Auf dem Weg zur informationskompetenten Hochschule – die HRK zum Thema Informationskompetenz

Auf der 13. Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz am 20.11.2012 wurde eine Empfehlung mit dem Titel "Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern" verabschiedet. 6 Jahre nach dem Papier von den Briten Sheila Webber und Bill Johnston "Working towards the information literate university" (vgl. auch diesen Blog-Betrag von Sheila Webber von 2008) ist das Thema "Informationskompetente Hochschule" nun auch in Deutschland Mainstream.

Informationskompetenz wird hier endlich auch auf politischer Ebene viel umfassender und ganzheitlicher gesehen, als es von uns in Bibliotheken Arbeitenden in der Regel bisher verstanden und praktiziert wurde. Dies ist unbedingt zu begrüßen. Für ein deutsches Papier zur Informationskompetenz halte ich daher besonders das folgende Zitat für bemerkenswert:

"Informationskompetenz führt demnach unterschiedliche Teilfertigkeiten zusammen, von denen insbesondere zu nennen sind:

  • eine technische Kompetenz, d. h. ein für die Anwendung verschiedener Informations- und Kommunikationsmedien erforderliches technisches Wissen (als Weiterführung der sog.
    computer literacy),
  • eine kommunikative Kompetenz, d. h. ein Wissen um die Verfügbarkeit und Funktion der digitalen Kommunikationsmedien,
  • eine soziale und organisationsbezogene Kompetenz sowie
  • eine disziplinenspezifische Kompetenz, d. h. ein Wissen um die
    Besonderheiten unterschiedlicher Wissenschaftskulturen." (S. 6)

Folgende Punkte erscheinen mir nach erster Durchsicht der Empfehlung als besonders wichtig:

  • Neben der Informationskompetenz von Studierenden wird auch diejenige der Lehrenden in ihrer Bedeutung hervorgehoben. (S. 11f)
  • Der "Aspekt der ‚Informationsverantwortung‘ [wird] als Teil der Informationskompetenz mitgedacht." (S. 6)
  • Informationskompetenz im Bereich der Forschung wird als wichtig betont. "Stichworte seien die fortschreitende Digitalisierung von Texten und Objekten, das Elektronische Publizieren und Open Access, Virtuelle Forschungsumgebungen, Forschungsdaten und Langzeitarchivierung." (S. 12)
  • Auch für die Hochschulleitungen ist das Thema von Bedeutung. Es geht hier in Richtung Informationsmanagement wenn nicht gar Wissensmanagement. (S. 13ff)
  • Dass die "Lehrangebote zur Vermittlung von Informationskompetenz […] stärker als bisher curricular verankert und möglichst flächendeckend angeboten werden" (S. 18) sollten, ist natürlich ein alter Hut. Trotzdem ist es gut, dass dies hier nochmals betont wird. Schade ist es aber, dass an manchen Stellen in der Empfehlung weiterhin von "Vermittlung von Informationskompetenz" statt von "Förderung von Informationskompetenz" (vgl. diesen Beitrag von Karsten Schuldt) gesprochen wird.

[Nachtrag 10.12.2012:]
Zwei kritische Stellungnahmen zum Papier von Mandy Rohs und Hans-Christoph Hobohm. Auf letzteren Beitrag hat Jürgen Plieninger hingewiesen.

Zur wissenschaftlichen Kommunikation im 19. Jahrhundert

Alex Csiszar ist Wissenschaftshistoriker an der Harvard University und hat vor einiger Zeit einen Aufsatz mit dem Titel "Seriality and the Search for Order: Scientific Print and its Problems during the Late Nineteenth Century" veröffentlicht (History of Science 48 (2010) 399-434). Dieser Artikel ist auch als Open-Access-Version zugreifbar.

Dieser Aufsatz ist dieses Jahr auch in deutscher Sprache erschienen:
Serialität und die Suche nach Ordnung : Der wissenschaftliche Druck und seine Probleme während des späten 19. Jahrhunderts. zfm : Zeitschrift für Medienwissenschaft 07 (2/2012)

"Der Aufsatz skizziert Elemente einer Geschichte der wissenschaftlichen Literaturrecherche in Frankreich und Großbritannien im späten 19. Jahrhundert. […] Erst zu dem Zeitpunkt, an dem wissenschaftliches Wissen zunehmend zu einer Landschaft wissenschaftlicher Zeitschriften wurde und eine teilweise Sichtbarkeit bekam, nahmen die Forderungen nach einer umfassenden Sicht auf diese Landschaft an Dringlichkeit zu."

Der Artikel beschreibt Wege und Probleme der Literaturrecherche beim Aufkommen der immer zahlreicher werdenden Fachzeitschriften – im Artikel als "The machinery of scientific periodicals" bezeichnet – ebenso wie Versuche der Lösung durch Bibliographien wie z.B. den Catalog of Scientific Papers der Royal Society bzw. durch "Hommes a fiches" am Ende des 19. Jahrhunderts, von denen der im letzten Blog-Beitrag genannte Paul Otlet nur der bekannteste ist.

Ein Blick auf die Geschichte bietet oft auch die Möglichkeit, die Gegenwart in einem anderen Licht zu sehen. In Csiszars Aufsatz findet man solche – gerade auch aus heutiger Sicht interessante – Aussagen und Zitate wie (Angegebene Seitenzahlen beziehen sich auf die Open-Accesse-Version des Artikels):

"By 1900, the mathematician and physicist Henri Poincaré was deploying a vision of science in which nature was no longer a single bound book at all but instead was figured as a vast expanse of print matter, a body the scientist did not so much read through, as search, select from, and catalogue." [S. 4]

"[…] it is often forgotten that the rediscovery in the library may be a more difficult and uncertain process than the first discovery in the laboratory."
Lord Rayleigh, Presidential Address to the British Association (1884) [S. 6]

"Much of this was scarcely new; alarm over the ‚infinite multiplicity of publication’34 had been a conventional lament since at least the seventeenth century.35 Even the images that men of science were using to describe their frustration – ‚indigestion‘, ‚flood‘, ‚chaos‘ – often had early modern precedents.36" [S. 6]

"But few bent on professional advancement – an increasingly relevant concern by the late nineteenth century, especially once where and how much one had published became just as important as what one had discovered – would wish to forego the prestige that might come with a paper appearing in the Transactions if the opportunity presented itself. The desire to reach interested readers thus seemed at times to come in direct conflict with establishing professional credentials." [S. 11-12]

Die interessant gestaltete Homepage von Alex Csiszar lässt weitere spannende Arbeiten dieses Autors in den nächsten Jahren erwarten.

Aufsätze zu Paul Otlet auf deutsch

In diesem Jahr neu erschienen ist dieses von Frank Hartmann herausgegebene Buch:

Vom Buch zur Datenbank: Paul Otlets Utopie der Wissensvisualisierung / Frank Hartmann (Hrsg.). Berlin Avinus, 2012.

Von der Website des Verlages:

„Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet das Dokumentationswesen in eine Krise: wie lässt sich das kulturelle Wissen nachhaltiger organisieren?

Paul Otlet (1868–1944), ein belgischer Industriellenerbe und studierter Rechtsanwalt, entwickelte zusammen mit Henri La Fontaine ab 1895 ein Ordnungs- und Klassifikationssystem, das das millionenfach publizierte „Weltwissen“ dokumentieren sollte. Otlets Anspruch war die Schaffung eines „Instrument d’ubiquité“, das zur „Hyper-Intelligence“ führen sollte. Jahrzehnte vor Web und Wikis weisen diese Ideen auf eine globale Vernetzung des Wissens hin.“

Enthaltene Aufsätze:

  • Die Logik der Datenbank: Zwischen Leibniz und Google — Otlet der Weltbibliothekar (Frank Hartmann)
  • Die Utopie visueller Bildung: Zur grafischen und szenografischen Transformation der universellen Enzyklopädie bei Paul Otlet, Patrick Geddes und Otto Neurath (Wouter Van Acker)
  • Visionen und Visualisierungen der Datenintegration (Charles van den Heuvel und W. Boyd Rayward) – Leseprobe von Teilen dieses Aufsatzes auf der Verlags-Website

Learning everywhere

Mehr als zwei Monate keinen Blog-Beitrag hier, das ist mir lange nicht passiert. Ich komme immer weniger dazu, hier etwas zu schreiben, versuche aber wenigstens Twitter ab und zu zu nutzen.

„Learning everywhere“ war der Titel eines Vortrages, den Michael Stephens am 26.10.2012 an der TU Hamburg-Harburg gehalten hat.

Meine Einführung zu diesem Vortrag dokumentiere ich hier mit den inhaltlichen Passagen nach der Begrüßung und dem Dank an die Beteiligten:

Welcome for Michael Stephens

Hello all together. […] I have the honour to cordially welcome you all and especially Mr. Michael Stephens, Assistant Professor at the School of Library and Information Science of the San Jose State University in California who will talk this evening about the topic “Learning Everywhere. Transformative Libraries & Services“.

[…] Welcome friends of the TUHH library, a word I can use here also in the sense it is used in Facebook. […] Let me also mention at this point that this event is part of the national promotion week ‘Meeting Point Library’ starting this week on Wednesday October 24, the day of libraries in Germany.

Thinking about the future of the library has been an ongoing task in the life of the TU library. And this is true also for my own professional life. As a small university library from its beginning the TU library has tried to be innovative. Many of my colleagues in the library have been very busy to stimulate innovation processes since years.

One technical result of today is our discovery system and catalog VuFind, we call it now TUBfind. Another is our new website which integrates TUBfind as well as our weblog using the open-source blog software WordPress: I want also to mention here the use of RFID technology in our library. As I do today all the colleagues in the TU library learn something new every day what means being innovative for yourself.

We will hear a talk by Michael about the future of learning and the role the library in this process of learning. In times when literacy can be defined as “engaging with information in all of its modalities” [this citation from O’Farrill, Ruben Toledano: Information literacy and knowledge management. Preparations for an arranged marriage. In: Libri 58 (2008). p. 155–171, especially p. 167] and when literacy can be viewed as a social activity, libraries play their roles as learning facilitators, promoters of an information culture which should be rich and comprehensive, multifaceted and consciously experienced. The last point, a consciously experienced information culture is the aim of those activities in libraries concerning media and information literacy. Playing and networking are important so-called new media literacies. Also mobile learning, one of the topics of Michael, is really an issue here! The information culture you find in and through libraries is an important complement to the monoculture spread by Google or Facebook.

Let us now learn from Michael Stevens!

In diesem sehr inspirierenden Vortrag, dessen Folien auch im Netz sind und bei dem man nicht merkte, dass nach 60 Minuten knapp 150 Folien gezeigt wurden, war für mich besonders der Hinweis auf das Konzept des Transformative Learning im Rahmen der Erwachsenenbildung von Jack Mezirow spannend. Der aus meiner Sicht wichtigste Satz auf die Bibliotheken bezogen lautete: "Willing to leave out our physical walls".

Mehr von Michael Stephens:

Am meisten lernt man ja auch , wenn man selbst eine Präsentation vorzubereiten hat. Seit August habe ich zwei Präsentationen gegeben, je eine zu den beiden Themen, die mich schwerpunktmäßig interessieren:

"Comunicar – Scientific Journal of Media Education"

"Comunicar – Scientific Journal of Media Education" ist eine in englischer und spanischer Sprache erscheinende, zur Zeit anscheinend online frei zugängliche Zeitschrift zum Thema Medienbildung. Das aktuelle Heft (Vol. XIX, nº 38, 1st semester, march 2012) hat das Thema "Media Literacy in Multiple Contexts".

Besonders interessant finde ich den Aufsatz "From Solid to Liquid: New Literacies to the Cultural Changes of Web 2.0" von Manuel Area Moreira und Maria Teresa Ribeiro Pessoa, durch den ich auch auf die Zeitschrift gestoßen worden bin. Erwähnt werden hier eine Reihe von Kompetenzen, die aus Sicht der Autoren nötig für das Web 2.0 sind. Unter der hier auf Seite 15 in der Box gegebenen Definition von Literacy ist Information literacy ein wichtiger Teil.

Literacy must be a process of development of an identity as a subject operating within the digital territory, characterized by the appropriation of intellectual, social and ethical competences that enable him to interact with information and transform it in a critical and emancipating form. The goal of literacy is to develop each subject’s ability to act and participate in an independent, cultured and critical way in cyberspace. This is an essential universal right of all citizens of the information society.

Weitere interessante Titel von Aufsätzen in dem Themenheft sind "Critical Media Literacy after the Media", "Media Education, Media Literacy and Digital Competence" u.a. Spannend ist es durch die Zweisprachigkeit, dass man so auch etwas aus dem spanischen Kulturkreis zum Thema mitbekommt, wenn man nur Englisch und kein Spanisch verstehen kann.

Technisch positiv auffällig an der Zeitschrift ist auch, dass alle Artikel neben dem pdf-Format auch im epub-Format angeboten werden. Immer öfter werde ich bei Informationskompetenz-Aktivitäten von Studierenden gefragt, was ich meine, wenn ich von eBooks von Verlagen wie Wiley, Springer, de Gruyter usw. rede. Ich muss dann immer betonen, dass dies eigentlich gedruckte Bücher sind, die kapitelweise im pdf-Format angeboten werden. Wissenschaftsverlage müssen hier aus meiner Sicht umdenken, damit auch die Nutzenden von eBook-Readern, Pads usw. die Inhalte sinnvoll nutzen können. Das Angebot von epub-Dateien als Alternative geht hier in die richtige Richtung.

Internationales zur Informationskompetenz

In Moskau fand Ende Juni eine "International Conference on Media and Information Literacy for Knowledge Societies" u.a. organisiert von UNESCO und IFLA statt (Präsentationen und Bilder), auf der auch "The Moscow Declaration on Media and Information Literacy" verabschiedet wurde.

Schon Ende letzten Jahres wurden von der IFLA Media and Information Literacy Recommendations verabschiedet.

Im nächsten Jahr findet vom 22. bis 25. Oktober 2013 in Istanbul in der Türkei die European Conference on Information Literacy (ECIL) statt. Der First Call for Papers ist erschienen.

75 Jahre American Society for Information Science and Technology

Die American Society for Information Science and Technology (ASIST), die 1937 als American Documentation Institute (ADI) gegründet wurde, feiert 2012 ihren 75. Geburtstag.

Im Oktober wird zusammen mit der Jahrestagung eine spezielle Konferenz mit dem Titel "History of ASIS&T and Information Science and Technology Worldwide" veranstaltet.

Schon jetzt steht das 1990 veröffentlichte Buch von Irene Farkas-Conn "From Documentation to Information Science : The Beginnings and Early Development of the American Documentation Institute-American Society for Information Science" als eBook frei zur Verfügung.

Vorträge zur Geschichte der ASIST vom 2011 Annual Meeting sind über YouTube anzusehen, darunter auch ein Beitrag des ehemaligen ASIST-Präsidenten Michael Buckland.

Interessant auch eine Liste "ASIS&T/ IST Historical Documents and Archival Records that are available on the Web (A Preliminary List as of March, 2012)" (Word-Dokument!).

Mal schauen, was noch anlässlich des Geburtstages der ASIST publiziert wird.

Aufsätze und politische Statements zur Informationskompetenz

Drei spannende Aufsätze sind gerade im "Nordic Journal of Information Literacy in Higher Education" erschienen (Vol 4, No 1 (2012), Dank an Sheila Webber für den Hinweis in ihrem Blog):

Während der Beitrag von Sonja Spiranec und Mihaela Banek Zorica vor dem Hintergrund einer "Science 2.0" über veränderte Rahmen und Konzepte von Informationskompetenz nachdenkt, reflektiert Andrew Whitworth über Auswirkungen solch einen Übergangs auf die Theorie und Praxis der didaktischen Vermittlung.

Ein Beispiel für das Thema von Sirje Virkus Beitrag lässt sich auch gerade wieder in Deutschland betrachten, wo die beiden wissenschaftspolitischen Institutionen Wissenschaftsrat und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sich einen Wettkampf um die Deutungshoheit bei der Weiterentwicklung der Informations-Infrastruktur in Deutschland liefern. 😎 Immerhin ist das Thema Informationskompetenz in beiden Papieren erwähnt:

  • Positionspapier "Die digitale Transformation weiter gestalten – der Beitrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer innovativen Informationsinfrastruktur für die Forschung" DFG (Juli 2012).

    "Die Fähigkeit, mit einer steigenden Menge von Informationen und Informationsquellen sowie mit komplexer werdenden Kommunikationsstrukturen umzugehen, bedingt ein hohes Maß an Medien- und Informationskompetenz jenseits einer reinen Recherchekompetenz. Diese Anforderung sollte unter anderem in den Curricula der Graduierten- und Postgraduiertenausbildung verbindlich verankert werden, um gezielte Verbesserungen einer allgemeinen, fächerübergreifenden ebenso wie einer spezifischen, fachnahen Nutzung der modernen digitalen Informationsinfrastruktur zu erreichen."

    (S. 4)

  • Empfehlungen zur Weiterentwickung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020 (Drs. 2359-12) Wissenschaftsrat (Juli 2012)
  • "Der Wissenschaftsrat spricht sich dafür aus, dass die insbesondere Informations- und Medienkompetenz (Medienbildung) für den digitalen Bereich umfassende Kulturtechnik bereits im schulischen Fachunterricht erworben und im Rahmen jedes grundständigen Studienganges an Hochschulen vertieft wird. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Kulturtechnik ist zudem die Fähigkeit zu reflektieren, ‚inwiefern Medien in ihrer sozialkommunikativen, ästhetischen und technischen Dimension stets zugleich auch mitkonstituieren, was sie nur zu vermitteln bzw. zu transportieren scheinen.’"

    (Abschnitt B.II Zu Nutzungsformen, Teil II.1 Medienbezogene Kulturtechniken und Informationskompetenz, S. 41-42)

    Der Ausdruck Kulturtechnik an dieser Stelle gefällt mir. 😎

Kritische Informations- und Medienkompetenz

Das Buch mit dem Titel "Kritische Informations- und Medienkompetenz : Theoretisch-konzeptionelle Herleitung und empirische Betrachtungen am Beispiel der Lehrerausbildung" (Waxmann Verlag, 2012) ist mir schon im Frühjahr aufgefallen und zwischendurch entfallen. Das Buch steht frei im Internet zum Download zur Verfügung. Es betrachtet den spannenden Zusammenhang zwischen kritischem Denken und Informations- und Medienkompetenz.

Autorin des Werkes ist Mandy Schiefner-Rohs, die auch mit einen lesenswerten Blog mit dem Namen Head.Z betreibt. Das Buch wurde als Dissertation an der Universität der Bundeswehr München angenommenen. Betreuende war Gabi Reinmann, Professur für Lehren und Lernen mit Medien, die in diesem Blog schon mehrfach erwähnt wurde.

Frauen in den Informationswissenschaften

In der Zeitschrift "Libraries & the Cultural Record", die nach einer Umbenennung seit 2012 nun den schönen Titel "Information & Culture: A Journal of History" trägt, ist als "Sample Issue" zur Zeit das Heft mit dem Titel "Women Pioneers in the Information Sciences, Part II" (Volume 45, Number 2, 2010) frei zugänglich. Das Editiorial zur Umbenennung ist auszugsweise frei verfügbar.

Die Biographien der beschriebenen Frauen Madeline M. Henderson, Martha E. Williams, Pauline Atherton Cochrane und Elfreda Annmary Chatman geben ein schönen Einblick in die Informationswelt der 50er bis 70er Jahre, dem Beginn des Computer- und Online-Zeitalters nicht nur im Informationsbereich!

Den Artikel "Shaping Information History as an Intellectual Discipline" von James W. Cortada (pp. 119-144) im aktuellen Heft 2 von Volume 47, 2012 habe ich mir gerade per Fernleihe bestellt.

Informationskompetenz neu denken

Die folgenden Texte und Präsentationen, die versuchen Informationskompetenz neu zu denken bzw. die Veränderungen des Verständnisses von Informationskompetenz sichtbar machen, sind mir in letzter Zeit aufgefallen:

Gefreut habe ich mich über die Resonanz auf meine vor gut einem Monat ins Netz gestellte Präsentation "Information culture – different views on information literacy", die laut Slideshare innerhalb dieses Monats mehr als 4000 Mal angeschaut wurde. Zu danken ist dies Beiträgen in den Blogs von Sheila Webber und Olivier Le Deuff. Etwas, was auf Englisch "publiziert" wird, wird international doch eher wahrgenommen.

Herausforderungen und Ideen zur Bibliotheksinnovation

Eine gute Grundlage für Ideen und zur Beurteilung der Situation von wissenschaftlichen Bibliotheken ist für mich ein Report des amerikanischen Education Advisory Board [Link am 29.11.2012 auf die verkürzte Version geändert, da vollständige Version des Reports nicht mehr verfügbar!], der z.B. Kanzler und Präsidien von Universitäten berät und auf den ich im Dezember 2011 schon mal im Plan3t.info hingewiesen habe.

Die Hauptpunkte aus meiner Sicht führe ich im Folgenden zusammenfassend auf:

Herausforderungen

  • Traditionelle Kenndaten erfassen nicht den Wert von Bibliotheken für die Universität.
  • Weiter steigende Zeitschriftenpreise machen alternative Publikationsmodelle notwendig.
  • Sinkende Nachfrage nach traditionellen Dienstleistungen
  • Akademische Unterstützungs-Dienstleistungen bedeuten ein „Sich-Einlassen“ auf Studierende, Lehrende und Forschende.

Digitale Sammlungen in Schwung bringen

  • eBooks vor dem Durchbruch
  • Digitale Sammlungen in großem Maßstab
  • Nutzungseinschränkungen und das Urheberrrecht bleiben
  • Patron-driven acquisition

Alternative Modelle der Wissenschaftspublikation unterstützen

  • Konsortien nutzen
  • Pay-Per-View ausprobieren
  • Open Access verändert und wirkt weiterhin.
  • Infrastruktur für Open Access ausbauen.

Bibliothek als Raum umwidmen

  • Gedruckte Bestände umfangreich, teuer und wenig genutzt.
  • Virtuelle Discovery-Dienste ersetzen das zufällige Browsing am Regal.
  • Regelmäßiges, systematisches Aussondern von gedruckten Beständen.
  • Gemeinsame Speicherung gedruckter Bestände und gemeinsame Erwerbungsprofile mit anderen Bibliotheken
  • Bibliotheksraum für gemeinschaftliches Lernen zur Verfügung stellen

Bibliothekspersonal neu einsetzen, Organsiation umstrukturieren

  • Auskunfts-Service anders anbieten, auch „Embedded Librarians“
  • Zusammenarbeit mit dem Rechenzentrum verstärken
  • Förderung von Informationskompetenz ernst nehmen

Interessant ist in diesem ganzen Zusammenhang auch eine Nutzerumfrage 2011 der Uni-Bibliothek der TU München

Information culture and different views on information literacy

Am 1. Juni bin ich zu Gast im Seminar "Teaching Library : international trends in information literacy" von Prof. Christine Gläser im Rahmen des englisch-sprachigen Masters-Studienganges Informationswissenschaften und -management der Fakulät Design, Medien und Information der HAW Hamburg.

Mein Termin wird den Titel "Information culture and different views on information literacy" tragen, und ich werde hier u.a. Thesen aus meinem kürzlich erschienenden Aufsatz "Informationskompetenz in einer neuen Informationskultur" erläutern. Erscheinen ist der Aufsatz im von Wilfried Sühl-Strohmenger herausgegebenen "Handbuch Informationskompetenz" (Berlin : de Gruyter Saur, 2012, S. 36-48).

Hier folgt ein leicht bearbeiteter, aber stark gekürzter Auszug ohne Fussnoten:

Der Wandel der Welt der Information und Kommunikation

Die moderne Welt der Information und Kommunikation ist einem beständigen Wandel unterworfen. Aktuelle Praktiken und Erfahrungen in neuen Informationsumwelten werden zunehmend von Funktionalitäten und Komponenten des sogenannten Web 2.0 mit sozialen Netzwerken und Informationssystemen wie Facebook, Twitter, Weblogs und Wikis bestimmt. Dadurch verändern sich die Erwartungen und das Agieren der Nutzenden. Die Anforderungen für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Information verändern sich.

Im Folgenden werden Anregungen zum Nachdenken über die Frage gegeben werden, wie sich Informationskompetenz in sich ändernden Umwelten von Information und Kommunikation wandelt. Dies impliziert die Frage nach dem, was sich am Begriff Informationskompetenz nicht verändert, wenn sich Informationsumwelten wandeln, also die Frage nach dem Kern von Informationskompetenz. Eine kritische Reflexion des Begriffes Informationskompetenz als neue Informationskultur fördert einen eher kulturorientierten Blick auf die bisherige Theorie und Praxis von Informationskompetenz.

Eine kritische Sicht auf Informationskompetenz

Die Bezeichnung Informationskompetenz 2.0 wurde schon 2007 eher als ein Label für kritisches Hinterfragen gängiger Informationskompetenz-Vorstellungen aufgefasst. Ein kritischer Zugang zur Informationskompetenz umfasst eine kritische Analyse des Begriffes Informationskompetenz. Dieser ist ein Begriff, der von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verstanden wird. Differenzen und Unterschiede im Gebrauch definieren Begriffe. So spielen Unterscheidungen eine große Rolle, beim Informationsbegriff zum Beispiel diejenigen zu Wissen, Informatisierung, Form, Bildung/Lernen, Kommunikation, Dokument oder Medium. Information kann nie isoliert von verwandten Begriffen betrachtet werden.

Alternative Sichtweisen auf Informationskompetenz

Informationskompetenz wird als Teil der "multi"-, "new" oder "digital literacies" gesehen oder auch nur als eine kritische Einstellung. Ganzheitliche Sichtweisen zu "information literacy" verstehen Informationskompetenz als Meta-Kompetenz, trans- oder "second-order literacy".

Wozu Kultur? Ein kulturbezogener Blick auf Informationskompetenz

Natürlich ist die Kombination von Kultur mit Information keine Lösung für die Begriffsproblematik, denn der Kulturbegriff ist erst recht nur als Vielfalt von Bedeutungen zu verstehen. Aber eine alltägliche Bestimmung von Informationskultur als kultivierter Umgang mit Information, als bewusstes, verantwortungsvolles und kompetentes Umgehen mit dem eigenen Informieren und Lernen, kommt dem nahe, was unter Informationskompetenz verstanden werden kann. Der ebenfalls oft verwendete Terminus der "Lernkultur" impliziert einen engen Zusammenhang zwischen dem Lernenden, der immer auch ein sich Informierender ist, und der Umgebung oder dem Rahmen, in dem das Lernen stattfindet.

Informationskultur betont die Vielfalt beim Umgang mit unterschiedlichsten Informationssystemen im Gegensatz zur Google-"Monokultur". Mit dem Terminus Kultur kommt das Andere in den Blick, die Differenz und damit auch die Information, die nach Bateson über eben diese Differenz definiert wird: "Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht" (Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes : anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 582). Informationskultur umfasst ein "Sich-selbst-Gestalten", ein Anderssein und sich selbst anders (kritisch) sehen, aber auch einen gemeinschaftlichen, teilnehmenden Ansatz, die Betonung von Kontext und Beziehungen, so z.B. auch im Rahmen einer Fach-"Kultur", und damit eine nicht nur bibliothekarische Sicht auf Informationskompetenz.

Informationskultur meint auch, dass mit Information Umgehende Teil der Kultur eines Faches oder einer sonstigen Gemeinschaft, also Teil einer Diskussions- und Diskurs-Gemeinschaft mit eigenen kulturellen und sozialen Strukturen, sind. Diese können heutzutage auch virtuell im Netz in vielfältiger Weise existieren. Für diese "participatory culture" hat Henry Jenkins eine Reihe von "new media literacies" beschrieben, die zu einer bewussten Informationskultur gehören: "play", "simulation", "multitasking", "transmedia navigation", "networking" u.a.

Im Rahmen eines kulturellen Verständnisses von Information(skompetenz) kommen Fragen von Authentizität, Macht, Identität, Kreativität und Gedächtnis in den Blick, die gerade die moderne digitale Informations- und Kommunikationsgesellschaft prägen.

Was ist der Kern von Informationskompetenz oder Informationskultur?

Der ständige Wandel der Informationstechnologie wirft die Frage auf, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums im Bereich Informationskompetenz wichtig bleiben.

Welche Aspekte von Informationskompetenz gelten unabhängig davon, ob man sich in der Welt der gedruckten Information, im Web 2.0 oder in den vielfältigen Zwischenstufen zwischen beiden bewegt? Ein erster, unvollständiger Vorschlag, wie ein Individuum mit hoher Informationskultur und Informationsbildung agiert, könnte so aussehen:

  • Nie nur einer Informationsquelle vertrauen!
  • Beim Recherchieren und Informieren jederzeit auf Veränderungen gefasst sein! Das Andere beachten, und über sich selbst und das eigene Informationsverhalten hinaussehen!
  • Strategien zur Informationsbewältigung und zum Umgang mit der Informationsflut nutzen sowie Informationsmöglichkeiten und -prozesse kennen.
  • Beim Recherchieren über die verwendeten Suchbegriffe und deren Variationen und Synonyme nachdenken. Alltagstauglich ist der Slogan "Bullshit in, bullshit out".
  • Sich bewusst sein, dass Informationsprozesse prinzipiell unsicher sind und diese Ungewissheit ertragen lernen (Ambiguitätstoleranz). Differenzen ertragen und aushalten.
  • Im Rahmen des Informationsprozesses nicht zu früh aufgeben.
  • Sich bewusst sein, dass jedes Informationsprodukt von jemandem Bestimmten mit einem gewissen Zweck erstellt wurde. Jede Tatsache ist eine Tat-Sache.

Philosophische Hintergründe und Diskussionen zum modernen Informationswesen

In letzter Zeit sind zwei interessante Artikel erschienen, die Phänomene des modernen Informationswesens wie hier Urheberrecht und Transparenz stark philosophisch betrachten:

Auf den Frankfurter, in Südkorea geborenen Philosophen Byung-Chul Han bin ich letztes Jahr erstmals durch sein Buch "Hyperkulturalität : Kultur und Globalisierung" (Berlin : Merve-Verl., 2005) aufmerksam geworden. Er hat einen Blick von außen, quasi einen "Anderen Blick" auf viele Dinge, die auch für die Informationswissenschaft interessant sind. Dieser kulturell-philosophisch geprägte Blick öffnet bei mir manchmal andere Sichten auf Begriffe, wie etwa beim für mich bisher vorgefasst positiv besetzten Begriff Transparenz. Und dann kann es hier auch ganz schnell aktuell politisch werden (siehe dazu auch die spannende und umfangreiche Diskussion zum Artikel von Han im Tagesspiegel!).

In seinem Buch "Transparenzgesellschaft" (Berlin : Matthes & Seitz, 2012), das obiger Artikel zusammenfasst, schreibt Byung-Chul Han z.B.:

"Die sozialen Medien und personalisierten Suchmaschinen errichten im Netz einen absoluten Nahraum, in dem das Außen eliminiert ist. Dort begegnet man nur sich und seinesgleichen. Es ist keine Negativität mehr vorhanden, die eine Veränderung möglich machen würde. Diese digitale Nachbarschaft präsentiert dem Teilnehmer nur jene Ausschnitte der Welt, die ihm gefallen. So baut sie die Öffentlichkeit, das öffentliche, ja kritische Bewusstsein ab und privatisiert die Welt. Das Netz verwandelt sich in eine Intimsphäre oder eine Wohlfühlzone. Die Nähe, aus der jede Ferne beseitigt ist, ist auch eine Ausdrucksform der Transparenz." (S. 58-59)

Forschung umfasst Informationskompetenz

Dies wird besonders deutlich in zwei Papieren aus dem britischen Raum, auf die Sheila Webber gerade in ihrem Blog hingewiesen hat:

Beide sind von Vitae, einer nationalen britischen Organisation zur Förderung individueller Kompetenzen von Forschenden, für die es wohl kein Pendant im deutschen Raum gibt. Auch Career Center an deutschen Universitäten finden hier sicher viele wertvolle Tipps.