbeiterinnen-Beteiligung geschaffen wurden, die vorher so kaum möglich waren! In meiner Bibliothek ist das Wiki neben seiner Funktion zur internen Dokumentation Instrument für die Begleitung von Projekten, Planung von Veranstaltungen und manchmal sogar strategischen Diskussionen. Auch die Möglichkeiten für alle in Bibliotheken Arbeitenden auf dem Laufenden zu bleiben, wurden durch Web 2.0 Tools wesentlich erhöht. Klar, nicht jeder nimmt dies zu jeder Zeit wahr, mancher vielleicht auch gar nicht.

Zum Abschluss noch ein paar persönliche Bemerkungen zu Stellen, die mir im Text von Werner Tannhof besonders aufgefallen sind:

  • Werner Tannhof bezeichnet mich als eine "’Gallionsfigur‘ der deutschen IK-Vermittlungsszene" (S. 6). Ganz abgesehen davon, dass man Informationskompetenz nicht vermitteln sondern nur fördern kann: In Wikipedia habe ich gelernt, dass Galionsfiguren "ein ‚lebendes Aushängeschild‘ eines Vereines oder einer Interessengruppe sind oder eine Führungs- oder Vorreiterfunktion innehaben". Wenn überhaupt dann gilt dies für mich eher im Sinne des ebenfalls bei Wikpedia erwähnten "Aberglauben[s] von Seeleuten", also als jemand, der "den Kurs des Schiffes beobachten[t] und es vor Unglück bewahren[t]". 😎
     
  • "Wie es deutsche Bibliotheksleitungen und die Referenten in den Länderministerien zulassen können, dass IT-Abteilungen ihrer Kreativität und ihrem Ehrgeiz freien Lauf lassen dürfen und nicht zumindest auf regionaler Ebene (wie in Sachsen) gemeinsam entwickeln, wird sich einem Aussenstehenden wohl kaum vermitteln lassen."(S. 9)

    Hier frage ich mich, wie Kreativität, die in Bibliotheken jetzt und für die Zukunft unabdingbar ist, entstehen soll ohne gewisse individuelle Freiräume. Die Möglichkeiten, eigene Ideen umzusetzen und Erfahrungen zu sammeln (natürlich im weiteren Bereich des eigenen Arbeitsumfeldes), ist für mich legitim, und diese möchte auch ich selbst nicht missen. Sie führen zumindest aufgrund meiner Erfahrungen an der TU-Bibliothek zu sehr guten Ergebnissen bei der Weiterentwicklung der Bibliothek.

    Mangelnde Kreativität führt im deutschen Bibliothekswesen aus meiner Sicht auch dazu, dass bei der "Neuausrichtung überregionaler Informationsservices" lieber auf kommerzielle System gesetzt wird, wie die von Adrian Pohl in einem Blog-Beitrag diskutierten Entscheidungen zu DFG-Anträgen zeigen.

  • "Dezent wird dabei allerdings von der bibliothekarischen Blogger- und Twitterer-Szene ausser Acht gelassen, dass derartige Aktivitäten zu nicht geringen Anteilen während der regulären Arbeitszeiten erfolgen und nicht unmittelbar mit den eigentlichen beruflichen Aufgaben, nämlich dem täglichen Dienst am ‚Kunde König‘ zu tun haben …" (S. 7)

    Auch diesen Satz kann ich leider nicht ganz nachvollziehen: Laufende Weiter- und Fortbildung gehören unablässig zum beruflichen Alltag dazu und damit auch das Lesen von Blogs und die Nutzung von Twitter. Und zum Verarbeiten von Information ist es immer noch am besten, diese für sich festzuhalten und im Optimum für andere auch zur Verfügung zu stellen. Insofern halte ich ein Bloggen und Twittern während der Arbeitszeit in einem gewissen Rahmen sogar für notwendig.

    Zudem wird die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit immer diffuser, was positiv empfunden werden kann aber nicht muss (!). Denn dies hat auch große Nachteile. Um diese zu vermeiden, ist Selbstmanagement gefragt, eine Kompetenz, welche zu erlangen nicht immer einfach ist (bei mir jedenfalls ist deren Erlangen immer noch ein laufender Prozess!).

    Klar ist es hier denkbar, dass man zu viel Zeit ins Bloggen und Twittern investiert und Anderes vernachlässigt. Aber die immer vielfältiger werdenden Bedürfnisse von Nutzenden verlangen immer grössere Kompetenzen von in Bibliotheken Arbeitenden, die nur durch ständiges Lernen entwickelt werden können, und dabei kann auch das Bloggen und das Twittern unterstützen.

ANCIL – eine neue wichtige Abkürzung

Aufmerksam wurde ich auf "A New Curriculum for Information Literacy (ANCIL)" wieder einmal durch Sheila Webber’s Blog. Der von ihr initiierte "Information Literacy Journal Club" diskutierte über ANCIL.

ANCIL ist das Ergebnis eines Projektes an der Cambridge University Library. Federführend waren Jane Secker und Emma Coonan. Die Britin Jane Secker wurde gerade einer der Movers and Shakers 2013 des amerikanischen Library Journal.

Das Projekt wurde schon 2011 beendet, wurde von mir aber bisher nicht wahrgenommen. Auf der Projekt-Homepage von ANCIL finden sich mehrere spannende Dokumente:

Das Executive Summary bietet einen ersten Überblick über die 10 "strands" (Fäden) des Curriculums.

  1. Transition from school to higher education
  2. Becoming an independent learner
  3. Developing academic literacies
  4. Mapping and evaluating the information landscape
  5. Resource discovery in your discipline
  6. Managing information
  7. Ethical dimension of information
  8. Presenting and communicating knowledge
  9. Synthesising information and creating new knowledge
  10. Social dimension of information literacy

Hier und in dem weiteren eher theoretischen Papier von Emma Coonan "Teaching learning: perceptions of information literacy (theoretical background)" wird wirklich über den Tellerrand bibliothekarischer Informationskompetenz geschaut. Hier findet sich auch die folgende schöne Definition von Informationskompetenz:

"… information literacy as a continuum of skills, behaviours, approaches and values that is so deeply entwined with the uses of information as to be a fundamental element of learning, scholarship and research."

Im eigentlichen Curriculum "A new curriculum for information literacy: curriculum and supporting documents" findet man dann eine detaillierte Beschreibung zu Inhalten, Lernzielen, Beispiel-Aktivitäten und Bewertungs-Beispielen zu allen zehn Strängen des Curriculums. Dies wirkt alles sehr praktisch und ist sicher hilfreicher als manche Informationskompetenz-Standards. Enthalten ist in diesem Bericht (S. 17-20) dann auch eine schöne Gegenüberstellung von ANCIL zu den Sconul 7 Pillars, den ACRL Stanadrds und den ANZIIL Standards. Letztere bitte nicht mit ANCIL verwechseln! 😎

Vielleicht kann ANCIL ja helfen, dass eine der sicher teilweise polemischen "Steilen Thesen" mit ernstem Hintergrund von Karsten Schuldt für die Zukunft der Bibliotheks- und Informationsiwssenschaft nicht Wirklichkeit wird:

„In zehn Jahren wird dem Bibliothekswesen klar geworden sein, dass die Behauptungen (a) Informationskompetenz wäre gesellschaftlich wichtig, (b) Informationskompetenz wäre vor allem Recherchefähigkeit und (c) Bibliotheken würden Informationskompetenz fördern, ausserhalb der Bibliotheken kaum ernstgenommen wird. Das Bibliothekswesen wird sich dann zu fragen beginnen, ob These (a) und (b) überhaupt stimmen und sich in diesen Diskussionen verfangen, während die Gesellschaft diese Diskussion weiter ignoriert.“

Zur Zukunft des Reference Service in Bibliotheken

Die englische Bezeichnung dessen, was in deutschen Bibliotheken Information, Auskunft oder auch Auskunfts- oder Informationsdienst genannt wird, umfasste schon immer mehr Service als in Deutschland üblicherweise angeboten wird.

In seinem schönen Beitrag "Preparing to Meet the Future of Reference Service: Leverage Knowledge and Instruction for Tomorrow’s University Library" beschrieb David Michalski, University of California, Davis, 2011 seine Sicht auf die zukünftige Entwicklung.

Hier ein paar, auch aus meiner Sicht programmatische Textausschnitte, die nicht nur auf den Auskunftsdienst zu beziehen sind, sondern auf die gesamte wissenschaftliche Bibliothek, einschliesslich deren Aktivitäten zur Förderung von Informationskompetenz:

"Reference is not an imposition [= lästige Pflicht!]; rather it lays bare what is already integral to the intellectual project of universities. To refer is to provide context, to put into connection, to follow the connection that weaves together social worlds.[…]

The reference librarian thus teaches the archaeology of documents. He or she helps reconstruct how documents come to life, and how they are received in different circumstances. The reference librarian alerts readers to the social life of information by teaching how connections and distinctions take shape within a document’s information network.[…]

… one must get to know one’s patrons by participating in their academic life. Librarians at universities ought to find ways to imagine the social world of students and faculty, perhaps by attending classes and discussing how syllabi are designed. […]

The accelerated instability of disciplinary boundaries challenges the library.[…]

A paradox of transparency has arisen within the contemporary information environment: while the visibility and access to information expands, the social context of information seems to have become less transparent. The same vast, multidisciplinary digital reserves, which make the discovery of information possible has led to a disembodied form of content presentation. Context is harder to perceive. As such it is harder for both the researcher and librarian to re-situate the social location of information. In this environment, the interpretation, evaluation, and translation of sources becomes a crucial factor in the successful research endeavor. As such, universities require the diffusion of new information literacy skills, those appropriate to a changing infoscape.[…]

The separation between librarian skills and academic research skills no longer holds, but this is not disintermediation.[…]

Librarians need to understand the research process. […] This knowledge is best acquired through practice.[…]

Reference and collection development are complementary tasks and ought to be thought about and practiced together.[…]