Wissenschaft, Datenbanken und Bildung

Auf das Buch „Wozu Wissenschaft“ von Joachim Schummer (Wozu Wissenschaft? Neun Antworten auf eine alte Frage. Berlin: Kulturverlag Kadmos Berlin, 2014 – Einleitung auf der Website des Autors) wurde hier schon mal hingewiesen. Die Frage des Buches wird meistens nur in zweierlei Weise beantwortet: Wissenschaft werde getrieben um ihrer selbst willen oder zur Förderung der technischen Entwicklung. Der Autor entwickelt ausgehend auch von einer historischen Betrachtungsweise neun Zwecke von Wissenschaft: „Weltverbesserung, Methodenentwicklung, Erklärung und Aufklärung, Vorhersage, Innovation, Befriedigung von Neugier, Lebensform, Weltorientierung und Bildung“ (S. 179).

Der folgende Satz im Abschnitt Innovation hat mir besonders gut gefallen: 😎

„Für ein Wissenschaftspolitik, welche die Innovationskultur tatsächlich stärken wollte, ließen sich aus der Geschichte wichtige Schlüsse ziehen. Sie würde sich in erster Linie um das Dokumentationswesen kümmern, also die fachliche Strukturierung und Bereitstellung von Wissen in Bibliotheken, Archiven, Datenbanken und wissenschaftlichen Internetportalen.“ (S. 90-91)

Trotz dieser positiven Sicht auf Datenbanken hinsichtlich der Förderung von Innovation weist der Autor an anderer Stelle auch auf eine Herausforderung hin, bei der Datenbanken die Kreativität von Forschenden negativ beeinflussen können:

„Das Dokumentationswesen in Gestalt der Datenbanken optimiert zwar die Bewertung von Neuheit, bildet aber auch einen subtilen Druck für Forscher, genau diejenigen Untersuchungen durchzuführen, deren Ergebnisse leicht in die Datenstruktur einzufügen sind.“ (S. 100)

Das Buch von Schummer ist auch ein Beispiel dafür, warum historische Betrachtungen nützlich und hilfreich zum Umgang mit gegenwärtigen Herausforderungen sind. Dazu passt ein Hinweis auf das Essay „Mit Leidenschaft – Studiert Geschichte! Jahrelang!“ von Vincent-Immanuel Herr in der Zeit vom 11. September 2014 (S. 15).

Im Abschnitt "Bildung" als Zweck von Wissenschaft betont Joachim Schummer die Notwendigkeit des Nachdenkens über Wissenschaft auf einer Meta-Ebene, die Reflexion über die eigene Disziplin und deren sozial-gesellschaftliche Einbettung in die moderne Gesellschaft:

„Die Integration der Ethik, einschließlich der Entwicklung von geeigneten Lehrmethoden, die zur selbständigen Wertereflexion und zum Verständnis der jeweiligen Fächer in einem größeren Gesellschaftsrahmen befähigen, ist heute das größte Desiderat in der schulischen und disziplinären Bildung.“ (S. 172)

Dies passt zu Thesen, die von mir im Sommer während des Roundtables am Ende einer kleinen Konferenz mit dem Titel "New Directions in Digital History of Science" der IUHPS-DHST Commission on Bibliography and Documentation (CBD) am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin vorgetragen wurden:

The purpose is to argue for a proposal to integrate compulsory courses in the history, philosophy and sociology of the sciences in the curricula of all disciplines in higher education. The realization of this proposal would be a good possibility in all subjects to practice research methods and to develop media and information literacy as well as academic writing skills. A form of “Bildung” for information as information literacy is part of any learning to develop something like a “transformative literacy” which is necessary in a society, whose present and whose future depends on science and technology and which is urged to develop sustainably. This also implies reflection about science – about its characteristics and history, its theories, its methods, its purposes, its visibility and its benefits. Giving alternatives a chance within research and technology appears to be necessary for a transformation to a sustainable society.

Auch in Seminaren zum Wisenschaftlichen Arbeiten gehören Fragen nach dem Wesen von Wissenschaft zumindest am Rande mit in das Lernprogramm.

Sehr schön passt hier übrigens ein fiktiver Film-Dialog zum Thema "Was ist Wissenschaft?" zwischen Einstein, Nietzsche, Mach und anderen im Rahmen einer nun nur noch virtuellen Einstein-Ausstellung des Max-Planck-Institus für Wissenschaftsgeschichte.