E-Books und die Bibliothek der Zukunft …

… war das Thema eines Kolloquiums der Universitätsbibliothek der TUHH am Mittwoch, den 4.11.2009, anläßlich ihres 30-jährigens Bestehens. Hier der Text meines Schlusswortes:

Ein Nachdenken über medialen Wandel, über Bücher und Bibliotheken führt in der Regel zu drei Reaktionen: Utopie, Pragmatismus und Nostalgismus (Dirk Werle: Pragmatismus und Nostalgie. Das Reden über ‚die Bibliothek‘ als Effekt des Medienwandels. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 39 (2009) 154, S. 77-97). Als Organisation Bibliothek müssen wir die Herausforderungen der Zukunft annehmen, möglichst ohne Vergangenes zu entwerten!

Vor einem Bild aus eher pragmatischer Sicht biete ich allerdings eine nostalgische Utopie, eine Vision aus dem Jahre 1899, die das Lernen im Jahre 2000 beschreibt: Ein Lehrer (!?) füttert auf der rechten Seite eine Art "Buchverarbeitungsmaschine", die mit einer Kurbel von einem Mitschüler angetrieben wird und deren Inhalt über elektrische Leitungen mit Kopfhörern an den Köpfen der Schüler verbunden ist, die links ganz klassisch auf ihren Schulbänken sitzen (Jean Marc Coté (1899), in: Isaac Asimov. Futuredays : a nineteenth-century vision of the year 2000. New York: Holt, 1986. S. 66).

Eine Frage wurde auf dem Kolloquium kaum angesprochen: Die Frage, inwieweit die Form oder das Medium auch den Inhalt beeinflusst oder bedingt (vgl. auch Marshall McLuhan’s Diktum „The medium is the message“), kann gerade auch bei digitalen Informationsmitteln wieder neu gestellt und diskutiert werden (z. B. das Stichwort Fragmentierung von Texten bzw. Wissen!).

Insgesamt gilt: Bisher hat fast jeder Medienwandel die Vielfalt der Möglichkeiten erhöht. Es gilt nicht "Entweder-oder" sondern "Sowohl-als-auch".

Für das Nachdenken über das System wissenschaftlicher Kommunikation, für das Nachdenken über Dienstleistungen für die persönlichen Informationsumgebungen unserer Kunden und Nutzenden finde ich immer die Metapher der Landschaft oder des Ökosystems hilfreich. Zwei Bücher unterstreichen das Bild, das ich meine und das ich zum Abschluss kurz skizzieren möchte:

Eine ökologische Betrachtung von Informationssystemen – also auch von Bibliotheken – ist gekennzeichnet durch die Betonung von Vielfalt und Verschiedenheit, von mannigfachen Abhängigkeiten und Zusammenhängen, vom Gegensatz zwischen lokal und global (vgl. das Motto "Denke global, handle lokal"!) sowie von kontinuierlicher Weiterentwicklung.

Ein besonderes Kennzeichen funktionierender Ökosysteme ist aber auch die Existenz von „Keystone Species“, Schlüsselarten. Dies sind Lebewesen, die im Vergleich zu ihrer geringen Häufigkeit einen unverhältnismäßßig großen Einfluss auf die Artenvielfalt einer ökologischen Gemeinschaft haben. Fällt diese Art aus, setzt sich infolge der verstärkten Konkurrenz oft eine Art durch und verdrängt schwächere Arten. Für mich sind Bibliotheken eine solche "Keystone species" im System wissenschaftlicher Kommunikation.

Ich wünsche mir, dass unser Lebensraum TUHH-Bibliothek zu diesen Schlüsselarten gehören wird, die Bibliothek in Zukunft nicht in einer ökologischen Nische landet und dass wir die Möglichkeit behalten, mit der rasanten Entwicklung mitzugehen und uns kontinuierlich zu erneuern.

Zugefügt am 10.11.2009:

JPGs von zwei Folien:

Ökosysteme der Information

Lebensraum TUHH-Bibliothek