Im Rahmen eines kurzen Austausches via Twitter zum Verhältnis von Informationskompetenz und digitaler Kompetenz wurde ich auf die gelungene Analyse von Karsten Schuldt mit dem Titel „Whatever Happend to Informationskompetenz?“ aufmerksam. Anlass war auch ein Workshop auf dem OERcamp Nord am 15. Juni 2018 von Gabi Fahrenkrog und Christian Friedrich mit dem Titel „“Bibliotheken und das offene Netz – Fähigkeiten und Literacies„.
Und hier ein nicht abgeschickter, auch etwas zu langer Tweet zum Verhältnis von Informationskompetenz / „information literacy“ zu anderen Kompetenzen / literacies, da ich dann doch dachte, dass ich mal wieder einen Beitrag in diesem Blog schreibe, nämlich diesen hier: 😎
For me #infolit merges more and more with or vanishes within literacy concepts like data literacy, digital literacy, media literacy, civic literacy, transformative literacy, also a kind of scholarly literacy or scientific literacy, or more precise epistemic literacy or literacy to understand scientificality / scientificity, in German „Bildung, um Wissenschaftlichkeit zu verstehen“, to understand how science in the sense of scholarship or academic activities works.
Mit dem letzten Aspekt wäre dann auch eine Anknüpfung von #infolit an das Thema Fake News möglich (vgl. Folie 16 von Karsten Schuldt sowie weiter unten in diesem Text).
In letzter Zeit wird ja vor allem der Begriff „data literacy“ immer populärer, wobei für mich data literacy fast gleichzusetzen wäre mit information literacy (IL). Auch das HRK-Papier zur Informationskompetenz von 2012 betonte vor allem den damals „neuen“ Aspekt „data“. Aber man kann bei all diesen Begriffen, etwa auch media literacy, lange diskutieren, welcher den anderen umfasst oder auch nicht.
Es gibt eine Ausschreibung des Stifterverbandes zu data literacy sowie ein Arbeitspapier des Hochschulforums Digitalisierung mit dem Titel „Strukturen und Kollaborationsformen zur Vermittlung von Data-Literacy-Kompetenzen„, das auch den Bezug zwischen data literacy und #infolit thematisiert.
Die Definition von data literacy, “Data literacy is the ability to collect, manage, evaluate, and apply data, in a critical manner”, aus einem kanadischen Report „Strategies and Best Practices for Data Literacy Education Knowledge Synthesis Report“ (Ridsdale, C., Rothwell, J., Smit, M., Ali-Hassan, H., Bliemel, M., Irvine, D. et al. 2015. Halifax, Dalhouse University) ist genauso eine Definition für #infolit, wenn man einfach Data durch Information ersetzt (Twitter-Diskussion dazu).
Wenn ich mir den kanadischen Report durchlese, habe ich eine Art Deja-Vu zur Entwicklung des Themas Informationskompetenz in Deutschland. Da gab es am Anfang auch Studien, die zeigten, dass die Kompetenzen der Studierenden und Lehrenden zu wünschen übrig lassen, dass das Thema in den Hochschulen nur marginal, selten explizit behandelt wird, dass es eigentlich gut wäre, dies fachspezifisch zu berücksichtigen, dort aber die Kompetenz bei den fachspezifisch Lehrenden fehlt.
Es gibt ja mittlerweile eine Inflation von „literacy“-Begriffen. Ein Autor stellte bzgl. #infolit vor Jahren sogar die Frage, ob der Zusatz “information” überhaupt nötig sei, denn er definierte „literacy“ als „engaging with information [als Vorstufe zu information hier gerne auch data 😎 ] in all of its modalities“ (vgl. O’Farrill, Ruben Toledano: Information literacy and knowledge management. Preparations for an arranged marriage. In: Libri 58 (2008). S. 155–171, hier S. 167).
Es gibt sogar ein Open-Access-Buch zu „data information literacy“ (2015), was das Thema etwas übertrieben bibliotheksbezogen darstellt.
Aber auch mit dem Begriff „digital literacy“ sind data literacy und #infolit eng verwoben, umfasst diese vielleicht zukünftig sogar?! Vgl. zu digital literacy auch die Reports der mittlerweile nicht mehr existierenden, amerikanischen New Media Consortiums (NMC) von 2016 (Digital Literacy: An NMC Horizon Project Strategic Brief) und von 2017 (Digital Literacy in Higher Education, Part II: An NMC Horizon Project Strategic Brief).
Im kanadischen Report zu data literacy wird ja auf das Überlappen zu anderen literacies verwiesen. Letztlich gehört data literacy genauso wie information literacy zu den akademischen Kompetenzen im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens, wenn man jetzt mal nur auf den Hochschulbereich sieht.
Ein in das jeweilige fachspezifische Curriculum eingebundenes Lehr- und Lernangebot zum wissenschaftlichen Arbeiten (nicht „nur“ Umgang mit Information, Literaturverwaltung, wissenschaftliches Schreiben wie im Bachelor-Seminar an der TUHH), das auch die Behandlung von spezifischen Forschungsmethoden und dann auch data literacy umfasst, wäre daher eher ein Optimum. Auch unser Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten ist daher immer noch nur „aufgesetzt“ und nicht wirklich eingebunden in Curricula, da ohne direkten fachlichen Bezug.
Aber mittlerweile könnte man auch den Umgang mit Fake News (vgl. dazu auch einen Blog-Beitrag hier und die Blog-Artikel der TIB Hannover) zum Bereich data literacy rechnen, was unterstreicht, dass data literacy auch zur Allgemeinbildung gehört. Und wenn so ein Phänomen wie deepfake weiter zunimmt, gilt dies um so mehr. Und gerade auch Fälschungen und Kontroversen in der Wissenschaft gehören eigentlich dazu, wenn man über das Funktionieren von Wissenschaft reflektiert.
Für mich ist eigentlich so etwas wie eine Wissenschaftlichkeitskompetenz auch als Teil von Allgemeinbildung immer mehr von Bedeutung, zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert, wie WissenschaftEN funktionieren, welche Chancen aber auch welche Grenzen sie bieten, welche unterschiedlichen Sichten auf Wissenschaft, welche unterschiedlichen Methoden möglich sind usw.
Auch dies kann eine mögliche Antwort auf die Frage sein, was „Hochschule öffnen“ alles bedeuten könne, eine Frage, die auf einem von der tub. der TUHH mit vorbereiteten Workshop „Hochschule öffnen“ beim OERcamp Nord am 15.6.2018 diskutiert wurde (Ergebnis-Tweet).
Fächerübergreifende Aspekte von data literacy finde ich wesentlich. Inhaltlich scheint bei Beispielen wie etwa dem Textbook des Berkeley Data Science Education Programms eher das Fachspezifische im Vordergrund zu stehen, also harte Wissenschaft (inkl. Statistik, machine learning u.a.), also „data science education“ und nicht data literacy. So werden Themen wie Datenethik, -sicherheit, -schutz hier kaum behandelt. Auch eine Auseinandersetzung damit, was data von information unterscheidet, vermisse ich hier, ebenso auch in der kanadischen Studie. Wichtig wären so schöne Diskussionen zu Aspekten von „Datenkultur“ und „Datenethik“ wie es etwa die Texte „Information Wants to Be Free, Or Does It? The Ethics of Datafication“ von Geoffrey Rockwell und Bettina Berendt oder „‘Data’: The data“ von Jonathan Furner bieten.
Noch eine Bemerkung zur Inflation der literacies: 😎 Ich finde eigentlich die Begriffe metaliteracy oder auch transliteracy viel zielführender als data literacy (s.a. S. 9 unten in dem kanadischen Report).
Im Bereich Information literacy (IL) ist international die Diskussion ja auch schon weiter gegangen. In den Staaten spielen nicht mehr die eher kompetenzbasierten Standards eine Rolle sondern das sogenannte „Framework for Information Literacy for Higher Education“ (vgl. auch einen Blog-Beitrag von 2016 hier). Entscheidend ist für mich hier, dass nicht einzelne Kompetenzen sondern eher der ganze Prozess des Erwerbens und Publizierens von Wissen, also die (- auf Unis bezogen: wissenschaftliche – ) Kommunikation als Prozess und diese im Rahmen von spezifischen Kontexten oder/und (Fach-)Kulturen betrachtet wird.
Die schöne Definition von #infolit der britischen CILIP Information Literacy Group (ILG), „Information Literacy is the ability to think critically and make balanced judgements about any information we find and use. It empowers us as citizens to reach and express informed views and to engage fully with society“, berücksichtigt zudem nicht nur den akademischen Bereich.
Noch ein „politischer“ Kommentar: Data literacy scheint sich ja vielleicht auch deshalb immer mehr einzubürgern, da er so schön konkret wirkt und man zumindest vom Gefühl her nicht zu viel nachdenken braucht bzw. dieser auch eher zur anscheinend politisch gewollten data society passt. 😎
Hier noch ein paar „Zufalls“-Funde an Links zu oben angesprochenen Themen:
- Sapp Nelson, Megan R., A Pilot Competency Matrix for Data Management Skills: A Step toward the Development of Systematic Data Information Literacy Programs (2017)
- Sapp Nelson, Megan R., „Pilot Data Information Literacy Competencies Matrix Scaffolded Across Undergraduate, Graduate and Data Steward Levels“ (2016). Libraries Faculty and Staff Scholarship and Research. Paper 136.
- Purdue University Data IL Projekt, woraus auch das oben erähnte OA-Buch entstanden ist.
- Eine deutsche Aktivität zu data literacy, entstanden aus einer Master Thesis, die Datenschule, besonders interessant hier das Matrix-Modell sowie ein Aufsatz dazu „Doing Good with Data: Development of a Maturity Model for Data Literacy in Non-governmental Organizations“ von Helena Sternkopf und Roland M. Mueller.
- Zwei theoretische Aufsätze: Koltay, T. (2015). Data literacy: in search of a name and identity. Journal of Documentation, 71(2), 401–415, bzw. Matthews, P. (2016). Data literacy conceptions, community capabilities. The Journal of Community Informatics, 12(3)
- Schöne Aufsätze zu digital literacy bietet die Jubiläumsnummer des Nordic Journal of Digital Literacy (Open Access)
- Linksammlung zum am Anfang erwähnten Workshop von Gabi Fahrenkrog und Christian Friedrich
- „Wie digital ist Informationskompetenz?“ (Material aus meinem Workshop von 2016)