Suchen und Finden damals

In Heft 1 des 64. Jahrgangs (2011) der Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, das auch online zugänglich ist, findet sich ein Aufsatz von Anton Tantner: "Suchen und Finden vor Google. Eine Skizze" (S. 42-69).

Zusammenfassung: Es gab eine Zeit vor Google, die Karteikarten, Enzyklopädien, Adress- und Telefonbücher kannte. Es gab "Menschmedien", die als Suchmaschinen betrachtet werden können, wie Diener, "Zubringerinnen" und Hausmeister, und es gab Auskunftscomptoirs und Zeitungsausschnittsdienste. Der Beitrag mächte einige dieser Einrichtungen in Erinnerung rufen.

Abstract: It is hard to believe, but there was a time before Google, when record cards, encyclopedias, address and telephone books, information offices, and cutting bureaus were heavily used. "Human media", like attendants, informers, janitors figured as search engines. This article intends to remind of these institutions.

Daas erste Mal aufmerksam auf den Verfasser wurde ich "damals" beim Besuch einer technikgeschichtlichen Jahrestagung des VDI im März 2000 unter dem Titel "Die Technik der Wissensgesellschaft". Das damalige Programm habe ich nur noch an einer Stelle im Netz gefunden. Ein Teil der Beiträge wurde in der Zeitschrift Technikgeschichte publiziert. Übrigens ist auch das Weblog "Adresscomptoir – Nummern mit Mehrwert" des Autors immer einen Besuch wert.

Das Mundaneum und Paul Otlet – Neues zur Informationsgeschichte

Der Spiegel hat mal wieder – 2008 war die Überschrift noch "Der Vater der Zettelsuchmaschine" – einen Beitrag zu Paul Otlet veröffentlicht: "Netzvisionär Paul Otlet – Googles genialer Urahn" von Meike Laaff. Dies erfolgte im Rahmen eines Specials "20 Jahre World Wide Web".

Eine zum Thema passende, weitere spannende Website hat der Schweizer Philipp Messner gestaltet unter dem Titel "Isotype". Sie enthält einerseits einen Beitrag zum Mundaneum, andererseits eine Geschichte zur Entwicklung der Normung von Papierformaten in der Schweiz, die auch Karl Bührer und Wilhelm Ostwald erwähnt. Isotype ist übrigens eine von Otto Neurath in den zwanziger Jahren initiierte Bildsprache.

Ebenfalls mit Otlet und Ostwald, aber auch Neurath wird erwähnt, beschäftigte sich mein Bericht von einer Konferenz 2008 im belgischen Ghent "Analoge Räume – zur Geschichte des komplexen Verhältnisses von Information, Wissen und Raum", der jetzt auf dem TUHH-Dokumentenserver zur Verfügung steht.

Und zum Schluss sei noch ein Hinweis auf einen aktuellen Aufsatz (leider nicht frei verfügbar) zur Geschichte der Informationswissenschaft gestattet: William Aspray: The History of Information Science and Other Traditional Information Domains: Models for Future Research. In: Libraries & the Cultural Record. 46 (2011) 2, S. 230-248.

Informationskompetenz in der Chemie

Dass (Fach-)Kultur und Kontext auch beim Thema Informationskompetenz eine große Rolle spielen, zeigt die Entwicklung der "Information Competencies for Chemistry Undergraduates: the elements of information literacy" die im Mai 2011 als "Second edition" erschienen sind. Herausgegeben wurden diese von der Chemistry Division der Special Libraries Association.

Als wichtige Quelle zur Chemie-Information sei hier auch auf das Chemical Information Sources Wiki bei Wikibooks hingewiesen, eine Fundgrube! Entstanden ist diese aus Fachinformations-Seiten zur Chemie, die Gary Wiggins lange Zeit unterhalten hat.

Die Suche nach Stoffdaten ist immer wieder auch für die Forschungsarbeit in Verfahrenstechnik und Ingenieurwissenschaften eine große Herausforderung. Das Angebot Chemspider der Royal Society of Chemistry ist eine freie, modern gestaltete Datenbank zur Suche nach chemischen Stoffen in hunderten von Internet-Ressourcen. Chemspider bietet also so etwas wie eine chemische Meta-Suchmaschine.

Als Ergebnis der Recherche erhält man schnellen Zugriff und Links auf Wikipedia-Artikel, Daten angeschlossener Datenquellen (auch zu Sicherheits- und Toxizitäts-Daten), Patente, Aufsätze, Namen, Synonyme, Beschreibungen (teilweise mit Videos), Eigenschaften, Spektren und anderes.

Mehr zur Recherche nach chemischen Stoffdaten auf der Website der TUHH-Bibliothek! Den Hinweis auf Chemspider verdanke ich einer Mail von A. Ben Wagner von der University at Buffalo in der Mailing-Liste CHMINF-L, der vor kurzem seinen Artikel „Finding Physical Properties of Chemicals: A Practical Guide for Scientists, Engineers, and Librarians“ von 2003, aktualisiert bzgl. der Links, ins Netz gestellt hat.

Wir werden zu Metadaten!

In einem Tweet hatte ich vor Monaten mal auf eine britische Ausstellung mit dem Titel "How we became metadata" hingewiesen (Beitrag in einem Blog dazu). Ein Aufsatz vom britischen Kultur- und Medientheoretiker Gary Hall mit dem Titel "We Can Know It for You: The Secret Life of Metadata" findet sich im Katalog zur Ausstellung.

Nun ist in der Wochenzeitung "Die Zeit" ein passender Beitrag mit dem Titel "Automatisch vorsortiert" von Stefan Schmitt erschienen, der zeigt, dass individuelle Suche zu Metadaten führen, die zukünftige Suchen beeinflussen. Eine der Grundlagen des Artikels ist das Buch "The Filter Bubble" von Eli Pariser, das im nächsten Jahr auch auf Deutsch erscheinen soll. Im Guardian findet sich eine Kurzfassung von Parisers Buch, auf die am 14. Juli auch auf der Mailingliste Inetbib hingewiesen wurde (vgl. auch ein Vortrags-Video von Pariser).

Vielfalt und Informationskompetenz

Eigentlich kommt man kaum hinterher, um bei irgendeinem Thema auf dem Laufenden zu bleiben. Vielfalt und Informationsflut werden immer größer. Mein Versuch der Bewätigung dazu bildet sich hinsichtlich des Themas der Informationskompetenz oft nur noch in angesammelten Links auf Delicious oder in manchen Tweets ab. Trotzdem hier ein paar Hervorhebungen, die mir in letzter Zeit als wichtig aufgefallen sind:

In einem Aufsatz in der Wochenzeitung "Die Zeit" von Thomas Assheuer zum Thema der Bedeutung von Religion heute (ein Thema, das mich bisher eigentlich nur am Rande interessiert hat), wird am Schluss auf eine Kontroverse zwischen Jürgen Habermas und dem kanadischen Philosophen Charles Taylor eingegangen. Es heisst hier:

"Für Habermas muss es in einer Gesellschaft der explodierenden Gegensätze eine inklusive säkulare Sprache geben, mit der Normen begründet werden. Für Taylor ist das eine rationalistische Illusion; für ihn gibt es in radikal heterogenen und spannungsgeladenen Gemeinwesen keine Metasprache, die alle Differenzen ‚managt‘. Deshalb müssten wir selbst vielsprachig werden, wir müssten lernen, uns ‚im Tanz des Verstehens‘ auf Unterschiede einzulassen."

Ich finde, diese philosophische Kontroverse trifft erst recht auf die hier interessierende sogenannte Informations- oder Wissensgesellschaft zu und findet sich damit auch im Hintergrund von theoretischen Diskussionen um Informationskompetenz! Ich selbst finde mich dabei eher bei Taylor wieder.

Verschwundene Tätigkeiten, Fachreferat und Informationskompetenz

Vor dem Hintergrund des Blog-Beitrages „verschwundene Arbeiten“ im netbib-Blog schaut man natürlich auch auf das, was man selbst als Fachreferent "noch" tut.

So trifft das Schlagwort "user-generated aquisition" genau dann voll zu, wenn man aufgrund der wöchentlich von Nutzenden eingehenden Anschaffungswünsche absehen kann, dass das zur Verfügung stehende Geld gerade so ausreichen wird. Dies bedeutet konkret, dass man keine klassische Erwerbungsarbeit mehr macht. Auch das Nachdenken über Approval Plans macht hier nicht mehr wirklich Sinn! 😎

Was die inhaltliche Erschliessung angeht, habe ich ja immer noch die Illusion, dass die Vergabe von Schlagwörtern und Notationen dazu beiträgt, das Retrieval, besonders den Recall durch die im Normdatensatz mit verknüpften Synonyme zu verbessern oder überhaupt erst sinnvolle Drill-Down-Menüs in sogenannten Next-Generation-Katalogen wie TUBfind zu ermöglichen. Auch können ja vielleicht Ideen wie die von Lambert Heller zur Erschliessung von Literatur via Wikipedia die sachliche Erschliessung ins Semantic Web hinüberretten!

Aber auch die dritte Säule der eigenen Fachreferatsarbeit, die Förderung von Informationskompetenz, ist an einer technischen Universität nicht so nachgefragt, wie man es sich trotz eigener Aktivitäten und Erfolgserlebnisse eigentlich wünschen würde.

Aber auch Blog-Beiträge fördern die Informationskompetenz potentieller Leser. Hier ein paar Beispiele hinsichtlich:

Auch sonst bleiben die Themen, mit denen man im Fachreferat konfrontiert wird oder sich selbst konfrontiert, interessant:

  • Wie kann ein zeitgemäßer Subject Guide im Webauftritt der Bibliothek aussehen?
  • Bibliometrische Analysen für das Forschungsrating, Beratung zur Literaturverwaltung und zum Publizieren werden immer wieder mal nachgefragt .
  • Aber auch ganz klassisch: Wie sieht zeitgemäßes und kundenorientiertes Bestandsmanagement im Lernort Bibliothek aus? Sprich, wieviele und welche gedruckten Bücher machen in Bibliotheksräumen und Lesesälen noch Sinn, wenn – wie von der Bibliothek der schwedischen Chalmers University of Technology schon heute – in Zukunft fast nur noch elektronische Medien angeschafft werden?
  • Ausbaufähig bleibt sicherlich die Beteiligung des Fachreferats an Universitätsbibliotheken aber auch der gesamten Bibliothek in den Bereichen Lernen und Lehren sowie Wissensmanagement (klassischer Beginn wäre hier die Hochschulbibliographie).

Das Hauptproblem der verschwundenen Tätigkeiten liegt für mich aber darin, dass diese gleichzeitig die Grundlage für Stellenbewertungen und Eingruppierungen, vgl. die Situation bei der sogenannten Entgeltordnung (Kampagne vom BIB), darstellen, was Verhandlungen zum Erhalt von Stellen nicht einfacher machen dürfte. Damit kann verhindert werden, dass neue Ideen über neue Köpfe kaum noch Eingang ins Bibliotheks- und Informationswesen bzw. konkret in die jeweilige Institution finden! Und dies ist nicht nur für Bibliotheken und Informationseinrichtungen, sondern auch für deren Kunden fatal!

Der Schlusssatz meines Beitrages mit dem Titel "Helfer im Informationsdschungel" aus dem Jahre 2006 bleibt aber weiterhin gültig:

"Für mich ist kaum ein anderer Beruf denkbar, bei dem man aufgrund der heterogenen fachlichen, technischen und menschlichen Anforderungen so am Puls der Zeit bleibt wie als Informationsspezialist an einer Universitätsbibliothek."

Dies auch aufgrund und trotz der Ungleichzeitigkeiten, die mich an einen meiner Lieblingsphilosophen Ernst Bloch erinnern! 😎

Informationskompetenz kritisch betrachtet

In einem längeren Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 26. Mai 2011 mit dem Titel "Liebe Marie" beschreibt Henning Sussebach die Problematik und Konsequenzen der Schulzeitverkürzung von 9 auf 8 Jahre am Gymnasium. Dort finden sich auch folgende Sätze, die mit einem Zitat des Pädagogen Andreas Gruschka beginnen (S. 17):

"Er [Gruschka] sagt: ‚Die Kinder heute lernen Organisation und Präsentation.‘ Referate, Wochenpläne – er hält das alles für eine Vorbereitung auf ein kritikloses Büroleben, in dem der Chef in der Tür steht und sagt: ‚Frau Müller, stellen Sie mir bis Freitag bitte alles über die indischen Märkte zusammen!’"

Mir ist hier mal wieder bewusst geworden, dass man nicht nur die Praxis von Informationskompetenz-Aktivitäten von Bibliotheken kritisch betrachten kann, sondern insgesamt die Inhalte von Informationskompetenz kritisch hinterfragen muss.

Es geht nicht unbedingt darum, dass aufgrund von Informationskompetenz SchülerInnen und Studierende besser in der Arbeitswelt "funktionieren", sondern darum, dass sie gefördert werden, ihre Nutzung von Informationsressourcen kritisch zu reflektieren: Warum nutzen so viel Google und welche Gefahren sind damit verbunden? Warum sind viele Datenbanken kostenlos? Wie ist die gefundene Information entstanden und wie zuverlässig ist diese?

Am Schluss eines Aufsatzes zitierte ich mal aus einem Interview mit dem amerikanischen Informationstheoretiker Ronald Day (vgl. Day, Ronald E. and Ajit K. Pyati (2005): ‚We Must Now All Be Information Professionals‘: An Interview with Ron Day. In: InterActions: UCLA Journal of Education and Information Studies, 1(2), Article 10), das genau das, was das Zitat aus der Zeit meint, thematisierte:

"We don’t need to interpret information, we don’t need to ask how it is produced, we don’t need to ask any question of its powers; we simply need to make use of it. […]
Information, in this sense, has connotations of efficiency and of productivity[…]
We are always responsible, whether we want to be or not, in a larger sense than our institutional and professional roles. That is, we are always in response to other human beings and to other beings in general. We are in-formed, that is, always within processes of being formed by our way of responding. ‚In-formation’ in this sense, as ‘affective’ and becoming is inseparable from ‘communication’ – in the sense of responding within the condition of being in-common." (S. 3 und S. 7)

Beim Bibliothekartag nächste Woche in Berlin hält Wilfried Sühl-Strohmenger aus Freiburg einen vielversprechenden Vortrag mit dem Titel "Förderung von Informationskompetenz durch Bibliotheken – Aus berufsethischer Sicht". Primär geht es hier wohl um die Problembereiche des Urheberrechts und des Plagiarismus. Aber die spannende Frage, ob durch Form und Inhalt von bestehenden Informationskompetenz-Aktivitäten eher "funktionierende", statt kritische Bürgerinnen und Bürger das Ergebnis sind, wäre für mich auch eine berufsethische!?

Zur sozialen Konstruktion von Recherche-Ergebnissen

Zum Nachdenken über die Alternative zwischen der Verbesserung von Recherche-Tools und der Förderung von Informationskompetenz finde ich als Modell die in diesem Blog vor kurzen schon mal erwähnte Akteur-Netzwerk-Theorie von Latour und anderen interessant. Akteure und ihre Netzwerke in diesem Sinne lassen die Realitäten von Nutzenden und ihren Suchsystemen inklusive deren Produzenten vielleicht besser verstehen. Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist als Modell geeignet, um die Wirklichkeit des Zusammenspiels von menschlichen (Nutzende, ITler, BibliothekarInnen, Oberflächen-Designer, InformationsarchitektInnen usw.) und nicht-menschlichen Akteuren (Katalogisierungsregeln, Normdaten, Metadaten, Struktur der Daten, maschinelle Indexierung, Katalog-Software, Oberflächengestaltung usw.) beim Recherchieren zu erklären.

Die konkrete Recherche wird eigentlich wirklich sozial konstruiert! Das reale Recherche-Ergebnis wird durch eine Vielzahl von Faktoren in Form menschlicher und nicht-menschlicher Akteure beeinflusst. So wird die konkrete Wirklichkeit der Recherche in einem Katalog zunächst zwischen Nutzendem und System ausgehandelt (klassisches Modell des Information Retrieval). Die Wahl der Suchbegriffe des Nutzenden beeinflusst das Recherche-Ergebnis, das aber auch von einer Vielzahl anderer Komponenten abhängt:

  • Vielleicht wird durch Indexierung und Berücksichtigung von Normdaten wie der Schlagwort-Normdatei automatisch nach Synonymen mit gesucht, ohne dass der Nutzende dies merkt.
  • Die Rechercheerfahrung und Informationskompetenz aber auch die fachliche Kompetenz des Nutzenden beeinflussen das Ergebnis.
  • BibliothekarInnen versuchen durch Informationskompetenz-Aktivitäten die Kompetenz des Nutzenden zu fördern. Dies kann unmittelbar durch Ausnutzen von ‚teachable moments‘ auf direkter menschlicher Ebene erfolgen, aber auch mittelbar durch die Gestaltung nicht-menschlicher Akteure, wie dem Angebot von Drill-Down-Menüs über die Recherche-Oberfläche.
  • Veraltete Katalogisierungsregeln als nichtmenschliche Akteure erschweren eventuell die Recherche, können aber vielleicht teilweise durch verbesserte Indexierung oder bessere Oberflächengestaltung "neutralisiert" werden.
  • Bei manchen Recherchesystemen beeinflusst auch das Verhalten bzw. Recherchieren anderer Nutzender die Ergebnisse. (vgl. auch dieses Exzerpt (rtf-Datei!) aus einem Aufsatz. Ich biete dieses sonst im Rahmen von Citavi-Workshops zum Üben der Verknüpfung zwischen Literaturverwaltung und Textverarbeitung an.)

Obiges hatte ich schon vor einiger Zeit geschrieben und eigentlich wollte ich das ganze noch weiter ausführen, aber irgendwie komme ich nicht dazu. Daher hier unfertig, wie manches in diesem Blog!

25 Jahre Tschernobyl und die Information und Kommunikation

Mein erster Sohn spielte damals bei "strahlendem" Wetter im Sandkasten. Als Tschernobyl vor 25 Jahren passierte, sammelte ich selbst gerade meine ersten beruflischen Bibliothekserfahrungen als Bibliotheksreferendar an der Unversitätsbibliothek der TU Berlin. Mir ist erst vor kurzem bewusst geworden, dass das Ereignis von Tschernobyl, das mich deutlich geprägt hat, so eng mit meinem Berufsleben verknüpft ist.

Schon länger ist mir bewusst, dass das Hauptargument gegen die Nutzung von Atomkraft eigentlich ein Argument aus dem Informations- und Kommunikationsbereich ist. Wollte man die Endlagerung von Atommüll für Jahrtausende sichern, müsste man die Information, dass sich an den Plätzen der Endlagerung bestimmte lebensgefärliche Stoffe befinden, so gestalten, dass auch in Jahrtausenden die Information noch gelesen und verstanden wird. Hierbei taucht zunächst die Frage und Problematik des Trägermaterials für die Information auf. Am sichersten wäre wahrscheinlich Stein, aber auch die Tontafeln der ältesten Bibliotheken im antiken Mesopotamien haben sich nicht vollständig bis heute erhalten. Die zweite Problematik ist dann natürlich die Frage der Schrift bzw. Sprache, in der diese wichtigen Informationen über Jahrtausende überliefert werden müssten! Beide Problembereiche erscheinen mir nicht wirklich lösbar. Schon die kurze Geschichte der Asse hat ja gezeigt, dass das genaue Wissen, was dort zwischengelagert wurde, verschwunden ist!

Auf dem Weg zu einer Theorie von Informationskompetenz …

… befindet sich Marianne Ingold mit ihrer Arbeit zum Begriff "Information als Gegenstand von Informationskompetenz". Dies ist ein ganz spannender Text, endlich passiert mal etwas mehr in Deutschland zur Informationskompetenztheorie. Ich wünschte mir nur mehr Zeit zum genauen Lesen! Zur Reflexion über den Kern von Informationskompetenz gehört eben auch die Reflexion über die Begriffe Information und Kompetenz.

Auf meinem Schreibtisch liegt zum genaueren Studieren auch noch der theoretische Aufsatz von Aleksander Knauerhase mit dem Titel "GMMIK [‚gi-mik] – Ein Modell der Informationskompetenz", veröffentlicht im Konferenzband "Semantic Web & Linked Data : Elemente zukünftiger Informationsinfrastrukturen ; 1. DGI-Konferenz ; 62. Jahrestagung der DGI ; Frankfurt am Main, 7. – 9. Oktober 2010 ; Proceedings / Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis", hrsg. von Marlies Ockenfeld (Frankfurt am Main : DGI, Dt. Ges. für Informationswiss. und Informationspraxis, 2010, S. 237ff).

(Entweder) Informationskompetenz oder/und bessere Recherche-Tools!?

Die interessante Diskussion zwischen Anne Christensen, Dörte Böhner und anderen (Jakob Voss, Till Kinstler), was als Bibliotheksaktivitäten wichtiger sei, die Förderung von Informationskompetenz oder der Aufbau bessere Recherche-Instrumente, ist so alt wie das Thema Informationskompetenz, aber so alt wie sie ist, so wichtig ist diese auch. Man sollte aus meiner Sicht beides nicht voneinander trennen oder gegeneinander ausspielen!

Die Gegenüberstellung von Informationskompetenz und Recherche-Tools betont allerdings einseitig die Recherche-Komponente von Informationskompetenz. Informationskompetenz ist aber mehr, es geht um den gesamten Umgang mit Information, der Teil jeden Lernprozesses ist: ein reales Problem wird mit Hilfe oder Unterstützung von Medien (diese können auch Menschen sein) bearbeitet, und das Produkt des Problemlöseprozesses wird wiederum als Information in medialer Form weitergegeben.

Was ist der Kern von Informationskompetenz? Diese Frage beschäftigt mich schon lange. Im letzten Blog-Beitrag hatte ich Julia Bergmanns Frage, was sind grundsätzliche Kernvoraussetzungen, um als Individuum informationskompetent zu werden, und ihre Antworten erwähnt. Was aber ist inhaltlich wichtig, wenn man die Welt der (wissenschaftlichen) Information verstehen will? Was sagt man jemandem, dem man in 2-3 Minuten die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte von Informationskompetenz nennen will? Vielleicht auch Folgendes …

  • Man sollte nie nur eine Quelle vertrauen! Eigentlich ist dies aber Teil der vorausgesetzten kritischen Haltung.
  • Man sollte wissen, wie wissenschaftliches Wissen entsteht! Vor einigen Jahren habe ich dazu schon mal was aufgeschrieben: "Informationskompetenz umfasst die Reflexion über die Entstehung von Information und Wissen sowie die erkenntnistheoretische Problematik der Bewertung und Gültigkeit von Wissen und damit über die soziale Konstruktion von Wissen und Wissenschaft." Genau dann kommen nämlich Fragen wie Peer Review, Plagiate und die Problematik von Zitatanalysen in den Blick, die wir in Bibliotheken Arbeitende beim Thema Informationskompetenz viel zu wenig berücksichtigen!
  • Sei beim Recherchieren und Informieren jederzeit auf Veränderungen gefasst!
  • Die Frage der Informationsbewältigung und des Umgangs mit der Informationsflut.
  • … ?!

BTW: Der Status-Bericht von Anne inkl. konstruktiver Vorschläge zum Thema "Informationskompetenz today" trifft die Situation!

Ein Wort noch zur Terminologie: Es wird oft immer noch von Vermittlung von Informationskompetenz gesprochen, als ob man Kompetenzen vermitteln kann (siehe auch ein Artikel von Karsten Schuldt, auf den in diesem Blog schon mal hingewiesen wurde!). Man kann nur den individuellen Aufbau von Kompetenzen fördern. Natürlich umfasst Informationskompetenz auch Wissenselemente und Fertigkeiten, welche vermittelbar sind, aber eigentlich geht es um eine (auch selbst-)kritische Haltung zu Informationsprozessen. Ich glaube ja immer noch, dass Begriffe wie Informationskultur oder Informationsbildung sinnvoller sind als Informationskompetenz (dies zu Annes letztem Punkt ihrer Vorschläge!).

Informationskompetenz neu gedacht – Informationskompetenz leicht gemacht?!

"Informationskompetenz neu gedacht" war der Titel eines Session-Vorschlags beim 4. Bibcamp vom 11. bis 12. März in Hamburg. Durch einen (absichtlichen?!) Hörverständnisfehler bei der Session-Planung wurde daraus zuerst "Informationskompetenz leicht gemacht"! Ich finde, heutzutage hat beides seine Berechtigung.

Zustande kam diese Session übrigens eigentlich durch ein Versehen. Anne Christensen hatte sich den Titel für die Themensammlung vor dem eigentlichen Bibcamp als Dummy und Beispiel ausgedacht. Ich selbst hatte dies gesehen und gedacht, mit Anne über dieses Thema zu diskutieren, dass wäre doch bestimmt spannend. Das dachten dann mehrere weitere Bibcamp-Teilnehmende und dann war auch noch ein Moderator gefunden worden.

Zum Bibcamp als Ganzem habe schon Andere ausführlicher gebloggt (Anne, Dörte, Markus). Die Dokumentation der 33. Sessions ist zur Zeit in vollem Gange. Nach meiner Teilnahme beim 3. Bibcamp im letzten Jahr plante ich für dieses Jahr eigentlich eine Session mit dem Titel "Das Internet vor 101 Jahren". Aber als Teil des Orga-Teams konnte ich es nicht verantworten, 😎 eine solche Session, die hauptsächlich eine Erläuterung von Folien dargestellt hätte, im Rahmen dieses Bibcamps anzubieten. Vielleicht im nächsten Jahr unter dem Titel "Das Internet vor 102 Jahren"!

Nun aber zur Session, zu der ich hier zusammenfassend, gespickt mit eigenen Anmerkungen, mein Wahrnehmungen aufgeschrieben habe. Insgesamt wurde vielfätige, auch grundlegende Fragestellungen zur Förderung von Informationskompetenz (IK) durch Bibliotheken explizit angesprochen, aber auch das, was implizit bei manchen Diskussionsbeiträgen für mich fühlbar schien, möchte ich hier thematisieren.

Im Browsing-Einstieg zur von Matti Stöhr mit Unterstützung von Silvia Czerwinski moderierten Session wurde als besondere Problematik der Förderung von IK durch Bibliotheken das Auseinanderfallen von Anspruch und Realität, von Inhalt und Form betont. Es wurde sogar von "wildem Aktionismus" von Bibliotheken im Bereich IK gesprochen. Vom Anspruch her impliziert IK inhaltlich mehr als Katalog- und Datenbank-Recherche. Es umfasst das wissenschaftliche Arbeiten und das Lernen Lernen, wie Werner Tannhof bzw. Julia Bergmann betonten. Andererseits kommt man beim Recherchieren auch ohne (bibliothekarisch gedachte) IK oft zu guten oder zufriedenstellenden Ergebnissen. "Informationskompetenz leicht gemacht" erfolgt heute durch gut gemachte Oberflächen von Datenbanken, die die IK der Nutzenden "fast automatisch" fördern.

Die IK-Angebote von Bibliotheken, erarbeitet oft mit Sicht auf den eigenen Bestand und die von ihnen subskribierten Datenbanken, dürfen die Sicht auf Tools wie Google, Facebook, Delicious usw. mit deren Problematik aber auch mit deren berechtigtem Mehrwert nicht ausklammern. Sonst werden Bibliotheken unglaubwürdig. Die Klage, dass die Studierenden nicht zu uns kommen, hilft nicht weiter: Bibliotheken müssen nach außen, zu den Studierenden gehen. Julia Bergmann betonte, wichtig sei das Ansetzen bei generellen Strategien, aber auch die Möglichkeit individuelle Fragen an Info-Desks, die z.B. zusammen mit dem jeweiligen Rechenzentrum bestzt werden können, beantwortet zu bekommen. Gerade wenn ein gewisser Leidensdruck da ist, werden kompetente Ansprechpartner benötigt! Julia fragte auch danach, was aus dem Gaming für die IK-Förderung gelernt werden kann.

Auf die Frage "Wie kamen Bibliotheken zum Thema Informationskompetenz?" wurde die These formuliert, dass die Beschäftigung mit IK die Folge politischer Entscheidungen im Zuge der Bologna-Studienreform sei: Dies gilt vielleicht für die Bibliotheken, die explizit als Folge der Reform Angebote erarbeiteten. Insgesamt gesehen ist es aber vielleicht auch so, dass aufgrund der Entwicklung von Informationstechnik und Internet herkömmliche Konzepte unter dem Label "Benutzerschulung", im angloamerikanischen Bereich, wie ich finde, besser als "user education" bezeichnet, nicht mehr ausreichen. Eigentlich sollte man heute eher von "Informationsbildung" als Aufgabe auch – aber nicht nur – von Bibliotheken sprechen. Die Realität der IK-Förderung durch Bibliotheken können aber – und dies wurde in der Diskussion ganz deutlich gesagt – nur Bibliotheken ändern, diese Realtität wird von uns gemacht! Olaf Eigenbrodt betonte nochmals seine schon in Leipzig geäusserte Auffassung, dass eine Status-Begründung von BibliothekarInnen durch Dozententätigkeit von außen gesehen selten glaubwürdig wirkt. Unterstützung von Lehrenden und Forschenden durch Informationsprofis als Partner, auch dies wäre eine Integration von IK in ihren Kontext und ins Curriculum.

Ein Diskussionsstrang der Session fragte nach der Definition von Informationskompetenz. Natürlich kann man hier die Standards runterbeten! 😎 BibliothekarInnen wollen oft klare Definitionen, Regeln und Standards. Aber beim Lernen und damit auch beim Thema IK ist die eigene Perspektive und der eigene Kontext entscheidend für den Erfolg. Kompetenzen können nur Individuen entwickeln, und diese sind eben total unterschiedlich in ihren Voraussetzungen und vielfältig in ihren Ansprüchen.

Schon die Literatur, zum Begriff, was Information eigentlich ist, ist heutzutage mit ihren vielfältigen Antworten kaum noch zu überschauen (Ergänzt am 18.3.2011: Vgl. dazu auch die Kategorie "Philosophy of information" dieses Blogs). Bei Fragen des Inhaltes und der Methoden der IK-Förderung scheint oft Unzufriedenheit und Ratlosigkeit zu herrschen, z.B. darüber, dass es kaum einen Minimalkonsens zur IK durch Bibliotheken gibt. Ich denke, nur aus solcher bewussten Unsicherheit heraus ist die Vielfalt möglich, die es Bibliotheken vielleicht erlaubt, einen Teil der Vielfalt der Bedürfnisse, die unsere Nutzenden hinsichtlich des eigenen Informationsverhaltens haben, aufzunehmen und zu erfüllen.

In der Diskussion kam die Frage nach den Kernkompetenzen von IK. Hier helfen die Standards nicht so richtig weiter, denn man sollte vielleicht besser fragen, was sind grundsätzliche Kernvoraussetzungen, um als Individuum informationskompetent zu werden. Julia Bergmann nannte hier Neugierde (schon Suzanne Rockenbach hat dies so gesehen), die Fähigkeit zu spielen und die Zeit dafür zu haben. Zeit ist dabei ein Grundproblem, nicht nur bei den in Bibliotheken Arbeitenden, sondern auch bei deren Nutzern. Dazu kommen aus meiner Sicht als Kernvoraussetzungen eine kritische Haltung und ein genereller Zweifel (wieder schon bei Rockenbach!) an dem, was man beim Informieren findet, sowie ein regelmäßiges überprüfendes Infragestellen des eigenen Informationsverhaltens.

Wie könnte so etwas wie Best Practice in IK-Förderung durch Bibliotheken aussehen? Genannt wurde eine Reduzierung des eigenen Anspruches, z.B. dadurch, dass man Schulung auch als Marketing-Massnahme ansieht, sowie das Bewusstsein, dass Datewnbank-Recherche als inhaltliche Hauptkomponente bibliothekarischer IK nur ein Teil des Ganzen ist. Als konkretes Beispiel möchte ich hier Aktivitäten von Christian Hauschke ergänzen, der sogenannte "Stippvisiten" in Lehrveranstaltungen macht, um für Schulungs- und Beratungsangebote der Bibliothek zu werben. Die Studierenden werden aufgefordert, sich selbst organisierend an die Bibliothek zu wenden, wenn sie als Kleingruppe eine Veranstaltung haben wollen. Meiner Erfahrung nach bringen von Studierenden selbst organisierte, geforderte und nachgefragte Aktivitäten von Bibliotheken zur IK die meiste Befriedigung für alle Beteiligten!

Menschliche und nicht-menschliche Akteure im Bildungs- und Informationsbereich

Das im letzten Beitrag schon erwähnte Lehrbuch für Lehren und Lernen mit Technologien (#L3T) enthält einen spannenden Beitrag von Andrea Belliger, David J. Krieger, Erich Herber und Stephan Waba zur "Die Akteur-Netzwerk-Theorie [ANT]- Eine Techniktheorie für das Lernen und Lehren mit Technologien".

Diese vom französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour mit entwickelte Theorie bzw. Methode weist auch nicht-humanen Akteuren wie Medien, Maschinen usw. eine wichtige Rolle bei der Kommunikation im Bereich Technik und Gesellschaft zu. Diese Theorie scheint damit auch für den Bildungsbereich nutzbar zu sein.

Wenn Menschen, Technologien aber auch Artefakte aus dem Bildungsumfeld als handlungstragende Akteure im technologiebasierten Unterricht verstanden und in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden, gelingt es uns, die Realitäten des Unterrichts- und Lernverhaltens zu verstehen und in didaktischen Einsatzszenarien zu berücksichtigen. Modellhafte Akteur-Netzwerke könnten dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die sozialen Wirklichkeiten des Zusammenspiels von Akteur-Netzwerken in der Bildungspraxis zu erzielen.

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Zwei neue Tutorials/Texte zur praktischen Informationskompetenz

Beide hier erwähnten Tutorials/Texte zur Verbesserung der eigenen praktischen Informationskompetenz berücksichtigen relativ kurz und knapp alle wichtigen Aspekte einer systematischen Informationssuche und -bearbeitung.

Zur Wahrheit/-nehmung des Internets: Never-Better, Better-Never oder Ever-Waser?!

In der Zeitschrift "The New Yorker" hat der Autor Adam Gopnik unter dem Titel "The Information : How the Internet gets inside us" eine interessante Beschreibung gegeben, wie heutzutage das Internet in seiner Wirkung auf Alltag, Mensch und Welt beurteilt wird. Er unterscheidet dabei drei Kategorien von Stellungnahmen, die von Never-Betters, Better-Nevers oder Ever-Wasers.
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