Sichten auf Open Access: Moralische Ökonomie und Grenzobjekt

Der folgende Text erschien erstmals im Blog der Universitätsbibliothek der TU Hamburg am 28.10.2018 im Rahmen der Blog-Reihe zur Open Access Week 2018.

Flaschenöffner an Hauswand mit Bezeichnung
Offenheit, Open Science und Open Access sind in aller Munde. Dieser Beitrag am letzten Tag der Open Access Woche 2018 soll mit Verweisen auf andere Texte bewusster machen, dass sich hinter jedem dieser Begriffe durchaus unterschiedliche Sichten, Akteure und Interessen verbergen. Diese Texte und Sichten auf „Openness“ bieten gleichzeitig vielleicht Anregungen für neue, interessante Gedankengänge zu Open Access. So unterscheiden Pomerantz und Peek (2016) eine Vielzahl an Bedeutungen von „open“, und Fecher und Friese (2014) sprechen von fünf Denkschulen bzgl. „Open Science“.

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#infolit und andere literacies

Im Rahmen eines kurzen Austausches via Twitter zum Verhältnis von Informationskompetenz und digitaler Kompetenz wurde ich auf die gelungene Analyse von Karsten Schuldt mit dem Titel „Whatever Happend to Informationskompetenz?“ aufmerksam. Anlass war auch ein Workshop auf dem OERcamp Nord am 15. Juni 2018 von Gabi Fahrenkrog und Christian Friedrich mit dem Titel „“Bibliotheken und das offene Netz – Fähigkeiten und Literacies„.

Und hier ein nicht abgeschickter, auch etwas zu langer Tweet zum Verhältnis von Informationskompetenz / „information literacy“ zu anderen Kompetenzen / literacies, da ich dann doch dachte, dass ich mal wieder einen Beitrag in diesem Blog schreibe, nämlich diesen hier: 😎

For me #infolit merges more and more with or vanishes within literacy concepts like data literacy, digital literacy, media literacy, civic literacy, transformative literacy, also a kind of scholarly literacy or scientific literacy, or more precise epistemic literacy or literacy to understand scientificality / scientificity, in German „Bildung, um Wissenschaftlichkeit zu verstehen“, to understand how science in the sense of scholarship or academic activities works.

Mit dem letzten Aspekt wäre dann auch eine Anknüpfung von #infolit an das Thema Fake News möglich (vgl. Folie 16 von Karsten Schuldt sowie weiter unten in diesem Text).

In letzter Zeit wird ja vor allem der Begriff „data literacy“ immer populärer, wobei für mich data literacy fast gleichzusetzen wäre mit information literacy (IL). Weiterlesen

Open Access und OER

Im Rahmen eines HOOU Workshop zu „Open Access“ auf der Campus Innovation 2017 (Donnerstag, 23.11.2017) ging es um Fragen nach Schnittstellen und möglichen Synergien zwischen Open Educational Resources (OER) und Open Access. Dies ist ein kurzer Bericht zum Impuls-Vortrag mit dem Titel „Open Access. Bibliothek in Zukunft?! – und was dies mit Open Educational Resources (OER) zu tun hat“ und von der daran anknüpfenden Diskussion.

Die Impulspräsentation begann mit einer Sicht auf „Offenheit in Forschung und Lehre“, die aufgrund der ständig zunehmenden Digitalisierung und deren Einfluss auf die Hochschulbildung und das wissenschaftliche Publizieren sich in den Schlagwörtern „Open Science“ und „Open Education“ manifestiert. In Hamburg illustrieren die laufenden Projekte „Hamburg Open Science“ (HOS) (Bürgerschaft Hamburg Drucksache 21/10485 vom 26.09.2017) und „Hamburg Open Online University“ (HOOU) (Drucksache 21/10426 vom 19.09.2017) diese Schlagwörter.

Das in der Ankündigung zur Impulspräsentation zu findende „Bibliothek in Zukunft?!“ umfasst die Frage der Verortung von Bibliotheken in diesen Open-Szenarien. Die Universitätsbibliothek der TUHH, die tub., versucht in beiden Szenarien aktiv ihre Kompetenz z.B. bzgl. Repositorien, Schnittstellen, eindeutigen Identifikatoren und Metadaten im Bereich Informations-Infrastrukturen einzubringen, vgl. etwa https://openscience.tuhh.de.

Die tub. führte ein Early Bird Projekt im Rahmen der HOOU mit dem Titel „Wie funktioniert eigentlich Forschung?“ durch. Als OER zum Wissenschaftlichen Arbeiten entstand unter anderen Ressourcen ein Weblog, das ein Bachelor-Seminar an der TUHH begleitet.
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Klimabildung und Bildung für Wissenschaft

Beim Lesen des schönen Artikels von Nina Kolleck und Mareike Well mit dem Titel „Mehr Action fürs Klima! Pariser Abkommen: Angesichts mächtiger ‚Klimaskeptiker‘ wie Trump ist es wichtig, die Wissenschaft auch in Schule und Uni weiter zu stärken“ (TAZ. Die Tageszeitung, Freitag, 29. September 2017, S.12) schwankte ich zwischen Phasen von gefühlsmäßig absoluter Zustimmung und grundsätzlicher Kritik, die ich mit diesen Anmerkungen loswerden will. Damit kann der Text vielleicht zur „lebhaften Streitkultur“ (so die Überschrift über dem letzten Absatz des Artikels) beitragen. Selten hat man in Tages- und Wochenzeitungen Texte, die zumindest bei mir so „einschlagen“ und einen zum Anschluss-Denken anregen, wobei dieses auch basiert auf manchen der letzten Beiträge in diesem Blog.

Letztlich fordert der Text mehr Klimabildung, ein Punkt, dem man nur zustimmen kann. Aber: Auch wenn ich selbst eher bildungsorientiert statt kompetenzorientiert denke (vielleicht ist dies aber auch eine Debatte von gestern?!), greift der Begriff Klimabildung für mich zu kurz. Das Klima bildet sich von alleine. 😎 In der gleichen TAZ-Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, war übrigens auch eine Beilage der Umwelt- und Entwicklungsorganisation German Watch enthalten, die vor allem der nachhaltigen Landwirtschaft gewidmet ist. Hier wurde im letzten Text dieser Beilage die „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BnE)“ diskutiert. Das wäre für mich als Begriff wesentlich besser, es sei denn man denkt Klimabildung als Synonym für BnE. BnE ist viel umfassender gedacht, wobei in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN (Sustainable Development Goals, SDGs) das Thema Klimawandel mit enthalten ist.

Die zweite Forderung des Textes, die nach der Stärkung von Wissenschaft in Schule und Universität, ist auch nur zu unterstreichen. Aber: Trotz kritischer Bemerkungen zur „Enttäuschende[n] Wissenschaft“ (auch eine Überschrift im TAZ-Artikel beim dem zweiten Abschnitt des Textes von Kolleck und Well) klingt doch für mich eine zu starke affirmative Bewertung von Wissenschaft durch, die teilweise auch bei den Marches of Science im Frühjahr dieses Jahres zu beobachten war. Es gibt nicht „die“ Wissenschaft, sondern ganz viele Wissenschaften und unterschiedliche Sichtweisen, was Wissenschaft ist und wie diese funktioniert.
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"Cogitamus" in "Kollaboration"

Der Titel dieses Beitrages enthält die Titel der beiden interessantesten Bücher, die ich im letzten halben Jahr gelesen habe. Bruno Latour (Cogitamus. Edition Unseld: Vol. 38. Berlin: Suhrkamp, 2016) beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik (Rezension), während Mark Terkessidis (Kollaboration. Berlin: Suhrkamp, 2015) über zeitgemäße Formen der Zusammenarbeit, genauer das Leben von Zusammenarbeit nachdenkt.

Cogitamus

Latours sechs Briefe an eine Studentin umfassen eine Einführung in sein Denken über die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Er rät der Studentin ein „Bordtagebuch“ zu führen, um hier Ereignisse, Beispiele und deren Quellen (z.B. aus Tageszeitungen) festzuhalten, die zeigen, wie sehr wissenschaftliche Ergebnisse Einfluss auf gesellschaftlich-politische Entscheidungen haben und umgekehrt.

„Keine Information ohne Transformation.“ (S. 189)

Meine Lieblingsformulierung von Latour erinnert an meinen Lieblingssatz bei Ernst Bloch. Weiterlesen

Fake-News und Informationskompetenz

Seit meinem Text zum epistemologischen Kern von Informationskompetenz hat sich für mich durch weltweite politische Entwicklungen die Notwendigkeit verstärkt, über die im Hintergrund stehende philosophische Frage nach dem Wesen von Wahrheit und Wissen, auf den akademischen Bereich bezogen über das Wesen und das Funktionieren von Wissenschaft und Forschung nachzudenken. Spätestens seit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist das Thema Fake-News ein Dauerbrenner in den Medien.

Bibliotheken schreiben Blog-Beiträge zu Fake News. Fake News ist auch für die IFLA ein Thema. Es gibt z.B. Veranstaltungen mit Titeln wie „Digital Literacy and Fake News“ oder einen schönen Aufsatz mit dem Titel „Fake news and alternative facts: five challenges for academic libraries„.
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Vor 40 Jahren starb der Philosoph Ernst Bloch

Ernst Bloch bleibt einer meiner Lieblingsphilosophen. Er starb am 4. August 1977.

Mein Lieblingszitat von Bloch ist: "Erkannt wird […] zum Ziel der In-Formatio über die Welt und der Welt selber." (Tübinger Einleitung in die Philosophie, 1977, S. 44). Dies ist ein Hinweis darauf, dass jedes Erkennen und Lernen nicht nur auf Vorhandenes gerichtet ist ("sich informierend über bereits Formiertes", Logos der Materie : eine Logik im Werden. 200, S. 238) sondern auch praktische Veränderung für die Zukunft enthält, die heutzutage so nötig ist, als "aktive In-formation eines Wirklichen selbst" (ebd.).

In einem vor kurzem Open Access erschienenden, zur Lage der Welt passenden Buch "Symptoms of the planetary condition: A critical vocabulary" (Bunz, M., Kaiser, B. M., & Thiele, K. (Eds.). 2017. Lüneburg: Meson Press.) heisst es am Schluss in einem Aufsatz von Jennifer A. Wagner-Lawlor auf Bloch und den Begriff Utopie bezogen:

"(…) utopian process effectively performs “the principle of Hope” (Bloch 1995). These performances are forms of transitive imagining, and not immobile ideologic constructions. Utopia is plastic, mobile, performative, and inviting: it invites us always to wonder, the most reliable and objective sign of hope."

Es ist immer spannend , was man so zufällig findet! 😎

Der Verlag Meson Press, der mit der Leuphana Universität in Lüneburg verbunden ist, hat noch eine Reihe weiterer interessanter Titel im Angebot. Für mich zum Beispiel wichtig:

  • Library life: Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens. Krentel, F. et al. (2015). Lüneburg: Meson Press. So etwas wie ethnografische Feldforschung zu „Orten, Materialien und Praktiken kulturwissenschaftlicher Wissensproduktion“. Verwendet habe ich das schöne Coverbild bei einem Beitrag mit dem Titel "Schon früh ans Schreiben denken!" im Blog der tub. zum Wissenschaftlichen Arbeiten
  • Critical Keywords for the Digital Humanities umfasst eine Sammlung von einzelnen kurzen Texten zu Begriffen wie Copyfight, Knowledge, Metadata, Open, Open Access u.a. die vor ein paar Jahren unter dem Titel "CDC Keywords" unter einer offenen CC-Lizenz verfügbar waren, dann aber lange verschwunden waren. Leider sind bei den Texten zur Zeit keine der Autoren genannt, zu denen z.B. Gary Hall, Mercedes Bunz, Janneke Adema u.a. gehörten. Der Twitter-Account existiert noch, verweist aber auf eine nicht mehr existierende Webseite.

Was es heisst, Informationskompetenz kritisch zu sehen

Was heisst es genau, wenn man Informationskompetenz kritisch sieht? Schaut man nämlich genauer hin, lassen sich verschiedene Ebenen und Aspekte unterscheiden, und es gibt ganz verschiedene kritische Sichten auf Informationskompetenz. Auf ein paar von diesen soll hier hingewiesen werden.

Eigentlich wollte ich einen Beitrag schreiben für einen durch die Gemeinsame Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv publizierten „Call for Papers: Themenschwerpunkt Informationskompetenz“ zu einem Themenheft der Zeitschrift o-bib. Denn gewünscht wurden „auch durchaus provokative Beiträge […], die neue Impulse in die Diskussion um die Förderung von Informationskompetenz in Deutschland einbringen“. Und weiter heisst es, daß „bereits der Titel aus einer aussagekräftigen These bestehen [kann], die dann im Text ausgeführt wird.“ Toll, Kritik und Kreativität sind also gefragt. Für mich war bei den möglichen Themen, „E-Learning und Gaming, Referenzrahmen und Schwellenkonzepte, IK und Forschungsdaten, Evaluation und Assessment, neue Zielgruppen und Kooperationen, Qualifikationsprofil und Ausbildung, Raumkonzepte, Netzwerke und neue biblio­thekarische Wege“ nichts wirklich Provokatives dabei. Ich bin sehr gespannt auf die Aufsätze des Themenheftes. Aus diversen Gründen schaffte ich es leider nicht, einen formalen Aufsatz zu verfassen, daher dieser Blog-Beitrag, der die Frage der Kritik im Rahmen von Informationskompetenz aufnimmt.

Kritische Sichten

Die Diskussion zu einer kritischen Sicht auf Informationskompetenz (Critical Information Literacy = CIL) nimmt, international gesehen, immer mehr zu. Ein aktuelles Review zur CIL stammt von Eamon Tewell.

CIL ist auch als Teil der sogenannten critlib-Bewegung zu sehen. Hinweise auf Literatur zu dieser bietet eine Zotero-Gruppe dieser Gruppe. Eine ähnliche britische Gruppe nennt sich Radical Librarians Collective. Schon lange bekannt ist die Progressive Librarians Guild, die schon seit Jahrzehnten eine eigene Zeitschrift herausgibt. In Deutschland zählt der Arbeitskreis Kritische Bibliothek zu dieser Bewegung, in Österreich der Arbeitskreis kritischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (KRIBIBI).

„Kritisch“ als Begriff hat ja nach dem Griechischen ursprünglich etwas mit scheiden, urteilen bzw. auch unterscheiden zu tun (siehe auch meinen Text in der 2. Auflage des Handbuch Informationskompetenz). Auch die Nähe von Kritik zu Information ist deutlich, wenn man an die bekannte Definition von Bateson denkt: „Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht.“ Ein anderer französischer Philosoph schreibt „Informieren heisst Differenzen bestimmen“ (François Châtelet, 1975) Weiterlesen

Nachdenken über Offenheit #OAWeek2016

Nachdem die Open Access Week auch 2016 wieder zu einer Fülle an Blog-Beiträgen bei vielen Bibliotheken geführt hat, etwa bei der TIB, der Bibliothek der Hochschule Hannover oder meiner tub.tuhh, hier Hinweise auf ein paar Texte, die auch Offenheit als solche reflektieren.

Dass Offenheit durchaus als wissenschaftliche Tugend anzusehen ist, behaupte ich in einem Beitrag im Blog zum wissenschaftlichen Arbeiten an der TUHH.

Der französische Philosoph Michel Serres hat dazu in einem auch sonst sehr lesenswerten Vorwort zu seinem zusammen mit Nayla Farouki herausgegebenen "Thesaurus der exakten Wissenschaften" (Frankfurt a.M.: Zweitausendeins, 2001 – Besprechung) zum Aspekt der Bildung durch und mit Wissenschaft geschrieben:

Bildung ist eine gleichermaßen technische, politische und moralische Frage. Umgekehrt betrifft das erste Problem, das die Wissenschaft aufwirft, deren Verbreitung. Wenn finanzkräftige Unternehmen wissenschaftliche Ergebnisse aufkaufen, werden sie aus Eigeninteresse mit Blick auf einen möglichen Verkauf geheim gehalten und nur noch selektiv publiziert. Alles für Profit und Ruhm, ansonsten herrschte Schweigen, Debatten wären ausgeschlossen. Die bezahlte Veröffentlichung liefe der kostenlosen den Rang ab. Das käme einer Regression auf die archaischen Zustände der vorhomerischen Defintion von aletheia gleich, wonach Wahrheit ihr Maß an der Bekanntheit hätte. Wenn man ansieht, in welchem Maß Forschung von der Finanzierung abhängig geworden ist, welche Blüten die Publikationsbesessenheit treibt und wie die reichsten Gruppen Ergebnisse für sich behalten, scheinen wir solch einer Regression gefährlich nahe zu sein. Hier verbietet der berufliche Ehrenkodex eine Geheimhaltung, die auf kurz oder lang die gesamte Wissenschaft zersetzt und zerstört. Die egalitäre Veröffentlichung allen Wissens, die nichts zurückhält und nichts maßlos forciert und in den Vordergrund spielt, wird damit zur sittlichen Pflicht. Wissen muss öffentlich sein, davon ist nicht nur die Wissenschaft betroffen, sondern auch deren ethische Grundlage.
[Hervorhebung T.H.] S. XXXVII – XXXVIII

Zur (eigenen) Geschichte und Gegenwart des Nachdenkens über Wissenschaft in der Hochschulausbildung

Beim Aufräumen meiner Papierberge 😎 bin ich vor einiger Zeit auf einen Leserbrief von mir gestoßen, der im Mai 1983 in der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ veröffentlicht wurde:

Lernen mit Sinn
In Ihrem Artikel in Nr. 11 432 über die Verteterversammlung des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) kommt eine Widersprüchlichkeit voll zum Ausdruck, die vielen Bildungspolitikern und Pädagogen offenbar immer noch nicht ganz bewußt ist: Einerseits sprach sich der Bundesgeschäftsführer des VBE „dagegen aus, zunehmend gesellschaftliche und politische Probleme in der Schule zu behandeln …“, andererseits sollten Kinder in der Schule „auch Verantwortlichkeit, Kritikfähigkeit und Solidarität“ lernen. Wie aber ist es möglich, diese offensichtlich politischen Ziele zu erreichen, ohne wenigstens einen kleinen Ausschnitt aus der ganzen Problematik unserer Geesellschaft zu entfalten? Richtig dagegen ist meiner Meinung nach, daß sich Lehrer die Zeit nehmen sollten, „nach Grund und Sinn zu fragen, und nicht nur einseitig Fakten weitergeben“. Demnach sollten zum Beispiel in den angeblich politikfreien Naturwissenschaften auch gesellschaftliche Probleme den Unterricht bereichern, etwa durch Behandlung der Umweltproblematik oder Untersuchung der Entstehungsbedingungen der heutigen Naturwissenschaft, die die Natur ausschließlich quantitativ erfaßt und nicht auch qualitativ. Vielleicht kann man damit ‚Dem Lernen einen neuen Sinn geben‘ und die oben erwähnten drei Ziele erreichen.“
Der Tagesspiegel, Berlin, Sonntag, 29. Mai 1983

Für mich ist das Inhaltliche hier noch immer aktuell, und das gilt auch für Hochschulen. Studierende aller Fächer sollten Lehrveranstaltungen besuchen, in denen sich Wissenschaft selbst zum Thema macht, wo also über Wissenschaftlichkeit nachgedacht wird. „Bildung“ als ein Zweck von Wissenschaft (Schummer, Joachim: Wozu Wissenschaft? Neun Antworten auf eine alte Frage. Berlin: Kadmos 2014.) umfasst die Notwendigkeit des Nachdenkens über Wissenschaft auf einer Meta-Ebene, die Reflexion über die eigene Disziplin und deren sozial-gesellschaftliche Einbettung in die moderne Gesellschaft.

Um heutzutage wissenschaftlich begründete Entscheidungen in Alltag (z.B. beim Gesundheitsschutz) und Politik (etwa bzgl. der Umweltproblematik und des Nachhaltigkeits-Imperativs) treffen zu können, müssen Entscheidende, also heutztage eigentlich alle, ein grundlegendes Verständnis des Funktionierens von Wissenschaft haben. Und dies kann auch, zumindest ansatzweise, in Aktivitäten zur Förderung von Informationskompetenz integriert werden, wie ich an anderer Stelle betont habe (hier noch ein Beispiel für eine praktische Auswirkung).
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Gedanken und Fragen zum Rahmenvertrag § 52a

Hier mal ein paar Punkte und Gedanken bzw. Fragen beim und nach dem Lesen des Rahmenvertrages zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG
(Hochschulen)
zwischen der Kultusministerkonferenz (KMK), dem Bund und der VG WORT.

[Absatz hinzugefügt am 9.12.2018:] Ab März 2018 wurde das Urheberrechtgesetz durch das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz verändert.
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Schreiben als In-Form-Bringen des Denkens

Die Überschrift dieses Beitrages ist mir vor Kurzem beim eigenen sogenannten Warmschreiben oder Free-Writing im Rahmen des Seminars "Wissenschaftliches Arbeiten" an der TUHH in den Sinn gekommen. Gerne nutze ich immer die Gelegenheit, diese Übung im Seminarteil von Birte Schelling mitzumachen. Ulrike Scheuermann (Schreibdenken. Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln. 2. Aufl. Opladen: Budrich, 2013) spricht auch von Gedanken- oder Fokussprints (S. 78-79). Man schreibt innerhalb von 5 Minuten ohne abzusetzen alles auf, was einem durch den Kopf geht bzw. man wählt vorab ein Thema und schreibt dann.

Kurz vorher hatte ich ein Buch durchgeblättert und angelesen, dass auch in die Richtung des Themas dieses Textes geht: Hornuff, Daniel: Denken designen. Zur Inszenierung der Theorie. Paderborn: Fink 2014. Es passt auch zu dem schönen Aufsatz von Philipp Mayer "Wissenschaftlich schreiben heißt vor allem denken. Zwölf Techniken für mehr Effizienz. Das Hochschulwesen, 58 (2010) 1, 28-32. Diese Blog-Beitrag befasst sich also mit philosophischen Gedanken zum Schreiben.

Hier mein Text vom Warmschreiben:

„Bibliotheken fördern auch akademische Tugenden und Kompetenzen. Eine der wichtigsten akademischen Kompetenzen ist die Reflexion, die Reflexion über das, was Wissenschaft kennzeichnet und wie wissenschaftliches Wissen entsteht. Kurse zum wissenschaftlichen Arbeiten bieten nicht nur Tipps und Rezepte sondern sollen gerade das Nachdenken anregen, über das, was man selbst tut, die Auswirkungen der eigenen Tätigkeit, und das Schreiben von eigenen Gedanken ist Teil des Denkens, Schreiben ist so etwas wie In-Form-Bringen des eigenen Denkens. Es hat also mit Form und Formalisierung des Denkens zu tun, andererseits wird durch das In-Form-Bringen auch deutlich, dass dadurch Denken trainiert werden kann. Beim Schreiben kommt man auf neue Gedanken, Assoziationen und Ähnliches, die einem vielleicht weiterhelfen, sein Tun fortzuentwickeln. Schreiben erleichtert das Denken durch die Ablage und Speicherung von Gedanken.“

Man kann vielleicht auch sagen, „Schreiben ist In-formation des Denkens“, Information hier benutzt im Sinne einer seiner etymologischen Wurzeln als Einprägen bzw. Formen des Denkens, denkt man an die englische Sprache auch als "Bildung" des Denkens, im Sinne von Anregen des Denkens. Denken wird durch das Schreiben aber eben auch in Form gebracht, formalisiert.

Bei der diesjährigen Kleinen Nacht des wissenschaftlichen Schreibens an der TUHH am 11. Mai 2016 (Kurzbericht zur Podiumsdiskussion am Beginn der Kleinen Nacht von Nadine Stahlberg) gab es überraschenderweise auch einen Vortrag zu einer, wie ich es nennen würde, „"Philosophie des Schreibens", der bei mir zu einer Vielzahl von Assoziationen führte. Der Vortragende Bertrand Schütz gestaltet seit Jahren ein Seminar "Literatur und Kultur" an der TUHH.

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Standards und/oder Framework zur Informationskompetenz

Nachdem die Association of College & Research Libraries (ACRL) die "Information Literacy Competency Stanards for Higher Education" vor Kurzem außer Kraft gesetzt hat, läuft in den Staaten eine vielfältige Diskussion über den Nutzen der Standards und deren Beziehung zum nun allein gültigen "Framework for Information Literacy for Higher Education".

Über ein Blog zum Framework wird auf eine Mailing-Liste zum Framework hingewiesen, in deren Archiv man die umfangreichen Diskussionen ab dem letzten Drittel des Monats Juni nachvollziehen kann. Den Anstoß zur Diskussion in der Liste gab auch ein Posting von Lisa Janicke Hinchliffe mit ihrem Blog-Beitrag vom 19. Juni. Zwei weitere interessante Stimmen mit eigenen Blog-Beiträgen stammen von Lane Wilkonson ("Framework or Standards? It doesn’t matter") und – dort erwähnt – Emily Drabinski ("What Standards Do and What They Don’t").

In Deutschland wurde das Framework im Rahmen einer Session auf dem Bibliothekskongress in Leipzig im Frühjahr 2016 erstmals offiziell diskutiert. Die amerikanischen Kolleginnen Hazel McClure und Gayle Schaub gaben in ihrem Workshop eine schöne Übersicht zum Framework und dem dahinter liegenden Konzept der Threshold Concepts. In diesem Blog wurde das erste Mal ja schon vor mehr als zwei Jahren auf das Framework hingewiesen. Die Kolleginnen wiesen in ihrer Präsentation auf die kritischen Stimmen zum Framework hin, z.B. auf Lane Wilkinson, der in seinem Blog "Sense and Reference" gerade jetzt wieder damit beginnt, das Framework kritisch zu kommentieren.

Trotz sicher mancher berechtigter Kritik passt für mich das Framework eher als die Standards in eine Zeit, die für Bibliotheken auch aufgrund der Herausforderung Open Access von einer Verstärkung ihrer Beratungsleistungen im Bereich Publizieren geprägt ist, was sich auch auf Forschungsdaten bezieht. Somit spielt die Frage des wissenschaftlichen Arbeitens eine immer größere Rolle, und dies wird gerade bei Frames wie "Authority Is Constructed and Contextual", "Information Creation as a Process", "Information Has Value" und "Scholarship as Conversation" deutlich.

Diese epistemologische Komponente von Informationskompetenz im ACRL Framework stellt indirekt die wichtige Frage "Wie funktioniert eigentlich Forschung?", eigentlich eine wichtige Diskussion für jedes Lernen und Lehren an Hochschulen in allen Fächern.

Trotzdem frage ich mich angesichts der Framework-Diskussion immer wieder mal, warum in Bibliotheken arbeitende Menschen immer so etwas wie Regeln oder einen festen Bezugsrahmen irgendeiner institutionalisierten Autorität benötigen, um zu arbeiten (was ja auch auf mich zutrifft, wenn ich mich beobachte)!?. Und dies scheint nicht nur eine typisch deutsche Mentalität zu sein. 😎

Zum Schluss:

In einem gerade erschienenen, interessanten Buch zur Informationskompetenz von Anthony Anderson und Bill Johnston ("From information literacy to social epistemology. Insights from psychology". Oxford: Chandos 2016) heisst es übrigens im Vorwort, das auch das Framework erwähnt:

"The matter of epistemology, both individual and social, is a key theme for information literacy in the coming years …" (S. VIII)

Dies habe ich sinngemäß auch schon mal gesagt. 😎

Chemie-Information und Forschungsdaten

Am 10. März 2016 nahm ich die Gelegenheit wahr, am ersten Tag der 15. Scifinder-HBZ Tagung in Hamburg teilzunehmen. Organisiert von Vertretern vom Chemical Abstracts Service (CAS) bot diese Veranstaltung Gelegenheit, sich beim Thema Chemie-Information auf dem Laufenden zu halten, was ich lange nicht mehr gemacht habe. Insgesamt sind mir aber auch recht allgemeine spannende Fragen zur wissenschaftlichen Kommunikation aufgefallen, die angesprochen und diskutiert wurden.

CAS als neben Reaxys von Elsevier immer noch wichtigster Anbieter von Chemie-Information, dessen Hauptangebot als fachbezogene bibliografische Referenz-Datenbank weiterhin als Geschäftsmodell gut zu laufen scheint, verändert aus meiner Sicht von den Nuancen her langsam sein Service-Angebot. Gut jede Firma, die am Markt bestehen bleiben will, ist gut beraten, dies zu machen, insofern ist dies nichts Neues.

Aber bei der Vorstellung des Produktes MethodsNow, das ein Tool zur Recherche nach chemischen Synthese- und Analyse-Methoden darstellt, wurde deutlich, dass dieses Informationsangebot zwar auf der bibliografischen Grundlage von CAS beruht, aber das sogenannte "Full Record" auch die detaillierten Anleitungen für die jeweiligen Methoden enthält. Damit entfällt der bisherige Zwang die jeweiligen Original-Artikel zu konsultieren, die ja oft nur in Zeitschriften verfügbar sind, die genauso hochpreisig sind wie die CAS-Produkte.

Von der Tendenz her werden sich also immer mehr Informationsangebote auf dem Markt nur halten k&oouml;nnen (und dies gilt nicht nur für CAS!), die zusätzlichen Mehrwert bieten, indem sie das Arbeiten erleichtern, denn mit bibliografischen Datenbanken allein wird wohl bald kaum noch Geld zu verdienen sein. Auch wenn im Chemiebereich durch die besonderen fachlichen Recherche-Notwendigkeiten (Suche nach Strukturformeln hier nur als Beispiel!) aber auch durch die besondere Bedeutung für die (Chemie-)Wirtschaft sich das Geschäftsmodell noch halten dürfte. CAS bietet mit der möglichen Integration der Daten des Chemischen Zentralblattes (ChemZent) und der Volltext-Ansicht von Patent-Dokumenten (PatentPak) in SciFinder interessante neuere Produkte, die aber insgesamt die Preise noch höher machen.

In zwei weiteren, externen, also nicht von CAS präsentierten Beiträgen auf der Tagung ging es dann um Forschungsdaten.

  • Nicole Jung vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) stellte das Projekt Chemotion, ein "Repository for molecules and research data" vor. Als Teil dieses Projektes wurde auch ein open-source-basiertes elektronisches Laborbuch (electronical laboratory notebook = ELN) entwickelt, das zusammen mit einem Laborinformationssystem (laboratory information management system = LIMS) durch die Nutzung einer SciFinder API auch mit bibliografischen Daten "versorgt" wird bzw. diese recherchierbar sind. Durch das Repository Chemotion selbst werden dann quasi aus dem Laborbuch heraus „bisher nicht publizierte Daten sichtbar“, welche auch mit einem DOI versehen sind.

    Durch den letzten Punkt entstand dann eine spannende Diskussion zu wesentlichen Fragen des wissenschaftlichen Publizierens. Zunächst wurde klargestellt, dass natürlich Daten nicht automatisch aus dem Laborbuch heraus sichtbar werden, sondern das dies eine explizite Entscheidung darstellt. Betont wurde auch, das letztlich die Veröffentlichung in einem Repository wie Chemotion, und damit die Publikation von Fosrchungsdaten selbst, wirklich eine eigene Publikation darstellt. In der Diskussion wurde für mich implizit sichtbar, dass zur Zeit immer noch mit "Publikation" zumeist Veröffentlichung in einem Peer-review-Journal meint (zumindest in der Chemie?!).

    Die Frage nach der Qualität von Publikation von Forschungsdaten ist hier dann natürlich auch zu diskutieren. Gibt es hier zukünftig eine eigene Form von Peer Review, vielleicht auch in Form von Altmetrics?! Oder erfolgt dieses im Zusammenhang mit einer eventuellen parallelen, klassischen Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Aber auch hier werden die Grenzen zwischen Zeitschrift und Datenbank verschwimmen bzw. verschwimmen diese schon. Und die Frage ist hier auch, wie die professionellen Informations-Dienstleister wie CAS mit der Publikation von Forschungsdaten umgehen.

    Nebenbei bermerkt: Gerade erst vor Kurzem wurde im Blog zum Seminar "Wissenschaftliches Arbeiten" an der TU Hamburg ein Beitrag zum Thema "Laborbücher" publiziert, sind diese doch in der Lehre ein schönes Beispiel um Aspekte des digitalen Wandels, der Bedeutung von Forschungsdaten, rechtlicher Frage zu Richtlinien zur sogenannten Guten Laborparxis (GLP), und zum „Beweissicheren elektronischen Laborbuch“, zur wissenschaftlichen Integrität und zur Tradition des "Notizen machens" (note-taking) zu reflektieren.

  • Ein umfassendes "Research Data Respository", das im April diesen Jahres in Produktion gehen wird, präsentierte Angelina Kraft von der Technischen Informationsbibliothek (TIB): RADAR, ein DFG-gefördertes Projekt von der TIB zusammen mit dem FIZ Karlsruhe, dem KIT und anderen Institutionen, dient zur Ablage und Nachnutzung von Forschungsdaten, ist als modulare Software Open Source verfügbar und wirkt als sehr professionelles Angebot hinsichtlich Dienstleistungsmodell, Metadaten, Datensicherheit und Nachhaltigkeit. Ähnlich wie beim Gold Open Access zahlen die einstellenden Autoren bzw. Institutionen neben einer Grundgebühr je nach Datenvolumen und je nachdem, ob nur eine Datenarchivierung oder auch einer Datenpublikation gewünscht ist.

Das Denken ausstellen …

Nein, nicht Ausstellen im Sinne von Abstellen, das machen manche "Vereinfacher" und "Selbstdarsteller" – beides tritt häufig zusammen auf – heutzutage genug. Hier soll es um Ausstellungen des Denkens und zum Nachdenken gehen, besonders um Ausstellungen zur Philosophie, die ich letztes Jahr besuchen konnte.

  • Die eine Ausstellung läuft im Garten der Burg Lenzen, einem Besucher- und Tagungszentrum im Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg. Ein Besuch lohnt sich, denn hier ist "Ein naturphilosophischer Spaziergang durch die Jahrhunderte" (Broschüre) im dem die Burg umgebenden "Naturpoesiegarten" möglich. In den Garten integrierte Kunstwerke laden ein zum Nachdenken über die Natur.

    Hier fand ich einen meiner Lieblingsphilosophen, Ernst Bloch, wieder, aber auch alle hier hervorgehobenen Philosophen wie etwa Böhme, Comenius, Leibniz, Kant und Schelling findet man in Bloch Schriften, der immer wieder das Verhältnis zur Natur thematisiert: "Unsere bisherige Technik steht in der Natur wie eine Besatzungsarmee im Feindesland, und vom Landesinneren weiß sie nichts.", ein Kernsatz aus einem Hauptwerk "Prinzip Hoffnung". Dass Bloch auch im Zeitalter der Digitalisierung das Denken anregen kann, beweisen Beiträge im Bloch-Blog.

  • Die zweite Ausstellung ging in eine ganz andere philosophische Richtung. Die Universität Wien bot letztes Jahr im Zusammenhang mit ihrem 650-Jahre-Jubiläum die Ausstellung "Der Wiener Kreis – Exaktes Denken am Rand des Untergangs". Der logische Positivismus ist zwar keine Philosophie, die mir nahesteht, aber durch die Beschäftigung mit Wilhelm Ostwald bewegt man sich auch etwas im Dunstkreis dieses Kreises, der in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bestand und danach einen großen Einfluss auf die Entwicklung insbesondere der Hauptströmungen der anglo-amerikanischen Philosophie hatte. Im Juni 2015 haben die Macher in der Wochenzeitung "Die Zeit" ihre Ausstellung vorgestellt.

    In den von Ostwald herausgegebenen Annalen der Naturphilosophie wurde 1921 der "Tractatus Logico-Philosophicus" des dem Wiener Kreis nahestehenden Ludwig Wittgenstein erstmals publiziert. Jüngst erschien ein Aufsatz zu Ostwald und Carnap (Dahms, Hans-Joachim (2016): Carnap’s Early Conception of a "System of the Sciences": The Importance of Wilhelm Ostwald. In: Christian Damböck (Hg.): Influences on the Aufbau. Cham: Springer International Publishing, S. 163–185).

    Auch der österreichische Wissenschaftstheoretiker und Arbeiter- und Volksbildner Otto Neurath gehörte zum Wiener Kreis. Neuraths Aktivitäten, wie z.B. seine universale Bildsprache Isotype, haben teilweise bis heute Bedeutung. In der von ihm begründeten Schriftenreihe "International Encyclopedia of Unified Science" publizierte Thomas S. Kuhn 1962 sein einflussreiches Buch "The Structure of Scientific Revolutions", das als Meilenstein ein Nachdenken über die Entstehung von Wissen innnerhalb von Wissenschaftsgeschichte und -theorie anregte.

    Faszinierend an der Ausstellung waren die vielfältigen Kontexte und Netzwerke zu ganz unterschiedlichsten Strömungen und Menschen der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. So unterschiedliche Menschen wie Ingeborg Bachmann, Berthold Brecht, Paul Feyerabend, Lászlo Moholy-Nagy, Robert Musil, Karl Popper, Edgar Zilsel u.a. standen in einer Beziehung zum Wiener Kreis.

  • Beim netzbasierten "Nachdenken" 😎 über das Thema dieses Blog-Beitrags bin ich noch auf die faszinierende Ausstellung des französischen Philosophen Jean-François Lyotard "Les Immatériaux" gestoßen, die z.B. von Antonia Wunderlich in ihrem Buch genau beschrieben wird. Die Meson Press der Leuphana Universität Lüneburg hat dazu aktuell einen Open Access zugänglichen Sammelband vorgelegt.

Übrigens auch die Universitätsbibliothek der Technischen Universität Hamburg (TUHH) hat im Rahmen der Nacht des Wissens im letzten Jahr eine Poster-Ausstellung veranstaltet, die zum Nachdenken anregen sollte. Das Thema war Offenheit und damit zusammenhängende Aspekte. Dabei war auch ein Plakat und ein paar Vitrinen "Zur Geschichte der Offenheit von Wissen".

Das Denken kann ja eigentlich auch in Medien wie Büchern oder solchen Blogs wie diesen hier ausgestellt werden. Letztlich kann man Menschen auch via Twitter beim Denken zuschauen. Bei mir z.B. wandern manche Tweets eventuell mal in einen Blog-Beitrag und vom Blog vielleicht auch in eine "richtige" 😎 Publikation.

Das Denken beobachten lässt sich auch auf der Website Edge, auf der John Brockman Wissenschaftlern jährlich eine spannende Frage stellt, die dann vielfältig beantwortet wird. Die Frage von 2015 lautete "What do you think about machines that think?", 2016 soll die Frage "What do you consider the most interesting recent [scientific] news? What makes it important?" beantwortet werden.

Auf deutsch sind gerade die Antworten der Frage von 2014 erschienen: "What scientific idea is ready for retirement?" (Welche wissenschaftliche Idee ist reif für den Ruhestand? /hrsg. von John Brockman. Fischer, 2016. Titel der englischen Buchausgabe: This idea must die. Scientific theories that are blocking progress.)

Mit dabei bei den Antworten sind solche, die auf recht populäre Weise eine Reflexion gerade zum Wesen der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Methode in Gang setzen, u.a.:

  • Einfachheit (Simplicity – A. C. Grayling)
  • Ursache und Wirkung (Cause and Effect – W. Daniel Hillis)
  • Wissenschaft macht Philosophie überflüssig (Science Makes Philosophy Obsolete – Rebecca Newberger Goldstein)
  • "Wissenschaft" („Science“ – Ian Bogost)
  • Unsere enge Definition von Wissenschaft (Our Narrow Definition of „Science“ – Sam Harris)
  • Informationsüberlastung (Information Overload – Jay Rosen)
  • Die Wissenschaft korrigiert sich selbst (Science Is Self-Correcting – Alex Holcombe)
  • Wissenschaftliche Erkenntnis als "Literatur" strukturiert (Scientific Knowledge Should Be Structured as „Literature“ – Brian Christian)
  • Die Art und Weise, wie wir Wissenschaft produzieren und fördern (The Way We Produce And Advance Science – Kathryn Clancy)
  • Nur Wissenschaftler können Wissenschaft betreiben (Only "Scientists" Can Do Science – Kate Mills)
  • Die wissenschaftliche Methode (The Scientific Method – Melanie Swan)
  • Reproduzierbarkeit (Reproducibility – Victoria Stodden)
  • Gewissenheit. Absolute Wahrheit. Genauigkeit (Certainty. Absolute Truth. Exactitude – Richard Saul Wurman)
  • Die Illusion wissenschaftlichen Fortschritts (The Illusion of Scientific Progress – Paul Saffo)