Klimabildung und Bildung für Wissenschaft

Beim Lesen des schönen Artikels von Nina Kolleck und Mareike Well mit dem Titel „Mehr Action fürs Klima! Pariser Abkommen: Angesichts mächtiger ‚Klimaskeptiker‘ wie Trump ist es wichtig, die Wissenschaft auch in Schule und Uni weiter zu stärken“ (TAZ. Die Tageszeitung, Freitag, 29. September 2017, S.12) schwankte ich zwischen Phasen von gefühlsmäßig absoluter Zustimmung und grundsätzlicher Kritik, die ich mit diesen Anmerkungen loswerden will. Damit kann der Text vielleicht zur „lebhaften Streitkultur“ (so die Überschrift über dem letzten Absatz des Artikels) beitragen. Selten hat man in Tages- und Wochenzeitungen Texte, die zumindest bei mir so „einschlagen“ und einen zum Anschluss-Denken anregen, wobei dieses auch basiert auf manchen der letzten Beiträge in diesem Blog.

Letztlich fordert der Text mehr Klimabildung, ein Punkt, dem man nur zustimmen kann. Aber: Auch wenn ich selbst eher bildungsorientiert statt kompetenzorientiert denke (vielleicht ist dies aber auch eine Debatte von gestern?!), greift der Begriff Klimabildung für mich zu kurz. Das Klima bildet sich von alleine. 😎 In der gleichen TAZ-Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, war übrigens auch eine Beilage der Umwelt- und Entwicklungsorganisation German Watch enthalten, die vor allem der nachhaltigen Landwirtschaft gewidmet ist. Hier wurde im letzten Text dieser Beilage die „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BnE)“ diskutiert. Das wäre für mich als Begriff wesentlich besser, es sei denn man denkt Klimabildung als Synonym für BnE. BnE ist viel umfassender gedacht, wobei in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN (Sustainable Development Goals, SDGs) das Thema Klimawandel mit enthalten ist.

Die zweite Forderung des Textes, die nach der Stärkung von Wissenschaft in Schule und Universität, ist auch nur zu unterstreichen. Aber: Trotz kritischer Bemerkungen zur „Enttäuschende[n] Wissenschaft“ (auch eine Überschrift im TAZ-Artikel beim dem zweiten Abschnitt des Textes von Kolleck und Well) klingt doch für mich eine zu starke affirmative Bewertung von Wissenschaft durch, die teilweise auch bei den Marches of Science im Frühjahr dieses Jahres zu beobachten war. Es gibt nicht „die“ Wissenschaft, sondern ganz viele Wissenschaften und unterschiedliche Sichtweisen, was Wissenschaft ist und wie diese funktioniert.

Wichtig wäre es, sowohl in Schule als auch an den Hochschulen beim Lernen und Lehren die „Wissenschafts-Innenpolitik“ aber dazu ebenso die „Wissenschafts-Außenpolitik“ zu thematisieren. Bildung für Wissenschaft meint einerseits zu hinterfragen, „wie funktioniert eigentlich Wissenschaft?„, also z.B. zu fragen, wie kommt Wissenschaft zu ihren Ergebnissen, wie funktioniert die Kommunikation, also auch das Publizieren in der Wissenschaft, was ist z.B. Peer Review, warum werden so selten negative Ergebnisse publiziert und anderes mehr. Andererseits ist es wichtig, zu sehen, wie Wissenschaften und ihre Ergebnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft genutzt, dabei auch nicht selten „falsch“ interpretiert sowie kontrovers diskutiert werden. Gerade aus Kontroversen – egal ob innerwissenschaftliche oder gesellschaftliche zu Wissenschaftsthemen – lässt sich sehr viel lernen.

Kontroversen um den Sauerstoff in der Chemie Ende des 18. Jahrhunderts, die bis heute andauernden Diskussionen zur Evolutionstheorie Darwins und andere Themen mehr, bieten ausreichend Stoff, um „Wissenschafts-Innenpolitik“ zu verstehen. Auch die Untersuchung von Fallbeispielen, wo Wissenschaft Treibende die Tugend der wissenschaftlichen Integrität verletzen, z.B. bei Fälschungen in der Wissenschaft, sind sehr aufschlussreich zum Verstehen des Funktionierens von Wissenschaft.

Durch Verfolgung von Diskussionen im Laufe der letzten Jahre kann wissenschafts-außenpolitisch gesehen werden, wie jeweilige Interessengruppen – etwa bei Themen zur Gesundheit von Zigarettenkonsum, zum Klimawandel, zum Einsatz etwa von Glyphosat und bei anderen gesellschaftspolitischen Diskussionen – Wissenschaft für die jeweils eigenen Zwecke benutzen. Beim Reflektieren über den Zusammenhang zwischen der Innen- und Außenpolitik in den Wissenschaften kommen dann Fragen des Einflusses von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auf die Wissenschaften zum Tragen, etwa die Problematik von Drittmittel- und Auftragsforschung oder das Verhältnis zwischen Hochschulforschung und Militär. Für solche Themen, didaktisch passende Konzepte zu entwickeln, wäre für mich wichtig.

Ein Nachdenken über Wissenschaft, über das Funktionieren wissenschaftlicher Forschung und über die Kennzeichen von Wissenschaftlichkeit wäre wichtig für alle Menschen, die wissenschaftlich arbeiten oder Wissenschaft verstehen wollen. Um wissenschaftlich begründete Entscheidungen treffen zu können, im Alltag etwa zum Umgang mit Lebensmitteln oder in der Gesundheits-Vorsorge und natürlich auch in der Politik, müssen Entscheidende ein grundlegendes Verständnis des Funktionierens von Wissenschaft haben. Ein Verstehen, wie Wissenschaft funktioniert, ist in einer Gesellschaft notwendig, die wesentlich vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt geprägt ist und die sich gleichzeitig unter wissenschafts- und technikbezogenen Herausforderungen (Digitalisierung, Klimawandel usw.) weiterentwickeln muss.

Im letzten schon erwähnten Artikel in der Beilage von German Watch wird auf einen weiteren Text von German Watch mit dem Titel „Wandel mit Hand und Fuß“ hingewiesen. Hier wird in Ergänzung zum sogenannten „ökologischen Fußabdruck“ (Ecological Footprint), der ein Maß für die Umweltbelastung durch einen Menschen bzw. den Verbrauch natürlicher Ressourcen durch einen Menschen darstellt, das Konzept des Handabdrucks (Hand Print) eingeführt. Letztlich ist zum Verkleinern des ökologischen Fußabdrucks das „Hand“eln jedes einzelnen Menschen notwendig. Ich hoffe für mich, dass durch diesen Text mein individueller Handabdruck ein ganz kleines bisschen größer wird, ohne dass dieses Größerwerden von mir als Alibi genutzt wird, damit aufzuhören, weiterhin daran zu arbeiten, meinen Fußabdruck zu verkleinern.