Vielfalt und Informationskompetenz

Eigentlich kommt man kaum hinterher, um bei irgendeinem Thema auf dem Laufenden zu bleiben. Vielfalt und Informationsflut werden immer größer. Mein Versuch der Bewätigung dazu bildet sich hinsichtlich des Themas der Informationskompetenz oft nur noch in angesammelten Links auf Delicious oder in manchen Tweets ab. Trotzdem hier ein paar Hervorhebungen, die mir in letzter Zeit als wichtig aufgefallen sind:

In einem Aufsatz in der Wochenzeitung "Die Zeit" von Thomas Assheuer zum Thema der Bedeutung von Religion heute (ein Thema, das mich bisher eigentlich nur am Rande interessiert hat), wird am Schluss auf eine Kontroverse zwischen Jürgen Habermas und dem kanadischen Philosophen Charles Taylor eingegangen. Es heisst hier:

"Für Habermas muss es in einer Gesellschaft der explodierenden Gegensätze eine inklusive säkulare Sprache geben, mit der Normen begründet werden. Für Taylor ist das eine rationalistische Illusion; für ihn gibt es in radikal heterogenen und spannungsgeladenen Gemeinwesen keine Metasprache, die alle Differenzen ‚managt‘. Deshalb müssten wir selbst vielsprachig werden, wir müssten lernen, uns ‚im Tanz des Verstehens‘ auf Unterschiede einzulassen."

Ich finde, diese philosophische Kontroverse trifft erst recht auf die hier interessierende sogenannte Informations- oder Wissensgesellschaft zu und findet sich damit auch im Hintergrund von theoretischen Diskussionen um Informationskompetenz! Ich selbst finde mich dabei eher bei Taylor wieder.

Informationskompetenz kritisch betrachtet

In einem längeren Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 26. Mai 2011 mit dem Titel "Liebe Marie" beschreibt Henning Sussebach die Problematik und Konsequenzen der Schulzeitverkürzung von 9 auf 8 Jahre am Gymnasium. Dort finden sich auch folgende Sätze, die mit einem Zitat des Pädagogen Andreas Gruschka beginnen (S. 17):

"Er [Gruschka] sagt: ‚Die Kinder heute lernen Organisation und Präsentation.‘ Referate, Wochenpläne – er hält das alles für eine Vorbereitung auf ein kritikloses Büroleben, in dem der Chef in der Tür steht und sagt: ‚Frau Müller, stellen Sie mir bis Freitag bitte alles über die indischen Märkte zusammen!’"

Mir ist hier mal wieder bewusst geworden, dass man nicht nur die Praxis von Informationskompetenz-Aktivitäten von Bibliotheken kritisch betrachten kann, sondern insgesamt die Inhalte von Informationskompetenz kritisch hinterfragen muss.

Es geht nicht unbedingt darum, dass aufgrund von Informationskompetenz SchülerInnen und Studierende besser in der Arbeitswelt "funktionieren", sondern darum, dass sie gefördert werden, ihre Nutzung von Informationsressourcen kritisch zu reflektieren: Warum nutzen so viel Google und welche Gefahren sind damit verbunden? Warum sind viele Datenbanken kostenlos? Wie ist die gefundene Information entstanden und wie zuverlässig ist diese?

Am Schluss eines Aufsatzes zitierte ich mal aus einem Interview mit dem amerikanischen Informationstheoretiker Ronald Day (vgl. Day, Ronald E. and Ajit K. Pyati (2005): ‚We Must Now All Be Information Professionals‘: An Interview with Ron Day. In: InterActions: UCLA Journal of Education and Information Studies, 1(2), Article 10), das genau das, was das Zitat aus der Zeit meint, thematisierte:

"We don’t need to interpret information, we don’t need to ask how it is produced, we don’t need to ask any question of its powers; we simply need to make use of it. […]
Information, in this sense, has connotations of efficiency and of productivity[…]
We are always responsible, whether we want to be or not, in a larger sense than our institutional and professional roles. That is, we are always in response to other human beings and to other beings in general. We are in-formed, that is, always within processes of being formed by our way of responding. ‚In-formation’ in this sense, as ‘affective’ and becoming is inseparable from ‘communication’ – in the sense of responding within the condition of being in-common." (S. 3 und S. 7)

Beim Bibliothekartag nächste Woche in Berlin hält Wilfried Sühl-Strohmenger aus Freiburg einen vielversprechenden Vortrag mit dem Titel "Förderung von Informationskompetenz durch Bibliotheken – Aus berufsethischer Sicht". Primär geht es hier wohl um die Problembereiche des Urheberrechts und des Plagiarismus. Aber die spannende Frage, ob durch Form und Inhalt von bestehenden Informationskompetenz-Aktivitäten eher "funktionierende", statt kritische Bürgerinnen und Bürger das Ergebnis sind, wäre für mich auch eine berufsethische!?

Zur sozialen Konstruktion von Recherche-Ergebnissen

Zum Nachdenken über die Alternative zwischen der Verbesserung von Recherche-Tools und der Förderung von Informationskompetenz finde ich als Modell die in diesem Blog vor kurzen schon mal erwähnte Akteur-Netzwerk-Theorie von Latour und anderen interessant. Akteure und ihre Netzwerke in diesem Sinne lassen die Realitäten von Nutzenden und ihren Suchsystemen inklusive deren Produzenten vielleicht besser verstehen. Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist als Modell geeignet, um die Wirklichkeit des Zusammenspiels von menschlichen (Nutzende, ITler, BibliothekarInnen, Oberflächen-Designer, InformationsarchitektInnen usw.) und nicht-menschlichen Akteuren (Katalogisierungsregeln, Normdaten, Metadaten, Struktur der Daten, maschinelle Indexierung, Katalog-Software, Oberflächengestaltung usw.) beim Recherchieren zu erklären.

Die konkrete Recherche wird eigentlich wirklich sozial konstruiert! Das reale Recherche-Ergebnis wird durch eine Vielzahl von Faktoren in Form menschlicher und nicht-menschlicher Akteure beeinflusst. So wird die konkrete Wirklichkeit der Recherche in einem Katalog zunächst zwischen Nutzendem und System ausgehandelt (klassisches Modell des Information Retrieval). Die Wahl der Suchbegriffe des Nutzenden beeinflusst das Recherche-Ergebnis, das aber auch von einer Vielzahl anderer Komponenten abhängt:

  • Vielleicht wird durch Indexierung und Berücksichtigung von Normdaten wie der Schlagwort-Normdatei automatisch nach Synonymen mit gesucht, ohne dass der Nutzende dies merkt.
  • Die Rechercheerfahrung und Informationskompetenz aber auch die fachliche Kompetenz des Nutzenden beeinflussen das Ergebnis.
  • BibliothekarInnen versuchen durch Informationskompetenz-Aktivitäten die Kompetenz des Nutzenden zu fördern. Dies kann unmittelbar durch Ausnutzen von ‚teachable moments‘ auf direkter menschlicher Ebene erfolgen, aber auch mittelbar durch die Gestaltung nicht-menschlicher Akteure, wie dem Angebot von Drill-Down-Menüs über die Recherche-Oberfläche.
  • Veraltete Katalogisierungsregeln als nichtmenschliche Akteure erschweren eventuell die Recherche, können aber vielleicht teilweise durch verbesserte Indexierung oder bessere Oberflächengestaltung "neutralisiert" werden.
  • Bei manchen Recherchesystemen beeinflusst auch das Verhalten bzw. Recherchieren anderer Nutzender die Ergebnisse. (vgl. auch dieses Exzerpt (rtf-Datei!) aus einem Aufsatz. Ich biete dieses sonst im Rahmen von Citavi-Workshops zum Üben der Verknüpfung zwischen Literaturverwaltung und Textverarbeitung an.)

Obiges hatte ich schon vor einiger Zeit geschrieben und eigentlich wollte ich das ganze noch weiter ausführen, aber irgendwie komme ich nicht dazu. Daher hier unfertig, wie manches in diesem Blog!

25 Jahre Tschernobyl und die Information und Kommunikation

Mein erster Sohn spielte damals bei "strahlendem" Wetter im Sandkasten. Als Tschernobyl vor 25 Jahren passierte, sammelte ich selbst gerade meine ersten beruflischen Bibliothekserfahrungen als Bibliotheksreferendar an der Unversitätsbibliothek der TU Berlin. Mir ist erst vor kurzem bewusst geworden, dass das Ereignis von Tschernobyl, das mich deutlich geprägt hat, so eng mit meinem Berufsleben verknüpft ist.

Schon länger ist mir bewusst, dass das Hauptargument gegen die Nutzung von Atomkraft eigentlich ein Argument aus dem Informations- und Kommunikationsbereich ist. Wollte man die Endlagerung von Atommüll für Jahrtausende sichern, müsste man die Information, dass sich an den Plätzen der Endlagerung bestimmte lebensgefärliche Stoffe befinden, so gestalten, dass auch in Jahrtausenden die Information noch gelesen und verstanden wird. Hierbei taucht zunächst die Frage und Problematik des Trägermaterials für die Information auf. Am sichersten wäre wahrscheinlich Stein, aber auch die Tontafeln der ältesten Bibliotheken im antiken Mesopotamien haben sich nicht vollständig bis heute erhalten. Die zweite Problematik ist dann natürlich die Frage der Schrift bzw. Sprache, in der diese wichtigen Informationen über Jahrtausende überliefert werden müssten! Beide Problembereiche erscheinen mir nicht wirklich lösbar. Schon die kurze Geschichte der Asse hat ja gezeigt, dass das genaue Wissen, was dort zwischengelagert wurde, verschwunden ist!

Auf dem Weg zu einer Theorie von Informationskompetenz …

… befindet sich Marianne Ingold mit ihrer Arbeit zum Begriff "Information als Gegenstand von Informationskompetenz". Dies ist ein ganz spannender Text, endlich passiert mal etwas mehr in Deutschland zur Informationskompetenztheorie. Ich wünschte mir nur mehr Zeit zum genauen Lesen! Zur Reflexion über den Kern von Informationskompetenz gehört eben auch die Reflexion über die Begriffe Information und Kompetenz.

Auf meinem Schreibtisch liegt zum genaueren Studieren auch noch der theoretische Aufsatz von Aleksander Knauerhase mit dem Titel "GMMIK [‚gi-mik] – Ein Modell der Informationskompetenz", veröffentlicht im Konferenzband "Semantic Web & Linked Data : Elemente zukünftiger Informationsinfrastrukturen ; 1. DGI-Konferenz ; 62. Jahrestagung der DGI ; Frankfurt am Main, 7. – 9. Oktober 2010 ; Proceedings / Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis", hrsg. von Marlies Ockenfeld (Frankfurt am Main : DGI, Dt. Ges. für Informationswiss. und Informationspraxis, 2010, S. 237ff).

Menschliche und nicht-menschliche Akteure im Bildungs- und Informationsbereich

Das im letzten Beitrag schon erwähnte Lehrbuch für Lehren und Lernen mit Technologien (#L3T) enthält einen spannenden Beitrag von Andrea Belliger, David J. Krieger, Erich Herber und Stephan Waba zur "Die Akteur-Netzwerk-Theorie [ANT]- Eine Techniktheorie für das Lernen und Lehren mit Technologien".

Diese vom französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour mit entwickelte Theorie bzw. Methode weist auch nicht-humanen Akteuren wie Medien, Maschinen usw. eine wichtige Rolle bei der Kommunikation im Bereich Technik und Gesellschaft zu. Diese Theorie scheint damit auch für den Bildungsbereich nutzbar zu sein.

Wenn Menschen, Technologien aber auch Artefakte aus dem Bildungsumfeld als handlungstragende Akteure im technologiebasierten Unterricht verstanden und in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden, gelingt es uns, die Realitäten des Unterrichts- und Lernverhaltens zu verstehen und in didaktischen Einsatzszenarien zu berücksichtigen. Modellhafte Akteur-Netzwerke könnten dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die sozialen Wirklichkeiten des Zusammenspiels von Akteur-Netzwerken in der Bildungspraxis zu erzielen.

Weiterlesen

Zur Wahrheit/-nehmung des Internets: Never-Better, Better-Never oder Ever-Waser?!

In der Zeitschrift "The New Yorker" hat der Autor Adam Gopnik unter dem Titel "The Information : How the Internet gets inside us" eine interessante Beschreibung gegeben, wie heutzutage das Internet in seiner Wirkung auf Alltag, Mensch und Welt beurteilt wird. Er unterscheidet dabei drei Kategorien von Stellungnahmen, die von Never-Betters, Better-Nevers oder Ever-Wasers.
Weiterlesen

Begriffliches zu Informationskompetenz und Information: Informationskompetenz ist ein "discursive construct"

In der Zeitschrift Information: Wissenschaft & Praxis (IWP) findet sich im neuen Heft ( 62(2011)1, S. 37-42 ) ein interessantes Interview der Magister-Absolventin Linda Treude von der Humboldt-Universität mit dem Titel "Information Zeichen Kompetenz – Fragen an Rafael Capurro zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen der Informationswissenschaft". Dabei geht es auch um den Begriff Informationskompetenz und, wie bei Rafael Capurro nicht anders zu erwarten, um den Begriff Information. Leider ist das Interview nicht Open Access verfügbar.

Auf die Frage von Linda Treude:

"Den Begriff Informationskompetenz (bzw. information literacy) als Schlüsselkompetenz im Umgang mit Informationen tragen zur Zeit geradezu inflationär Projekte des Bildungs- und Bibliothekswesens im Titel. Dies suggeriert, dass man heute spezielle Fähigkeiten haben müsse, um den Anforderungen einer "Informationsgesellschaft" gewachsen zu sein. Für wie brauchbar halten Sie den Begriff und auf welche Kompetenz(en) verweist er Ihrer Meinung nach?" (S. 37)

Weiterlesen

Informationskompetenz, -ökologie und -philosophie

Zwei Artikel haben mich sofort angesprochen in der neuen Ausgabe der eigentlich immer interessanten Zeitschrift "Information Research : an international electronic journal" (Volume 15 No 4 December, 2010). Sie finden sich etwas versteckt im "Special supplement: Proceedings of the Seventh International Conference on Conceptions of Library and Information Science, Part 2":

Jetzt brauche ich nur noch Zeit und Ruhe, also Muße, um beide Artikel gründlich durchzulesen. 😎

Grundbegriffe des Informationswesens

Jakob Voss und Adrian Pohl diskutieren in ihren Blogs die spannende Frage „Was sind Daten?“. Für deren Beantwortung werden immer auch weitere wichtige Grundbegriffe des Informationswesen reflektiert (vgl. dazu auch einen Beitrag in diesem Blog).

Aufpassen muss man bei solchen Begriffs-Diskussionen (siehe z.B. auch), dass man nicht bei so etwas landet wie beim Begriff „Information“, dem sogenannten „Capurroschen Trilemma„! 😎 Bertram C. Brookes bezeichnete (schon 1975) das Problem, das intuitive Alltagsverständnis von Begriffen wie Daten, Information, Wissen, Text, Dokument usw. in theoretische, wissenschaftliche Konzepte zu überführen, sogar als das "fundamental problem of information science" (nach Luke Tredinnick (ein Hinweis in diesem Blog): Digital information contexts : theoretical approaches to understanding digital information. Chandos, 2006, hier S. 3). Eine Hilfe beim „Absaufen“ bietet z.B. „The Epistemological Lifeboat – Epistemology and Philosophy of Science for Information Scientists“ des Dänen Birger Hjørland, der zusammen mit Capurro auch das Review „The Concept of Information“ (Annual Review of Information Science and Technology 37, 2003, pp. 343-411) geschrieben hat.

So ist für mich die Frage, welchen Informationsbegriff man eigentlich zugrunde legt, sicher auch dafür relevant, welchen Begriff von Informationskompetenz man verwendet.

Kulturen der Information und Kommunikation

Adrian Pohls Plädoyer für einen "kulturwissenschaftlichen Ansatz im Bibliotheks- und Informationswesen" hat mich an den "domain"-analytischen Ansatz des Dänen Birger Hjoerland erinnert, vgl. z.B. Hjoerland, Birger: Domain analysis. A socio-cognitive orientation for information science research. In: Bulletin of the American Society for Information Science and Technology 30 (2004), 3. S. 17-21. Hjoerland sieht die Nutzer als Teil einer fachlichen Diskussions- und Diskurs-Gemeinschaft mit eigenen kulturellen und sozialen Strukturen, die ein gemeinsames Vokabular und eine typische Informationspraxis teilen. „Diese ’sozio-kognitive‘ Sicht betont die Bedeutung der historischen Entwicklung dieser Gemeinschaften und ihrer Kommunikationsprozesse sowie ihrer Strukturen, Dokumenttypen und Institutionen wissenschaftlicher Kommunikation und Information." (zitiert nach meinem Aufsatz "Studierende, Google, die Welt der Bibliotheken und deren kulturelle Bedeutung : Ein Essay zu einem Aufsatz von Amy Bruckman" (Libreas, Ausgabe 5, Frühjahr 2006).

Als Start zum weiteren Vertiefen philosophischer Überlegungen zur Information und Kommunikation (und damit auch zur Informationskultur) ist gerade von Jonathan Furner im "Annual Review of Information Science and Technology" (Volume 44, 2010, S. 161-200) ein Beitrag mit dem Titel "Philosophy and Information Studies" erschienen (online als Preprint!).

Theoretisches zum Thema Information aus deutschen Landen

Nachdem ich in der Blog-Kategorie "Philosophy of information" bisher relativ oft anglo-amerikanische Autoren erwähnt habe (Ausnahme Rafael Capurro!), hier ein paar Hinweise auf philosophisch-theoretische Beiträge zum Informations- und Bibliothekswesen aus deutschen Landen.

Der oben erwähnte Beitrag von Adrian Pohl "Kommunikation statt Information" hat mir nochmal deutlich gemacht, dass ich für mich keinen eindeutigen Informationsbegriff habe.

Den angesprochenen Perspektivwechsel von Information zur Kommunikation halte ich zwar aus praktischen Gründen auch für nötig, aber nicht weil sich der Kommunikationsbegriff einfacher fassen ließe als der Informationsbegriff. Beide, wie auch deren "Abgrenzung zu ‚Daten‘, ‚Wissen‘, ‚Kommunikation‘, ‚Quelle‘, ‚Text‘ oder gar ‚Schrift’" oder auch Medium und Dokument (siehe Jakob Voß), für alle diese Begriffe gibt es unterschiedlichste Bestimmungen und damit auch unterschiedlichste gegenseitige Abgrenzungen.

Für mich hat z.B. die Definition von Information als "einen Unterschied, der einen Unterschied macht" von Gregory Bateson einen gewissen Charme, z.B. mit seiner Nähe zum Lernen, denn Lernen ist auch Unterscheiden (Dies ist mir durch den schönen Vortrag von Wiebke Derboven zur Woche der Lebensentwürfe mit dem Titel Lebenslanges Lernen an der TUHH richtig bewusst geworden!).

Ich würde auch nie von "Wissensressourcen (die die Grundlage von Information sein können)" sprechen, wie Till Kinstler in einem Kommentar zum Blog-Eintrag von Adrian Pohl! Für mich ist Wissen nur etwas, was sich in den Köpfen abspielt, man kann dies veröffentlichen als Information für andere, so das man Information auch als "veröffentlichtes Wissen" bezeichnen könnte (dies habe ich zuerst irgendwo in einem Text von Gabi Reinmann gelesen!). Information hat für mich immer etwas Potentielles für den Rezipienten, je nachdem, ob er diese versteht oder nicht! Information als Teil der Kommunikation hat nach Luhmann also immer auch mit Selektion zu tun.

Noch ein Aspekt, der mir immer wichtig ist, ist das im Informationsbegriff enthaltende Formgebende, das ich vor kurzem in den Schriften des Computer- und Medienkünstler Lev Manovich, hier in vorbereitenden Texten für sein geplantes Buch "Info-aesthetics", gelesen habe:

"The contrast between form and information is one of the fundamental cultural dimensions which accompanies the shift from industrial to information society; or from modernism to what I would like to brand ‘informationalism’ […] And yet, as the word inFORMation implies itself, there is a hidden form-making impulse in information society."

"Rather, info-aesthetics refers to various new contemporary cultural practices which can be best understand as responses to the new priorities of information society: making sense of information, working with information, producing knowledge from information."

Und von hier ist dann ein Schwenk möglich zur Förderung von Informationskompetenz bzw. Informationskultur! 😎

Theoretisches zur Informationskompetenz

Hier ein paar Hinweis auf für mich interessante Artikel, die mir in letzter Zeit über den Weg gelaufen sind:

  • "Information Literacy 2.0: hype or discourse refinement?" fragen Sonja Špiranec und Mihaela Banek Zorica (Journal of Documentation, Vol. 66 No. 1, 2010, pp. 140-153, nur für Subscriber) und diskutieren den Sinn einer Unterscheidung von Informationskompetenz und Informationskompetenz 2.0. Sie sehen Informationskompetenz 2.0 u.a. als eine Art von „Teilmenge“ von Informationskompetenz. Ich selbst nutze diesen Begriff ja eher als Weiterentwicklung bisheriger Informationskompetenz, wie sie im bibliothekarischen Bereich bisher dominierte (zumindest in Deutschland).

    Der Beitrag endet mit folgendem Statement, dem ich nur zustimmen kann:

    IL 2.0 is fully compatible with the recently introduced theoretical frameworks due to its incorporation of the socio-technical and communicative dimensions since it adequately reflects new social relationships and socio-technical configurations. Consequently, IL 2.0 and the fundamental conceptions of IL as a socio-technical practice complement each other – while the socio-technical perspective provides information literacy 2.0 with a theoretical groundwork, Information literacy 2.0 offers the empirical field to implement renewed conceptions of a recasted theoretical framework.

  • Zitiert im obigen Aufsatz ist ein weiteren Artikel zur Informationskompetenz 2.0 von K. Tuominen, der mir bisher im Volltext entgangen war: "Information literacy 2.0", Signum, 2007, Vol. 40 No. 5, pp. 6-12.
  • Der sehr philosophische Aufsatz von Kimberly A. Jones mit dem Titel "Bringing Librarianship Back Home: Information Literacy as a Return to Method" (Communications in Information Literacy, 2009, Vol 3, No 1) fragt nach dem Wesen von Information und sieht Informationskompetenz als "proactive response to the hardening of LIS" und hat folgendes Abstract:

    Information literacy (IL) has arisen as a response to the reification of information. As information has been commodified, it has lost its fluidity as a term and an idea. Librarianship, as a result, has lost its footing, its philosophy. IL seeks to restore method to librarianship and, as a result, return subjectivity to information.

  • Vielversprechend auch der Titel "Information ethics as information ecology: Connecting Frankl’s thought and fundamental informatics" eines Aufsatzes von Tadashi Takenouchi (Ethics and Information Technology (2006) 8:187–193). Die Einbindung von Informationskompetenz in Informationsethik und die ökologische Betrachtung von Informationssystemen haben für mich einigen Charme. Mal sehen, ob ich den Artikel verstehe?! 😎

BTW: Auf Luciano Floridi habe ich in diesem Blog schon mal hingewiesen. Nun habe ich mir sein neues Buch mit dem schönen Titel "Information" gekauft, das in der, wie ich finde, fantastischen Reihe "A very short introduction" der Oxford University Press erschienen ist.

Ich bin ja immer noch sehr zwiegespalten, was die andererseits aber auch sehr interessanten Schriften von Floridi angeht. Er geht sehr stark von einem mathematisch-technischen Informationsbegriff aus und blendet zudem manche Diskussionen zur Philosophie der Information im Bibliotheks- und Informationswesen so gut wie aus. Ich finde, man kann den Informationsbegriff nicht vollständig diskutieren, ohne auch verwandte Begriffe wie Kommunikation, Wissen, Dokument usw. zu betrachten. Dies passiert mir bei Floridi zu wenig.

Nachtrag (16.2.2010). Hier noch ein Hinweis auf ein von Rafael Capurro herausgegebenes Special Issue mit dem Titel "Past, present, and future of the concept of information" der Open Access Zeitschrift tripleC.

Konvergenzen, der dritte Eintrag: Historisches und aktuelles Informationswesen

In der Reihe ‚Konvergenzen‘ ein weiterer Blog-Eintrag mit zwei Aufsätzen, die das thematisieren, was mich persönlich regelmäßig fasziniert, der Zusammenhang zwischen historisch zu beobachtenden Entwicklungen und aktuellen Diskussionen im modernen Informationswesen.

  • Beyond the legacy of the Enlightenment? Online encyclopaedias as digital heterotopias von Jutta Haider, Olof Sundin in First Monday, Volume 15, Number 1 – 4 January 2010.

    Aus dem Abstract:

    This article explores how we can understand contemporary participatory online encyclopaedic expressions, particularly Wikipedia, in their traditional role as continuation of the Enlightenment ideal, as well as in the distinctly different space of the Internet.

  • The Politics of Organizing Information on the Web: Computing Centres and Natural Languages von Peter Jakobsson, Fredrik Stiernstedt mit ihrem Beitrag auf der Media in transition Conference 6 im April 2009 im Rahmen der Konferenzen des MIT Communications Forum

    Aus dem Abstract:

    This paper is an exploration of the methodologies, economics and politics of organizing information on the web, through a historical-comparative analysis of Google. The paper centres on two cases that reveal interesting tensions in contemporary attempts at organizing knowledge and information. The first case deals with natural and artificial languages as tools for knowledge, working with the historical case of Gottfried Wilhelm Leibniz and his interest in a universal language as well as his pioneering contributions to etymology. The second case looks at the dialectics of centralization and decentralization as illustrated by the early 20th-century project of bibliographer Paul Otlet. Together they are used to evaluate Google’s utilization of techniques from computer science to extract knowledge from search queries and unstructured web-data, both of which are stored and indexed in Google’s computing centres.

Elektronische Karteikartensysteme

Vor einiger Zeit bekam ich über das Auskunftssystem "Fragen Sie Hamburger Bibliotheken" sinngemäß folgenden Anfrage:
„Ich möchte mich zum Thema elektronisches Karteikartensystem informieren und sehe mich überfordert, etwas derartiges zu finden. Was können Sie mir zu diesem Thema sagen?“

Es hat mir Spaß gemacht, diese Anfrage wie folgt zu beantworten: 😎

„So ganz verstehe ich nicht, was Sie genau wollen? Es folgen ein paar Assoziationen, die Ihre Anfrage bei mir hervorgerufen hat.

Früher wurden die Kataloge von Bibliotheken als Zettelkartei geführt. Mittlerweile sind diese alle als elektronische Datenbank online zugänglich, so dass man z.B. den Katalog des Bibliotheksbestandes der TUHH-Bibliothek als ‚elektronisches Karteikartensystem‘ bezeichnen könnte.

In unserem Katalog finden Sie übrigens das folgende Buch zur Geschichte des Zettelkastens:
Zettelwirtschaft : die Geburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek / Markus Krajewski. Berlin : Kulturverl. Kadmos, 2002. (Vgl. auch meine Rezension des Buches in der Zeitschrift Bibliothek. Forschung & Praxis (Jg. 26, Nr. 3, 2002, S. 317-318).

Auf der Website des Autors finden Sie einen elektronischen Zettelkasten, also Software zur Verwaltung von Daten, häufig Literaturangaben. Eigentlich ist jedes Datenbanksystem ein ‚elektronisches Karteikartensystem‘.

Vergleichen Sie bitte zur Nutzung von Karteikarten zum Lernen und zur Literaturverwaltung auch folgenden Aufsatz von Markus Krajewski: Elektronische Literaturverwaltungen. Kleiner Katalog von Merkmalen und Möglichkeiten, in: Norbert Franck und Joachim Stary (Hrsg.), Technik wissenschaftlichen Arbeitens (= UTB), 11., vollständig überarbeitete Neuauflage, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2003, S. 97-115 (geringfügige Überarbeitung des Texts für die 12. Auflage, November 2005).

Auch die TUHH-Bibliothek bietet ihren Kunden eine Literaturverwaltungsystem in Form der Software Citavi, die auch in einer freien, nur leicht eingeschraenkten Version downloadbar ist. Auch ein elektronisches Karteikartensystem!“

😎