"Informationskompetenz neu gedacht" war der Titel eines Session-Vorschlags beim 4. Bibcamp vom 11. bis 12. März in Hamburg. Durch einen (absichtlichen?!) Hörverständnisfehler bei der Session-Planung wurde daraus zuerst "Informationskompetenz leicht gemacht"! Ich finde, heutzutage hat beides seine Berechtigung.
Zustande kam diese Session übrigens eigentlich durch ein Versehen. Anne Christensen hatte sich den Titel für die Themensammlung vor dem eigentlichen Bibcamp als Dummy und Beispiel ausgedacht. Ich selbst hatte dies gesehen und gedacht, mit Anne über dieses Thema zu diskutieren, dass wäre doch bestimmt spannend. Das dachten dann mehrere weitere Bibcamp-Teilnehmende und dann war auch noch ein Moderator gefunden worden.
Zum Bibcamp als Ganzem habe schon Andere ausführlicher gebloggt (Anne, Dörte, Markus). Die Dokumentation der 33. Sessions ist zur Zeit in vollem Gange. Nach meiner Teilnahme beim 3. Bibcamp im letzten Jahr plante ich für dieses Jahr eigentlich eine Session mit dem Titel "Das Internet vor 101 Jahren". Aber als Teil des Orga-Teams konnte ich es nicht verantworten, 😎 eine solche Session, die hauptsächlich eine Erläuterung von Folien dargestellt hätte, im Rahmen dieses Bibcamps anzubieten. Vielleicht im nächsten Jahr unter dem Titel "Das Internet vor 102 Jahren"!
Nun aber zur Session, zu der ich hier zusammenfassend, gespickt mit eigenen Anmerkungen, mein Wahrnehmungen aufgeschrieben habe. Insgesamt wurde vielfätige, auch grundlegende Fragestellungen zur Förderung von Informationskompetenz (IK) durch Bibliotheken explizit angesprochen, aber auch das, was implizit bei manchen Diskussionsbeiträgen für mich fühlbar schien, möchte ich hier thematisieren.
Im Browsing-Einstieg zur von Matti Stöhr mit Unterstützung von Silvia Czerwinski moderierten Session wurde als besondere Problematik der Förderung von IK durch Bibliotheken das Auseinanderfallen von Anspruch und Realität, von Inhalt und Form betont. Es wurde sogar von "wildem Aktionismus" von Bibliotheken im Bereich IK gesprochen. Vom Anspruch her impliziert IK inhaltlich mehr als Katalog- und Datenbank-Recherche. Es umfasst das wissenschaftliche Arbeiten und das Lernen Lernen, wie Werner Tannhof bzw. Julia Bergmann betonten. Andererseits kommt man beim Recherchieren auch ohne (bibliothekarisch gedachte) IK oft zu guten oder zufriedenstellenden Ergebnissen. "Informationskompetenz leicht gemacht" erfolgt heute durch gut gemachte Oberflächen von Datenbanken, die die IK der Nutzenden "fast automatisch" fördern.
Die IK-Angebote von Bibliotheken, erarbeitet oft mit Sicht auf den eigenen Bestand und die von ihnen subskribierten Datenbanken, dürfen die Sicht auf Tools wie Google, Facebook, Delicious usw. mit deren Problematik aber auch mit deren berechtigtem Mehrwert nicht ausklammern. Sonst werden Bibliotheken unglaubwürdig. Die Klage, dass die Studierenden nicht zu uns kommen, hilft nicht weiter: Bibliotheken müssen nach außen, zu den Studierenden gehen. Julia Bergmann betonte, wichtig sei das Ansetzen bei generellen Strategien, aber auch die Möglichkeit individuelle Fragen an Info-Desks, die z.B. zusammen mit dem jeweiligen Rechenzentrum bestzt werden können, beantwortet zu bekommen. Gerade wenn ein gewisser Leidensdruck da ist, werden kompetente Ansprechpartner benötigt! Julia fragte auch danach, was aus dem Gaming für die IK-Förderung gelernt werden kann.
Auf die Frage "Wie kamen Bibliotheken zum Thema Informationskompetenz?" wurde die These formuliert, dass die Beschäftigung mit IK die Folge politischer Entscheidungen im Zuge der Bologna-Studienreform sei: Dies gilt vielleicht für die Bibliotheken, die explizit als Folge der Reform Angebote erarbeiteten. Insgesamt gesehen ist es aber vielleicht auch so, dass aufgrund der Entwicklung von Informationstechnik und Internet herkömmliche Konzepte unter dem Label "Benutzerschulung", im angloamerikanischen Bereich, wie ich finde, besser als "user education" bezeichnet, nicht mehr ausreichen. Eigentlich sollte man heute eher von "Informationsbildung" als Aufgabe auch – aber nicht nur – von Bibliotheken sprechen. Die Realität der IK-Förderung durch Bibliotheken können aber – und dies wurde in der Diskussion ganz deutlich gesagt – nur Bibliotheken ändern, diese Realtität wird von uns gemacht! Olaf Eigenbrodt betonte nochmals seine schon in Leipzig geäusserte Auffassung, dass eine Status-Begründung von BibliothekarInnen durch Dozententätigkeit von außen gesehen selten glaubwürdig wirkt. Unterstützung von Lehrenden und Forschenden durch Informationsprofis als Partner, auch dies wäre eine Integration von IK in ihren Kontext und ins Curriculum.
Ein Diskussionsstrang der Session fragte nach der Definition von Informationskompetenz. Natürlich kann man hier die Standards runterbeten! 😎 BibliothekarInnen wollen oft klare Definitionen, Regeln und Standards. Aber beim Lernen und damit auch beim Thema IK ist die eigene Perspektive und der eigene Kontext entscheidend für den Erfolg. Kompetenzen können nur Individuen entwickeln, und diese sind eben total unterschiedlich in ihren Voraussetzungen und vielfältig in ihren Ansprüchen.
Schon die Literatur, zum Begriff, was Information eigentlich ist, ist heutzutage mit ihren vielfältigen Antworten kaum noch zu überschauen (Ergänzt am 18.3.2011: Vgl. dazu auch die Kategorie "Philosophy of information" dieses Blogs). Bei Fragen des Inhaltes und der Methoden der IK-Förderung scheint oft Unzufriedenheit und Ratlosigkeit zu herrschen, z.B. darüber, dass es kaum einen Minimalkonsens zur IK durch Bibliotheken gibt. Ich denke, nur aus solcher bewussten Unsicherheit heraus ist die Vielfalt möglich, die es Bibliotheken vielleicht erlaubt, einen Teil der Vielfalt der Bedürfnisse, die unsere Nutzenden hinsichtlich des eigenen Informationsverhaltens haben, aufzunehmen und zu erfüllen.
In der Diskussion kam die Frage nach den Kernkompetenzen von IK. Hier helfen die Standards nicht so richtig weiter, denn man sollte vielleicht besser fragen, was sind grundsätzliche Kernvoraussetzungen, um als Individuum informationskompetent zu werden. Julia Bergmann nannte hier Neugierde (schon Suzanne Rockenbach hat dies so gesehen), die Fähigkeit zu spielen und die Zeit dafür zu haben. Zeit ist dabei ein Grundproblem, nicht nur bei den in Bibliotheken Arbeitenden, sondern auch bei deren Nutzern. Dazu kommen aus meiner Sicht als Kernvoraussetzungen eine kritische Haltung und ein genereller Zweifel (wieder schon bei Rockenbach!) an dem, was man beim Informieren findet, sowie ein regelmäßiges überprüfendes Infragestellen des eigenen Informationsverhaltens.
Wie könnte so etwas wie Best Practice in IK-Förderung durch Bibliotheken aussehen? Genannt wurde eine Reduzierung des eigenen Anspruches, z.B. dadurch, dass man Schulung auch als Marketing-Massnahme ansieht, sowie das Bewusstsein, dass Datewnbank-Recherche als inhaltliche Hauptkomponente bibliothekarischer IK nur ein Teil des Ganzen ist. Als konkretes Beispiel möchte ich hier Aktivitäten von Christian Hauschke ergänzen, der sogenannte "Stippvisiten" in Lehrveranstaltungen macht, um für Schulungs- und Beratungsangebote der Bibliothek zu werben. Die Studierenden werden aufgefordert, sich selbst organisierend an die Bibliothek zu wenden, wenn sie als Kleingruppe eine Veranstaltung haben wollen. Meiner Erfahrung nach bringen von Studierenden selbst organisierte, geforderte und nachgefragte Aktivitäten von Bibliotheken zur IK die meiste Befriedigung für alle Beteiligten!