Informationskompetenz beim Österreichischen Bibliothekartag

Beim Österreichischen Bibliothekartag in Wien, bei dem einer der Schwerpunkte beim Thema Offenheit lag (siehe auch Link zu Bericht zum Bibliothekartag im ETH-Bibliotheks-Blog), gab es eine Reihe von Vorträgen zur Informationskompetenz, die ich besucht habe. Nur von diesen berichte ich hier kurz.

Die Britin Jane Secker berichtete von Aktivitäten in Großbritannien, die immer mehr weit über die Hochschulbildung hinausgehen: „Information literacy beyond the academy : recent perspectives from the UK„. Ein besonders erwähnenswertes britisches Projekt ist SADL (Student Ambassadors for Digital Literacy), das sogenanntes „peer-learning“ im Fokus hat.

Der Vortrag von Fabian Franke „Informationskompetenz in Deutschland“ ermöglichte es, die deutsche Situation von außen anders wahrzunehmen. So konnte die Vielfalt der Statements zu Informationskomeptenz von Wissenschaftsorganisationen und Politik in Deutschland (zuletzt z.B. von der HRK) durchaus auch die Entwicklung in Österreich beschleunigen.

Robert Tobwein und Karin Ruhmannseder stellten ihre Lehrveranstaltung „Digitales Wissensmanagement – Survival Kit Bibliothek“ vor, die als ECTS-Kurs an der Universität Salzburg eine Einführung wissenschaftliche Arbeitstechniken bietet und an der, ähnlich wie bei einem Seminar Wissenschaftliches Arbeiten des Berichtenden an der TU Hamburg-Harburg, unterschiedlichste Experten der verschiedensten Institutionen der Universität beteiligt sind. So ist hier sogar die Rechtsabteilung der Uni eingebunden.

Im Rahmen des 2. Forums Informationskompetenz: Standards und Frameworks zur Informationskompetenz diskutierten die Teilnehmenden neue Entwicklungen im anglo-amerikanischen Bereich. Diese wurden zunächst von der Organisatorin des Forums, Karin Lach, kurz vorgestellt:

Danach gab es drei Impulsvorträge von Brigitte Schubnell aus Zürich, Michaela Zemanek aus Wien und vom Berichtenden. Ich thematisierte die unterschiedlichen, sich in der Fachliteratur niederschlagenden (drei) Sichten auf Informationskompetenz (Folien auch bei Slideshare), die ihn auf eher theoretischer Ebene nach dem Kern von Informationskompetenz als Konzept und Praxis fragen lässt. Mit Bezug zum wissenschaftlichen Arbeiten bzw. zum Forschungsprozess werde hier vor dem Hintergrund akademischer Fachkulturen eine erkenntnistheoretische (epistemologische) Komponente sichtbar, eine „epistemic literacy“.

Für Brigitte Schubnell, die die besondere kulturelle, auch sprachlich bedingte Vielfalt der Situation in der Schweiz hervorhob, dienen Standards und Modelle eher zur Verständigung untereinander und weniger als Rechtfertigung nach außen.

Michaela Zemanek betonte, dass Informationskompetenz nicht allein ein Thema von Bibliotheken ist, dass diese im akademischen Kontext auch ein Teil der wissenschaftlichen Sozialisation sei, sowie dass es darauf ankomme, Einsichten zu fördern, und nicht Checklisten zu unterrichten. In Österreich hat das Thema Informationskompetenz einen großen Aufschwung genommen, da seit 2013 eine „Vorwissenschaftliche Arbeit“ Bestandteil der Reifeprüfung ist.

In der weiteren Diskusssion wurden u.a. Fragen diskutiert, wie die Theorie zur Praxis komme, wie Informationskompetenz zu Themen wie Evaluation und Akkreditierung passe u.a.m. Insgesamt gesehen sind die erwähnten Standards und Modelle auch als Angebote zu sehen, um mit Kolleginnen und Kollegen aber auch mit den Lernenden ins Gespräch zu kommen. Es sei vielleicht auch notwendiger, weniger zu diskutieren und mehr (auch intuitiv) zu handeln.

Für den Berichtenden ist deutlich geworden, dass es beim Thema Informationskompetenz international ähnliche Diskussionen gibt und dass der Aspekt der Offenheit (im Sinne Offenheit für andere Ansätze, aber auch im Sinne der Berücksichtigung von Themen der Offenheit innerhalb der Informationskompetenz (Open Access, Open Data; Open Educational Resources) hier sehr gut dazu passt.

Die Folien zu den Vorträgen werden wohl nach und nach auf dem BIB Opus-Publikationsserver veröffentlicht werden.

Open Educational Resources und Bibliotheken

Open Educational Resources (OER) sind "Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in Form jeden Mediums, digital oder anderweitig, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, welche den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen erlaubt“ („Leitfaden zu Open Educational Resources in der Hochschulbildung“, hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission, Bonn 2015, S. 5).

Ein wirklich alle Bereiche von OER betrachtende "Whitepaper zu Open Educational Resources (OER) an Hochschulen in Deutschland" von Markus Deimann, Jan Neumann und Järan Muuß-Merholz fasst den Stand der Diskussion im Frühjahr 2015 zusammen. Der letztere betreibt auch die Transferstelle für OER mit vielen weiteren Infos zum Thema. Auf politischer Ebene gibt es einen Anfang des Jahres von BMBF und KMK publizierten "Bericht der Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes zu OER". Im Rahmen eines vom BMBF geförderten Projektes von Wikimedia Deutschland, Mapping OER, sollen folgende zentrale Herausforderungen von OER untersucht werden:

  • "Wie kann Qualität auch bei offenen und freien Bildungsmaterialien sichergestellt werden?
  • Welche Arten der Weiterbildung bieten sich an, um Lehrende zum Thema OER zu schulen?
  • Welche nachhaltigen Finanzierungsmodelle sind in Bezug auf freie Bildungsmaterialien denkbar?
  • Wie kann die Lizenzierung der Materialien praxisnah gestaltet werden und welche urheberrechtlichen Fallstricke sind zu bedenken?"

OER und Bibliotheken

OER sind spätestens seit dem Aufsatz von Jan Neumann im Bibliotheksdienst auch ein Thema für Bibliotheken (siehe auch das Gespräch dazu zwischen Jöran Muuß-Merholz und Jan Neumann). Auch das oben erwähnte umfangreiche Whitepaper berücksichtigt das Thema Bibliothken in einem eigenen Teilkapitel (S. 48-50). Sichtbar ist dies auch durch die Vorträge von Jürgen Plieninger ("Was sind Open Educational Resources (OER) und was haben Bibliotheken damit zu tun?") und Adrian Pohl ("Metadaten für Open Educational Resources (OER) im deutschsprachigen Raum") auf einer Session zu OER-Metadaten im Rahmen eines Workshops der DINI AG KIM (Kompetenzzentrum Interoperable Metadaten – KIM) im Frühjahr 2015. Jürgen Plieninger hat in einem Wiki Material zum Thema OER und Bibliotheken gesammelt. Hier findet man z.B. auch Überblicke zur Recherche nach OER, vgl. auch eine Übersicht auf deutsche Quellen bei iRights.info von Jöran Muuß-Merholz.

Die OER-Metadaten-Gruppe vom KIM hat "Empfehlungen zur Publikation von OER-Metadaten (Entwurf)" gegeben. Schon 2013 wurde ein Papier "Metadaten für Open Educational Resources (OER). Eine Handreichung für die öffentliche Hand", erstellt von der Technischen Informationsbibliothek (TIB), publiziert.

Gerade die Frage der Metadaten stellt zur Zeit wohl eine große Herausforderung dar, da "große Teile der heute verfügbaren OER nur unzureichend mit Metadaten ausgezeichnet sind, die eine Grundvoraussetzung für das Suchen und Finden von OER darstellen." "Um diesen Missstand zu überwinden ist es deshalb erforderlich, OER mit Metadaten auszuzeichnen, wobei ein institutionsübergreifender einheitlicher Standard verwendet werden sollte. Voraussetzung dafür wäre, dass sich ein einheitlicher Standard entwickelt und in der Praxis etabliert. Der Standard sollte den Anforderungen der Praxis gerecht werden und genügend Felder enthalten, um aussagekräftig zu sein, aber ansonsten so schlank [wie irgend möglich (Hervorhebung T.H.)] sein, dass potentielle Metadatenredakteure [ich denke da eher an die Autoren selbst!] nicht abgeschreckt werden." (Whitepaper, S. 49)

Die Erstellung und das Angebot von Open Educational Ressources ist eine Form der Publikation. Publizieren impliziert dabei immer ein gewisses Qualitätsniveau, einerseits hinsichtlich Inhalt, andererseits aber auch hinsichtlich der technischen Art und Weise des Publizierens. Und hier kommen eben auch Bibliotheken ins Spiel. Weiterlesen

Was unter Informationskompetenz verstanden wird, verändert sich

Was unter Informationskompetenz verstanden wird bzw. wie diese wahrgenommen wird, verändert sich im Bereich der Hochschulbibliotheken auch in Deutschland. Informationskompetenz wird nicht nur aus Sicht von Bibliotheken gesehen. Ein Auslöser dazu war sicher das Papier der Hochschulrektorenkonferenz "Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern".

Die Förderung von Informationskompetenz ist zwar heutzutage essentieller Teil der Dienstleistungen von Bibliotheken. Oliver Schoenbecks Aufsatz "Informationskompetenz als Gestaltungsaufgabe" (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 62 (2015) H. 2. S. 85–93 – Nicht Open Access!) zeigt aber, dass Informationskompetenz nicht immer unter einem pädagogisierenden Blickwinkel gesehen werden muss. Einen vergleichbaren Ansatz bieten Thorsten Bocklage, Julia Rübenstahl und Renke Siems in "Informationskompetenz als Kuratieren von Wissensräumen" (Preprint eines Beitrages zur zweiten Auflage des "Handbuchs Informationskompetenz", hrsg. von Willy Sühl-Strohmenger. Berlin: De Gruyter 2016). Wenn es Bibliotheken im Hochschulbereich vermeiden, ein Sendungsbewusstsein zu entwickeln, dafür aber bedarfsgerecht und anfrageorientiert mit ihren Angeboten auf die Bedürfnisse der Nutzenden reagieren, kann Informationskompetenz als ein Thema der Förderung von Schlüsselkompetenzen durch die Hochschule insgesamt betrachtet werden. Die Angebote der Bibliothek sind also im Optimum vor allem Teil der Aktivitäten der Hochschule.

Hinwendung zur Forschung und zum wissenschaftlichen Arbeiten
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Rancières "Unwissender Lehrmeister" und Informationskompetenz

Vom französischen Philosophen Jacques Rancière habe ich das erste Mal durch einen Aufsatz von Sönke Ahrens gehört: Ahrens, Sönke: Die Unfähigkeit des Lehrmeisters und die Wirksamkeit des Lehrens (In: Koller, H.-C. ; Reichenbach, R. ; Ricken, N. (Hrsg.): Philosophie des Lehrens. Paderborn : Schöningh, 2012, S. 129–144). Mittlerweile habe ich das in diesem Aufsatz genannte Buch von Rancière gelesen: Rancière, Jacques ; Engelmann, P. (Hrsg.) ; Steurer, R. (Übers.): Der unwissende Lehrmeister: fünf Lektionen über die intellektuelle Emanzipation. 2., überarb. Aufl. Aufl. Wien : Passagen-Verl., 2009.

Am Beispiel des französischen Gelehrten Jean Joseph Jacotot (1770 – 1840) philosophiert Rancière mit Jacotot über "intellektuelle Emanzipation", ein Ziel, das letztendlich auch jeder Förderung von Informationskompetenz innewohnt. Jacotot hatte durch Zufall eine Unterrichtsmethode entwickelt, mit der er niederländischen Studenten die französische Sprache beibrachte, ohne dass Jacotot selbst niederländisch sprechen konnte. Grundlage und Medium seiner Methode war eine zweisprachige Buch-Ausgabe eines Textes eines französischen Schriftstellers, durch den sich die Studenten selbst Französisch beibrachten. Für ihn als "unwissenden Lehrmeister" wurden damit grundlegende Annahmen der Pädagogik in Frage gestellt.

Ich muss gestehen, dass ich beim Hören des Titels zuerst an uns in Bibliotheken Arbeitende gedacht habe, die versuchen, Studierenden, Forschenden und Lernenden die Welt der Information aus Bibliothekssicht zu erklären, oft ohne selbst die Lebenswirklichkeiten hinsichtlich der Informationsgesellschaft dieser Gruppen zu kennen oder erfahren zu haben. In einem gewissen Sinne geben wir uns als unwissende Lehrmeister. Beruhigt hat mich dann ein Satz in Sönke Ahrens‘ Aufsatz: „Rancière ernst zu nehmen, hieße also nicht nur zuzugeben: Jeder kann lernen, sondern auch: Jeder kann lehren.“ (S.132) Richtig verstanden ist hier nämlich auch das Konzept des Peer-to-Peer-Lernen angesprochen.

Das dieses Buch insgesamt fürs Bibliothekswesen nicht nur aus meiner Sicht wichtig sein kann, beweist die Aufnahme in die Liste an Werken im "Manual for the Future of Librarianship" des Centers for the Future of Librarianship der American Library Association. Im Folgenden sollen für mich entscheidende Zitate aus Rancières Text kurz erläutert werden. Letztlich bietet Rancière auch so etwas wie eine Theorie der Kommunikation unter Gleichen!

Zugegeben, das Folgende klingt teilweise ganz schön theoretisch, aber wenn man sich mal darauf einlässt, wird einem Manches bewusster und man sieht Vieles gelassener, auch im Bereich der Förderung von Informationskompetenz. Ein Auseinandersetzen mit dem Denken Rancières bietet sich auch als Grundlage einer kritischen Theorie bzw. Kritik von Informationskompetenz an.
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Anthropozän und Information(skompetenz)

Als ein Beispiel für Aktivitäten im Umfeld von Bildung für nachhaltige Entwicklung sei im Folgenden das sogenannte „Anthropozän-Projekt“ vorgestellt. Unter dem Begriff Anthropozän wird eine neue geochronologische Epoche vorgeschlagen, eine Epoche, in der alle biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde durch den Menschen beeinflusst werden.

Die Einsicht, dass der Begriff Anthropozän berechtigt ist, kann im Zeichen des Klimawandels zu einem Perspektivwechsel in Politik, Kultur und Gesellschaft aber auch bei uns einzelnen Menschen beitragen. Der Begriff wird aber durchaus auch kritisch gesehen. Gleichwohl wird der Begriff politisch stark unterstützt. In Deutschland haben sowohl das Haus der Kulturen der Welt in Berlin als auch das Deutsche Museum in München das Thema aufgegriffen (siehe unten).

Aus Informationskompetenz-Sicht ist interessant, dass es in der "Lyon Declaration on Access to Information and Development" (Lyoner Erklärung über den Zugang zu Informationen und Entwicklung) in den Punkten 3 und 4 heisst:

"Ein besserer Zugang zu Informationen und Wissen auf Grundlage der Alphabetisierung aller stellt einen unverzichtbaren Stützpfeiler der nachhaltigen Entwicklung dar. Die bessere Verfügbarkeit von hochwertigen Informationen und Daten sowie die Einbeziehung des Gemeinwesens in deren Erstellung ermöglicht eine umfassendere, transparentere Verteilung von Ressourcen.[…]
Informationsvermittler wie beispielsweise Bibliotheken […] sind in der Lage,[…] bei der Kommunikation, Organisation, Strukturierung und dem Verständnis der für eine solche Entwicklung entscheidenden Daten mit adäquaten Mitteln zu unterstützen, beispielsweise durch […] das Angebot von Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zur Förderung des Zugangs zu den für die Menschen wichtigsten Informationen und Dienstleistungen sowie ihres Verständnisses."

Für eine nachhaltige Entwicklung ist also auch Informationsbildung bzw. -kompetenz notwendig.

Es folgen nun weitere Hinweise auf Texte zum Thema Anthropozän, darunter auch zu ersten Ansätzen für ein Curriculum sowie zu einem Open-Access-Buch "Fantasien der Bibliothek" 😎
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Nachdenken über Information, Kommunikation und Wissen

"Information" ist seit langem ein vielfältig und oft benutzter Begriff im Alltag. Dessen Bedeutung erscheint dabei so vielfältig wie die Kontexte von dessen Benutzung. Dies ist die veränderte Online-Kurzfassung einer Besprechung, die vor kurzem auch gedruckt erschienen ist (Auskunft 34 (2014) 317-324). Behandelt wird das Buch „Theories of information, communication and knowledge : a multidisciplinary approach„, herausgegeben von Fidelia Ibekwe-SanJuan und Thomas Dousa (Dordrecht: Springer, 2014). Es umfasst Vorträge zu einem Kolloquium mit dem Titel “Colloque sur l’épistémologie comparée des concepts d’information et de communication dans les disciplines scientifiques (EPICIC)“ im Jahre 2011.

Anspruch des Bandes ist ein “multidisziplinärer” Ansatz, “Information” im Zusammenhang mit zwei weiteren wichtigen Schlagworten unserer Zeit, Kommunikation und Wissen, zu diskutieren. Begriffe definieren sich innerhalb von Theorien aber auch in der Praxis oft nur im jeweiligen Gebrauch und jeweiligen Bezug zueinander. Ein eindeutiger Gebrauch oder gar eine Definition der drei Begriffe ist nicht absehbar, wie auch in den Beiträgen dieses Bandes deutlich wird. Insofern greift das Hervorheben der drei genannten Begriffe noch zu kurz. Mindestens drei weitere wären hier zu nennen. In Zeiten von „Big Data“ sind Begriffe wie Daten, Medien und Dokumente genauso wichtig wie Information, Kommunikation und Wissen. All hier genannten Begriffe sind nur in einer "trans- und metadisziplinären" Sicht, welche der Band anstrebt, in ihrem Bedeutungsgefüge zu erfassen.

Die Diskussion um den Informationsbegriff ist einerseits geprägt von Versuchen, einheitliche Informationstheorien zu schaffen. Die ersten drei Beiträge von Søren Brier, Wolfgang Hofkirchner und Luciano Floridi bieten jeweils eher eine sehr einheitliche Sicht auf den Informationsbegriff, was natürlich die Gefahr erhöht, die eigene Sicht zu verabsolutieren und andere Sichten nicht mehr wahrzunehmen, wie Andrew P. Carlin in einer Rezension kritisch bermekt (Journal of the Association for Information Science and Technology 65, Nr. 6 (2014): 1299–1302, S. 1300). Andererseits werden unterschiedliche Informationsbegriffe teilweise pluralistisch und gleichberechtigt nebeneinander diskutiert. Auch Marcia J. Bates hebt in ihrem einschlägigen Enzyklopädie-Artikel das vielfältige Verständnis von Information hervor. Eine philosophische Sicht bietet der Eintrag „Information“ von Peter Adriaans in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2013 Edition).

Über die Verarbeitung von Information kann Wissen erzeugt werden, aus Wissen kann aber auch Information für andere stehen. Geht man davon aus, dass Information und Wissen z.B. in solcher Weise zusammenhängen, kommt man bei theoretischen Überlegungen zu Information und Wissen ohne erkenntnistheoretische (epistemologische) Betrachtungen nicht aus. Weiterlesen

Systematische Literatur-Reviews

Studierende sollten während ihres Studiums die Forschungslandschaft ihres Faches erkunden, insbesondere den aktuellen Stand der Literatur. Hier kann ein systematischer Literatur-Ansatz sinnvoll sein, damit die Recherche auf einem methodischen Unterbau steht. Ein Mitarbeitender der wirtschaftsorientierten Institute der TUHH hatte mir gegenüber als Weihnachtswunsch 😎 geäussert, die Erstellung systematischer Literatur-Reviews in einem Blog-Beitrag zu behandeln.

Gerade in heutiger Zeit der Informationsflut und in Bereichen inter- bzw. transdisziplinärer Forschung ist ein bewerteter Literaturüberblick zu einem bestimmten Thema oder zu einer definierten Forschungsfrage eine wichtige Voraussetzung am Beginn jedes wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens.

Systematische Literatur-Reviews sind besonders in den Fachgebieten der Medizin, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften von Bedeutung, da hier oft für Praxis und Politik "evidenz-basiert" über die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung im Rahmen der Wissenschaftskommunikation berichtet werden soll. Zur Entwicklungsrichtung der evidenzbasierten Medizin werden dabei aber durchaus auch Gegenpositionen eingenommen.

Für "Systematische Literatur-Reviews" ist charakteristisch, dass die Kriterien für die Auswahl der Quellen offen dargelegt wird. Auch das Vorgehen bei der Literatursuche wird ausreichend detailliert erläutert. Als Ergebnis des Reviews soll ersichtlich sein, was bekannt ist hinsichtlich der Fragestellung und was unbekannt ist bzw. wo noch Forschungsbedarf besteht.

Systematische Reviews in den verschiedenen Fachgebieten

Zum Thema "Systematisches Literatur-Review" gibt es in den einzelnen Fachgebieten eine Fülle an Ansätzen.

Es gibt sogar eine Open-Access-Zeitschrift zum Thema "Literature Reviews". Und auch in die Ingenieurwissenschaften dringt das Thema langsam ein:

  • Borrego, Maura; Foster, Margaret J.; Froyd, Jeffrey E. (2014): Systematic Literature Reviews in Engineering Education and Other Developing Interdisciplinary Fields. In: J. Eng. Educ. 103 (1), S. 45–76. DOI: 10.1002/jee.20038 (Paywall).
  • Kitchenham, Barbara; Brereton, Pearl (2013): A systematic review of systematic review process research in software engineering. In: Information and Software Technology 55 (12), S. 2049–2075. DOI: 10.1016/j.infsof.2013.07.010 (Paywall).

Letzter Aufsatz stellt ein systematisches Review über systematische Reviews dar, so wie dieser Blog-Beitrag eine Art narratives Kurz-Review über systematische Reviews darstellt. Bei narrativen Reviews werden die Artikel subjektiv und unsystematisch ausgewählt. 😎 Bei systematischen Reviews wird versucht, diese Subjektivität und Zufälligkeit durch verstärkten methodisch-formalen Aufwand zu verringern. Die Recherche nach interessanten Aufsätzen zum Thema Reviews wird ja etwas erschwert dadurch, dass viele Reviews zu fachlichen Fragen den Begriff ebenfalls mit sich führen und den Ballast bei der Recherche überproportional erhöhen.

Insgesamt erschien mir das Thema sehr "formalisiert", erinnerte es mich doch an die Standards der Informationskompetenz, eine lineare Folge von zu bewältigenden Schritten, um in jedem Kontext trotz der vielfältigen Einfluss-Faktoren ein optimales Ergebnis zu bekommen. Trotzdem kann ein Rahmen für Literatur-Reviews in Form einer einzuhaltenden Abfolge von Schritten eine sinnvolle Hilfestellung beim Einarbeiten in die Literatur darstellen.

Ausserdem verknüpft das Thema „Literatur-Reviews“ das Thema Informationskompetenz mit dem wissenschaftlichen Schreiben, ein Kernpunkt des von mir an der TUHH durchgeführten Seminars zum Wissenschaftlichen Arbeiten. Überzeugt vom Thema hat mich dann eine Gegenüberstellung zum "linking critical reading with self-critical writing" in der oben genannten Website der Cardiff Business School: die Fähigkeit, kritisch die vorhandene Literatur zu bewerten, ist natürlich notwendig, um selbst geschriebene Texte zu erstellen und zu strukturieren, aber auch um diese dann selbstkritisch zu bewerten und zu korrigieren.

Phasen eines systematischen Reviews

Weitere interessante Papers, die – nicht immer einheitlich – die Phasen eines Literatur-Reviews aufführen: Weiterlesen

Zum Wandel des Publikationsbegriffs in der post-digitalen Wissenschaft

Vor mehreren Wochen fand in Lüneburg an der Leuphana Universität "The Post-Digital Scholar Conference" statt. Veranstalter war das Hybrid Publishing Lab am dortigen Centre for Digital Cultures (Die Gelegenheit, einem anregenden Workshop vom Hybrid Publishing Lab zum Thema Open Access zu besuchen, nutzte ich schon einmal vor einem Jahr.). Vortragende aus Deutschland und der Welt diskutierten die Entwicklung des wissenschaftlichen Publizierens mit Schwerpunkt im Bereich der Kulturwissenschaften. Die Konferenz ist von den Veranstaltenden reich dokumentiert, mit einem Nachbericht in deutscher Sprache, Twitter-Reviews und Blog-Posts mit Berichten nach der Konferenz, aber auch mit Kurz-Interviews mit den Vortragenden vor der Konferenz. Im Januar sollen die Videos der Panels ins Netz gestellt werden.

Hier folgen punktuelle Eindrücke, Entdeckungen und sonstige persönliche Nachwirkungen von der Konferenz. Im beruflichen Alltag war der Besuch einer solchen Konferenz sicher eine Ausnahme, jedoch möchte ich die vielfältigen aus ihr entstandenen und langfristig wirkenden Anregungen und Gedankenhorizonte nicht missen. Trotz eines eigenen Panels zu Bibliotheken waren aus dem deutschen Bibliothekswesen nur sehr wenige vertreten. Alle anderen verpassten die Möglichkeit eine interessante und kritische Gemeinschaft von Forschenden und ihren Themen zur Weiterentwicklung digitaler Kulturwissenschaften kennenzulernen.

Die Konferenz war eine gute Gelegenheit, internationale Wissenschaftler im Bereich kulturwissenschaftlichen Publizierens wie Kathleen Fitzpatrick, David M. Berry, Geert Lovink oder Gary Hall zu hören oder neu zu entdecken. Das Nachdenken über die Entwicklung der wissenschaftlichen Kommunikation findet in den Geistes- und Kulturwissenschaftlen speziell im Rahmen des Themenfeldes "Digital Humanities" statt. Vergleichbare Spezialgebiete sind in den von der digitalen Entwicklung viel früher betroffenen Natur- und Technikwissenschaften die sich nennenden Bereiche "e-Science" und "Science 2.0", die aber beide wesentlich weniger kritisch wirken als manche der Vertretenden der Digital Humanities (zumindest auf dieser Konferenz!) erscheinen.

Am Ende der nachstehenden Punkte folgen noch ein paar Gedanken zur Transformation des Publikationsbegriffes!

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Wissenschaft, Datenbanken und Bildung

Auf das Buch „Wozu Wissenschaft“ von Joachim Schummer (Wozu Wissenschaft? Neun Antworten auf eine alte Frage. Berlin: Kulturverlag Kadmos Berlin, 2014 – Einleitung auf der Website des Autors) wurde hier schon mal hingewiesen. Die Frage des Buches wird meistens nur in zweierlei Weise beantwortet: Wissenschaft werde getrieben um ihrer selbst willen oder zur Förderung der technischen Entwicklung. Der Autor entwickelt ausgehend auch von einer historischen Betrachtungsweise neun Zwecke von Wissenschaft: „Weltverbesserung, Methodenentwicklung, Erklärung und Aufklärung, Vorhersage, Innovation, Befriedigung von Neugier, Lebensform, Weltorientierung und Bildung“ (S. 179).

Der folgende Satz im Abschnitt Innovation hat mir besonders gut gefallen: 😎

„Für ein Wissenschaftspolitik, welche die Innovationskultur tatsächlich stärken wollte, ließen sich aus der Geschichte wichtige Schlüsse ziehen. Sie würde sich in erster Linie um das Dokumentationswesen kümmern, also die fachliche Strukturierung und Bereitstellung von Wissen in Bibliotheken, Archiven, Datenbanken und wissenschaftlichen Internetportalen.“ (S. 90-91)

Trotz dieser positiven Sicht auf Datenbanken hinsichtlich der Förderung von Innovation weist der Autor an anderer Stelle auch auf eine Herausforderung hin, bei der Datenbanken die Kreativität von Forschenden negativ beeinflussen können:

„Das Dokumentationswesen in Gestalt der Datenbanken optimiert zwar die Bewertung von Neuheit, bildet aber auch einen subtilen Druck für Forscher, genau diejenigen Untersuchungen durchzuführen, deren Ergebnisse leicht in die Datenstruktur einzufügen sind.“ (S. 100)

Das Buch von Schummer ist auch ein Beispiel dafür, warum historische Betrachtungen nützlich und hilfreich zum Umgang mit gegenwärtigen Herausforderungen sind. Dazu passt ein Hinweis auf das Essay „Mit Leidenschaft – Studiert Geschichte! Jahrelang!“ von Vincent-Immanuel Herr in der Zeit vom 11. September 2014 (S. 15).

Im Abschnitt "Bildung" als Zweck von Wissenschaft betont Joachim Schummer die Notwendigkeit des Nachdenkens über Wissenschaft auf einer Meta-Ebene, die Reflexion über die eigene Disziplin und deren sozial-gesellschaftliche Einbettung in die moderne Gesellschaft:

„Die Integration der Ethik, einschließlich der Entwicklung von geeigneten Lehrmethoden, die zur selbständigen Wertereflexion und zum Verständnis der jeweiligen Fächer in einem größeren Gesellschaftsrahmen befähigen, ist heute das größte Desiderat in der schulischen und disziplinären Bildung.“ (S. 172)

Dies passt zu Thesen, die von mir im Sommer während des Roundtables am Ende einer kleinen Konferenz mit dem Titel "New Directions in Digital History of Science" der IUHPS-DHST Commission on Bibliography and Documentation (CBD) am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin vorgetragen wurden:

The purpose is to argue for a proposal to integrate compulsory courses in the history, philosophy and sociology of the sciences in the curricula of all disciplines in higher education. The realization of this proposal would be a good possibility in all subjects to practice research methods and to develop media and information literacy as well as academic writing skills. A form of “Bildung” for information as information literacy is part of any learning to develop something like a “transformative literacy” which is necessary in a society, whose present and whose future depends on science and technology and which is urged to develop sustainably. This also implies reflection about science – about its characteristics and history, its theories, its methods, its purposes, its visibility and its benefits. Giving alternatives a chance within research and technology appears to be necessary for a transformation to a sustainable society.

Auch in Seminaren zum Wisenschaftlichen Arbeiten gehören Fragen nach dem Wesen von Wissenschaft zumindest am Rande mit in das Lernprogramm.

Sehr schön passt hier übrigens ein fiktiver Film-Dialog zum Thema "Was ist Wissenschaft?" zwischen Einstein, Nietzsche, Mach und anderen im Rahmen einer nun nur noch virtuellen Einstein-Ausstellung des Max-Planck-Institus für Wissenschaftsgeschichte.

Kritisches zum neuen Entwurf eines Framework for Information Literacy

Die ACRL ist dabei ihre Standards zu reformieren und ein neues sogenanntes „Framework for Information Literacy for Higher Education“ [Aktuelle Version, Zusatz 21.7.2015] zu entwickeln und zu diskutieren. Es wurde in diesem Blog schon mal darauf hingewiesen. An dieser Stelle wurden auch die Grundpfeiler des Frameworks, sogenannte "Threshold concepts", erläutert.

Im immer wieder lesenswerten Blog „Sense und Reference“ von Lane Wilkinson wurden in den letzten Wochen die „Threshold concepts“ des neuen Framework-Entwurfs einer kritischen Analyse unterzogen. Im letzten Beitrag zum Konzept „Information has value“ sind alle diese noch einmal verlinkt. Hier nochmal die im Framework im aktuellen Entwurf genannten „Threshold Concepts“:

  1. Scholarship is a Conversation
  2. Research as Inquiry
  3. Authority is Contextual and Constructed
  4. Format as a Process
  5. Searching as Exploration
  6. Information has Value

Dies ist eine sehr spannende Entwicklung, geht diese doch in Richtung einer Diskussion zum Kern von Informationskompetenz, wie ich dies z.B. auch in meinem letzten Vortrag mit dem Titel „Informationskompetenz in sich ständig verändernden Informationsumgebungen – zum Kern von Informationskompetenz“ besonders betont habe.

Ich hoffe, die Entwicklung geht nicht erneut hin zu sozusagen festgeschriebenen "Threshold concepts" im Bereich Informationskompetenz. Ich fasse diesen Entwurf als Vorschlag für eine nicht abzuschließende Diskussion auf, und zu dieser sollten im Optimum auch Lernende beitragen. So wie ich "Treshold concepts" verstanden habe, sollten diese möglichst zusammen mit Lernenden, Studierenden bzw. Informationen und Informationssysteme Nutzenden diskutiert und erarbeitet werden.

"Threshold concepts" sind keine Konzepte, die Ausdruck des Denkens eines Berufsstandes oder von Institutionen wie Bibliotheken sein sollten, sondern sie sind das Verständnis eines Fachgebietes oder wie hier den Umgang mit Informationen prägende "Schwellenbegriffe", durch die erst ein tieferes, "wirkliches" (aus wessen Sicht auch immer! 😎 ) Verständnis desselben bzw. hier von Informationsprozessen möglich ist. Berücksichtigt man dies, kann das neue Framework für mich durchaus ein vielversprechender Ansatz sein.

Ein neues Buch über Paul Otlet

Erscheint bald als gedrucktes Buch: Cataloging the world : Paul Otlet and the birth of the information age / Alex Wright (Oxford: Oxford University Press, 2014). Auch Wilhelm Ostwald wird im Buch erwähnt!

Alex Wright hat schon mehrmals etwas zu Otlet veröffentlicht und auch ein Buch zur Geschichte der Information geschrieben!

Weiteres zum neuen Buch von Alex Wright, zu dem es schon eine Menge Ankündigungen in Artikel-Form gibt (Sauberes Marketing, zu dem auch dieser Blog-Text beiträgt! 😎 ):

Nachdenken über Wissenschaft – nachhaltig!

Die Fragen "Was ist eigentlich Wissenschaft?" bzw. "Wie funktioniert Wissenschaft?" oder "Wie kommt Wissenschaft zu Wissen?" sollten Teil jeder Lehrveranstaltung zum Thema „"Wissenschaftliches Arbeiten" sein. Genauso sollte eigentlich jedes Studium Gelegenheit bieten, über Wissenschaft im Rahmen von Studienanteilen zur Wissenschaftsforschung, -geschichte, – philosophie, -soziologie und -theorie zu reflektieren.

Gerade aktuell erscheint ein Nachdenken über alternative Veränderungen von Wissenschaft immer wichtiger. Aus wissenschaftlich-technischer Sicht betrifft dies Entwicklungen in Richtung einer „Open Science“ (vgl. Bartling, S. & Friesike, S. (Hrsg.). (2014). Opening Science. The Evolving Guide on How the Internet is Changing Research, Collaboration and Scholarly Publishing. Cham: Springer International Publishing.), aus (umwelt-)politischer Sicht die Frage, wie eine Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft mit Hilfe von Wissenschaft und Technik gelingen kann (Vgl. die Notwendigkeit einer „transformative literacy“, dargestellt von Schneidewind, U. (2013). (Transformative Literacy. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse verstehen und gestalten. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 22 (2), 82–86).

Für die breite Öffentlichkeit bestimmte Werke zum Phänomen Wissenschaft unterstreichen die aktuelle Bedeutung von Reflexion über Wissenschaft, sind doch gerade in jüngster Zeit eine Reihe von schmalen, leicht zu lesenden Büchern dazu publiziert worden:

  • Zu Kennzeichen und Theorie von Wissenschaft lesenswert:
    • Mühlhölzer, F. (2011). Wissenschaft (Reclam-Taschenbuch). Stuttgart: Reclam.
    • Tetens, H. (2013). Wissenschaftstheorie : eine Einführung. München: Beck.
       
  • Zu Sichtbarkeit und Nutzen von Wissenschaft im Rahmen der gegenwärtigen Gesellschaft ein guter Einstieg:
    • Hoffmann, C. (2013). Die Arbeit der Wissenschaften. Zürich: Diaphanes.
    • Schummer, J. (2014). Wozu Wissenschaft? Neun Antworten auf eine alte Frage. Berlin: Kulturverlag Kadmos Berlin (Im Erscheinen, vgl. auch die Einleitung auf der Website des Autors).

Der Versuch, Wissenschaft zu verstehen, kann auch durch einen historischen Blick auf die Entstehung der verschiedenen Formen wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens unterstützt werden. Hier ein paar interessante Beispiele:

  • Rheinberger, H.-J. (2007). Historische Epistemologie zur Einführung. Hamburg: Junius-Verl. Vgl. zur Frage Was ist und wozu dient die historische Epistemologie? ein Konferenzbericht von 2008. Der Autor des Buches hat auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg im Oktober 2013 einen Vortrag mit dem Titel "Wissenschaftsgeschichte und das Wissen der Medien" (YouTube-Video) gehalten.
  • Daston, L. & Galison, Peter (2007). Objektivität. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hier werden Abbildungen bzw. Repräsentationen als Ausgangspunkt für die historische Entwicklung des Objektivitätsgedankens in den Wissenschaften genommen. Dabei kommen beim Thema besonders auch die Subjektivität der Wissenschaft Treibenden und deren notwendige wissenschaftliche Tugenden in den Blick.
  • Ziche, P. (2008). Wissenschaftslandschaften um 1900. Philosophie, die Wissenschaften und der nichtreduktive Szientismus. Zürich: Chronos. Zur Geschichte klassifikatorischer Überlegungen zur Grundlegung von Wissenschaft als Teil einer Wissenschaftlichkeitsgeschichte. Vgl. auch folgenden Artikel zum Thema Wissenschaft, an dem der Autor dieses Buches auch beteiligt war: Ziche, Paul; Driel, Joppe van: Wissenschaft, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2011-11-29. URL: http://www.ieg-ego.eu/zichep-drielj-2011-de URN: urn:nbn:de:0159-2011112141

Information hat Geschichte – Neue Publikationen

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"Threshold concepts" statt Standards zur Informationskompetenz

Die ACRL ist dabei ihre "Information Literacy Competency Standards for Higher Education" zu überarbeiten bzw. zu ersetzen. In einer im Februar publizierten Verlautbarung wird ein erster "initial draft" eines "Framework for Information Literacy for Higher Education", also eines Rahmens für Informationskompetenz innerhalb der Hochschulbildung, zur Diskussion gestellt [Inzwischen ist beim angegbenen Link auch der 2. Draft zu finden. T.H. 11.4.2014]. Hintergrund ist der Versuch, aktuelle Entwicklungen moderner Informationsumgebungen aber auch moderne Konzepte aus dem Bereich ganzheitlicherer Betrachtungen von "information literacy" zu berücksichtigen, z.B. Begriffe wie Metaliteracy und Forschungsergebnisse der Wahrnehmung von "information literacy" in unterschiedlichsten Kontexten von Autorinnen wie Kuhlthau, Bruce, Lloyd und anderen.

Wesentlicher Teil des neuen Rahmens sind sogenannte "Threshold concepts", hier so etwas wie "Schwellen-Begriffe" oder eine Menge von "Kern-Begriffen", die notwendig sind, um sich – hier als Anwendung auf den Bereich Informationskompwetenz – in modernen Informationsumwelten zurecht zu finden. Das Nachdenken über "Threshold concepts" allgemein begann im ersten Drittel des letzten Jahrzehntes durch Publikationen der Erziehungswissenschaftler Jan H.F. Meyer und Ray Land. Hintergrund hier war auch das Nachdenken über das Prinzip "less is more" beim Erstellen von Curricula.

"Threshold concepts" haben nach Meyer und Land fünf Eigenschaften: Sie sind "transformative, integrative, irreversible, bounded; and troublesome", wobei die Eigenschaft "boundedness" mutigerweise im geplanten IL Framework gleich wieder fallengelassen wird (S. 5). "Threshold concepts" sind entscheidende Begriffe und Konzepte, von Meyer und Land auch "jewels in the curriculum" genannt, die das fachliche Verständnis nachhaltig verändern. Sie stehen damit selbst an einer Schwelle zwischen fachlichen Inhalten und pädagogisch-didaktischen Aktivitäten. Sie verweisen auf – und thematisieren damit auch – Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Ängste, die das Lernen begleiten.

(Nach: Ray Land, Glynis Cousin, Jan H F Meyer & Peter Davies: Threshold concepts and troublesome knowledge (3)*: implications for course design and evaluation. In: Rust, C. (Ed.) (2005): Improving Student Learning Diversity and Inclusivity. Oxford: Oxford Centre for Staff and Learning Development.)

Bisher im Framework formulierte "Threshold concepts" zur "information literacy" umfassen

  • Scholarship is a Conversation
  • Research as Inquiry
  • Format as Process

Dazu kommen weitere in Aufsätzen schon formulierte Beispiele:

  • Information as a commodity
  • Authority is constructed and contextual
  • Primary sources and disciplinarity
  • Metadata = Findability
  • Good searches use database structure
  • Let’s go … to the library

Als erster Eindruck lohnt sich für mich ein Nachdenken über "Threshold concepts", zielen sie doch auf das, was ich schon oft den Kern von Informationskompetenz genannt habe. Sogar eine neue Definition von "information literacy" wird vorgeschlagen (Ob dies notwendig ist, lasse ich hier offen!):

"Information literacy combines a repertoire of abilities, practices, and dispositions focused on expanding one’s understanding of the information ecosystem, with the proficiencies of finding, using and analyzing information, scholarship, and data to answer questions, develop new ones, and create new knowledge, through ethical participation in communities of learning and scholarship." (S. 4)

Zu jedem "Threshold concept" innerhalb des Frameworks (vielleicht auf Deutsch auch als Referenzrahmen zu bezeichnen, wobei dies im Informationskompetenz-Bereich von Andreas Klingenberg als Begriff genutzt wird) gehören cognitive Lernziele ("Knowledge Practicies (Abilities)"), Lernziele mit Bezug auf "metaliteracy" und zu verändernde Einstellungen ("Dispositions") sowie Vorschläge zur Überprüfung der Selbsteinschätzung durch Lernende und zur externen Bewertung des Lernerfolgs.

Sicher wirken die Gedanken der "Threshold concepts" eher abstrakt und es bleibt abzuwarten, was dies für den Bereich Informationskompetenz praktisch bedeutet. Aber Letzteres konnte man auch bei den Standards fragen. Gemeint ist von den Entwicklern des Schwellenbegriffs "Threshold concept" sicher auch kein Handlungsrahmen, um die Welt nun besser mit Informationskompetenz-Aktivitäten beglücken zu können. 😎 Aber die Nutzung von "Threshold concepts" erfordert ein "Listening for understanding", das mich an die gerade populär werdende Nutzung ethnografischer Methoden im Bibliothekswesen erinnert (Vgl. das neueste Heft der Zeitschrift 027.7 zum Thema). Wichtig wäre die Erkundung "(ideally with students) what appear to be the threshold concepts in need of mastery" (Cousin, 2006, S. 5).

Zu fragen ist aber auch, inwieweit die oben aufgeführten "Threshold concepts" wichtig für das lebenslange Lernen sind, das Informationskompetenz ja unterstützen soll, oder ob es nicht teilweise eher Begriffe sind, die aus Sicht der Profession wichtig sind. So wird das letzte der oben aufgeführten "Threshold concepts" zur Informationskompetenz im Aufsatz der Autorinnen auch gleich wieder verworfen (vgl. Townsend, L., Brunetti, K., & Hofer, A. R. (2011). Threshold concepts and information literacy. portal: Libraries and the Academy, 11(3), 853-869).

Nimmt man das neue Framework zur "information literacy" nicht nur als nützliches Werkzeug oder Instrument sondern als ein Angebot oder eine Möglichkeit, um über Erfahrungen in modernen Informationsumgebungen zusammen mit Lernenden zu reflektieren und dabei auch individuelle und fachspezifische Wahrnehmungen kognitiver und affektiver Art zu diskutieren bzw. diese zuzulassen und auszutauschen, dann ginge dies für mich in die richtige Richtung!

Hier ein paar weitere Texte zum Einlesen:

Noch eine Beobachtung aus eigener Erfahrung: Teilnehmende des an der TUHH im Wintersemester durchgeführten Kurses zum "Wissenschaftlichen Arbeiten" haben am Schluss etwa teilweise so formuliert: "Wir haben gemerkt, dass wir mit unseren Problemen und Unsicherheiten bei wissenschaftlichen Arbeiten nicht allein sind." Und dies war für manche "fast" das wichtigste Ergebnis der Teilnahme am Seminar. Ein paar Sätze aus dem kurzen Beitrag von Cousin haben mich daran erinnert:

"Teachers must demonstrate that they can tolerate learner confusion and can ‘hold’ their students through liminal states. Moreover, in our research some students expressed the fear they were the only ones among their peers who did not comprehend difficult concepts. While it became a source of huge relief to discover eventually that other students were similarly confused, this awareness needed to be shared early on in the course. Unless teachers devise activities that uncover this, many students will suffer in silence." (S. 5)

Ein historisch-genetischer Blick auf Suchmaschinen

"Auf den Spuren der Suche" nannte sich ein Projekt von Studierenden im Rahmen der studiengangsübergreifenden Lehre am Department Information der HAW Hamburg, das am Freitag, den 7. Februar 2014, mit seinen Ergebnissen vorgestellt wurde. Das Projekt ist ein Beispiel dafür, dass man aus Geschichte lernen kann, dient Geschichte doch bei diesem Projekt besonders dazu, ein besseres Verständnis der Funktionsweise von Suchmaschinen zu entwickeln.

In seinem Einführungsbeitrag zeigte der Suchmaschinen-Spezialist und Initiator des Projektes Dirk Lewandowski also, dass durch eine Betrachtung der historischen Entwicklung von Suchmaschinen ein besseres Verständnis für deren Nutzung und für die Bedeutung des Themas Suche in unserer modernen Welt insgesamt möglich ist. So fasst etwa eine Betrachtung der Entwicklung des Suchmaschinenranking die noch heute wichtigen Konzepte zum Ranking zusammen: Beginnend mit der Auswertung von statistischen Textanalysen über die Nutzung der Popularität von Links und Klicks wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 der Aktualitätsbezug besonders wichtig und in die Ergebnislisten eingebaut, während seit einigen Jahren auch durch die Nutzung mobiler Geräte die Auswertung des Ortbezug (Lokalität) eine immer bedeutendere Rolle spielt. Auch die vermeintliche Vielfalt heutiger Suchmaschinen kann mit einer historischen Betrachtung der "Search engine relationship Charts von Bruce Clay" dekonstruiert werden.

Idee für das Projekt lieferte nach Lewandowski ein Beitrag von Thomas Dominikowski mit dem Titel "Zur Geschichte der Websuchmaschinen in Deutschland" im von Lewandowski herausgegebenen "Handbuch Internet-Suchmaschinen ; 3 ; Suchmaschinen zwischen Technik und Gesellschaft" (Heidelberg : AKA, Akad. Verl.-Ges., 2013, S. 3-34).

Die gelungene Verbindung von Informationsgeschichte und der Förderung von Informationskompetenz, meine beiden Lieblings-Themen, wurde auch im Versuch eines Nachbaus einer frühen "Suchmaschine" unterstrichen. Die von Michael Buckland in den letzten Jahren und Jahrzehnten aus der Versenkung in der historischen Überlieferung hervorgeholte und damit erneut bewusst gemachte "Statistischen Maschine" von Emanuel Goldberg kann als eine frühe, auch elektrischen Strom nutzende Suchmaschine angesehen werden. Sie ermöglichte mit der damals aktuell vorhandenen Technik der Mikrofotografie die Recherche nach codierten Dokumenten mit einer ihrerseits codierten "Suchanfrage-Lochkarte". Zur Veranschaulichung haben drei Studierende im Rahmen dieses Projektes diese Maschine als Modell nachgebaut. Fotos zur Präsentation von Emanuel Goldbergs "Statistischer Maschine" sowie ein Teilbereich innerhalb der Darstellung auf der Projekt-Website erläutern die Funktionsweise.

Weitere Teilthemen des Projektes waren u.a. die personalisierte Suche, Suchmaschinen und Werbung, Suchmaschinen-Optimierung (SEO) und Kinder-Suchmaschinen.

Zum Schluss noch ein paar Hinweise auf weitere Beiträge zur Geschichte der Suchmaschinen in diesem Blog und ein Tipp zu einer ganz anderen spannenden Diskussion zur Informationsgeschichte zwischen bekannten Historikern wie Paul N. Edwards, Lisa Gitelman, Adrian Johns u.a. mit dem Titel "Historical Perspectives on the Circulation of Information" (publiziert in: The American Historical Review 116(2011)5, 1393-1435).