Aufsätze und politische Statements zur Informationskompetenz

Drei spannende Aufsätze sind gerade im "Nordic Journal of Information Literacy in Higher Education" erschienen (Vol 4, No 1 (2012), Dank an Sheila Webber für den Hinweis in ihrem Blog):

Während der Beitrag von Sonja Spiranec und Mihaela Banek Zorica vor dem Hintergrund einer "Science 2.0" über veränderte Rahmen und Konzepte von Informationskompetenz nachdenkt, reflektiert Andrew Whitworth über Auswirkungen solch einen Übergangs auf die Theorie und Praxis der didaktischen Vermittlung.

Ein Beispiel für das Thema von Sirje Virkus Beitrag lässt sich auch gerade wieder in Deutschland betrachten, wo die beiden wissenschaftspolitischen Institutionen Wissenschaftsrat und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sich einen Wettkampf um die Deutungshoheit bei der Weiterentwicklung der Informations-Infrastruktur in Deutschland liefern. 😎 Immerhin ist das Thema Informationskompetenz in beiden Papieren erwähnt:

  • Positionspapier "Die digitale Transformation weiter gestalten – der Beitrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer innovativen Informationsinfrastruktur für die Forschung" DFG (Juli 2012).

    "Die Fähigkeit, mit einer steigenden Menge von Informationen und Informationsquellen sowie mit komplexer werdenden Kommunikationsstrukturen umzugehen, bedingt ein hohes Maß an Medien- und Informationskompetenz jenseits einer reinen Recherchekompetenz. Diese Anforderung sollte unter anderem in den Curricula der Graduierten- und Postgraduiertenausbildung verbindlich verankert werden, um gezielte Verbesserungen einer allgemeinen, fächerübergreifenden ebenso wie einer spezifischen, fachnahen Nutzung der modernen digitalen Informationsinfrastruktur zu erreichen."

    (S. 4)

  • Empfehlungen zur Weiterentwickung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020 (Drs. 2359-12) Wissenschaftsrat (Juli 2012)
  • "Der Wissenschaftsrat spricht sich dafür aus, dass die insbesondere Informations- und Medienkompetenz (Medienbildung) für den digitalen Bereich umfassende Kulturtechnik bereits im schulischen Fachunterricht erworben und im Rahmen jedes grundständigen Studienganges an Hochschulen vertieft wird. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Kulturtechnik ist zudem die Fähigkeit zu reflektieren, ‚inwiefern Medien in ihrer sozialkommunikativen, ästhetischen und technischen Dimension stets zugleich auch mitkonstituieren, was sie nur zu vermitteln bzw. zu transportieren scheinen.’"

    (Abschnitt B.II Zu Nutzungsformen, Teil II.1 Medienbezogene Kulturtechniken und Informationskompetenz, S. 41-42)

    Der Ausdruck Kulturtechnik an dieser Stelle gefällt mir. 😎

Kritische Informations- und Medienkompetenz

Das Buch mit dem Titel "Kritische Informations- und Medienkompetenz : Theoretisch-konzeptionelle Herleitung und empirische Betrachtungen am Beispiel der Lehrerausbildung" (Waxmann Verlag, 2012) ist mir schon im Frühjahr aufgefallen und zwischendurch entfallen. Das Buch steht frei im Internet zum Download zur Verfügung. Es betrachtet den spannenden Zusammenhang zwischen kritischem Denken und Informations- und Medienkompetenz.

Autorin des Werkes ist Mandy Schiefner-Rohs, die auch mit einen lesenswerten Blog mit dem Namen Head.Z betreibt. Das Buch wurde als Dissertation an der Universität der Bundeswehr München angenommenen. Betreuende war Gabi Reinmann, Professur für Lehren und Lernen mit Medien, die in diesem Blog schon mehrfach erwähnt wurde.

Informationskompetenz neu denken

Die folgenden Texte und Präsentationen, die versuchen Informationskompetenz neu zu denken bzw. die Veränderungen des Verständnisses von Informationskompetenz sichtbar machen, sind mir in letzter Zeit aufgefallen:

Gefreut habe ich mich über die Resonanz auf meine vor gut einem Monat ins Netz gestellte Präsentation "Information culture – different views on information literacy", die laut Slideshare innerhalb dieses Monats mehr als 4000 Mal angeschaut wurde. Zu danken ist dies Beiträgen in den Blogs von Sheila Webber und Olivier Le Deuff. Etwas, was auf Englisch "publiziert" wird, wird international doch eher wahrgenommen.

Information culture and different views on information literacy

Am 1. Juni bin ich zu Gast im Seminar "Teaching Library : international trends in information literacy" von Prof. Christine Gläser im Rahmen des englisch-sprachigen Masters-Studienganges Informationswissenschaften und -management der Fakulät Design, Medien und Information der HAW Hamburg.

Mein Termin wird den Titel "Information culture and different views on information literacy" tragen, und ich werde hier u.a. Thesen aus meinem kürzlich erschienenden Aufsatz "Informationskompetenz in einer neuen Informationskultur" erläutern. Erscheinen ist der Aufsatz im von Wilfried Sühl-Strohmenger herausgegebenen "Handbuch Informationskompetenz" (Berlin : de Gruyter Saur, 2012, S. 36-48).

Hier folgt ein leicht bearbeiteter, aber stark gekürzter Auszug ohne Fussnoten:

Der Wandel der Welt der Information und Kommunikation

Die moderne Welt der Information und Kommunikation ist einem beständigen Wandel unterworfen. Aktuelle Praktiken und Erfahrungen in neuen Informationsumwelten werden zunehmend von Funktionalitäten und Komponenten des sogenannten Web 2.0 mit sozialen Netzwerken und Informationssystemen wie Facebook, Twitter, Weblogs und Wikis bestimmt. Dadurch verändern sich die Erwartungen und das Agieren der Nutzenden. Die Anforderungen für einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Information verändern sich.

Im Folgenden werden Anregungen zum Nachdenken über die Frage gegeben werden, wie sich Informationskompetenz in sich ändernden Umwelten von Information und Kommunikation wandelt. Dies impliziert die Frage nach dem, was sich am Begriff Informationskompetenz nicht verändert, wenn sich Informationsumwelten wandeln, also die Frage nach dem Kern von Informationskompetenz. Eine kritische Reflexion des Begriffes Informationskompetenz als neue Informationskultur fördert einen eher kulturorientierten Blick auf die bisherige Theorie und Praxis von Informationskompetenz.

Eine kritische Sicht auf Informationskompetenz

Die Bezeichnung Informationskompetenz 2.0 wurde schon 2007 eher als ein Label für kritisches Hinterfragen gängiger Informationskompetenz-Vorstellungen aufgefasst. Ein kritischer Zugang zur Informationskompetenz umfasst eine kritische Analyse des Begriffes Informationskompetenz. Dieser ist ein Begriff, der von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verstanden wird. Differenzen und Unterschiede im Gebrauch definieren Begriffe. So spielen Unterscheidungen eine große Rolle, beim Informationsbegriff zum Beispiel diejenigen zu Wissen, Informatisierung, Form, Bildung/Lernen, Kommunikation, Dokument oder Medium. Information kann nie isoliert von verwandten Begriffen betrachtet werden.

Alternative Sichtweisen auf Informationskompetenz

Informationskompetenz wird als Teil der "multi"-, "new" oder "digital literacies" gesehen oder auch nur als eine kritische Einstellung. Ganzheitliche Sichtweisen zu "information literacy" verstehen Informationskompetenz als Meta-Kompetenz, trans- oder "second-order literacy".

Wozu Kultur? Ein kulturbezogener Blick auf Informationskompetenz

Natürlich ist die Kombination von Kultur mit Information keine Lösung für die Begriffsproblematik, denn der Kulturbegriff ist erst recht nur als Vielfalt von Bedeutungen zu verstehen. Aber eine alltägliche Bestimmung von Informationskultur als kultivierter Umgang mit Information, als bewusstes, verantwortungsvolles und kompetentes Umgehen mit dem eigenen Informieren und Lernen, kommt dem nahe, was unter Informationskompetenz verstanden werden kann. Der ebenfalls oft verwendete Terminus der "Lernkultur" impliziert einen engen Zusammenhang zwischen dem Lernenden, der immer auch ein sich Informierender ist, und der Umgebung oder dem Rahmen, in dem das Lernen stattfindet.

Informationskultur betont die Vielfalt beim Umgang mit unterschiedlichsten Informationssystemen im Gegensatz zur Google-"Monokultur". Mit dem Terminus Kultur kommt das Andere in den Blick, die Differenz und damit auch die Information, die nach Bateson über eben diese Differenz definiert wird: "Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht" (Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes : anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985, S. 582). Informationskultur umfasst ein "Sich-selbst-Gestalten", ein Anderssein und sich selbst anders (kritisch) sehen, aber auch einen gemeinschaftlichen, teilnehmenden Ansatz, die Betonung von Kontext und Beziehungen, so z.B. auch im Rahmen einer Fach-"Kultur", und damit eine nicht nur bibliothekarische Sicht auf Informationskompetenz.

Informationskultur meint auch, dass mit Information Umgehende Teil der Kultur eines Faches oder einer sonstigen Gemeinschaft, also Teil einer Diskussions- und Diskurs-Gemeinschaft mit eigenen kulturellen und sozialen Strukturen, sind. Diese können heutzutage auch virtuell im Netz in vielfältiger Weise existieren. Für diese "participatory culture" hat Henry Jenkins eine Reihe von "new media literacies" beschrieben, die zu einer bewussten Informationskultur gehören: "play", "simulation", "multitasking", "transmedia navigation", "networking" u.a.

Im Rahmen eines kulturellen Verständnisses von Information(skompetenz) kommen Fragen von Authentizität, Macht, Identität, Kreativität und Gedächtnis in den Blick, die gerade die moderne digitale Informations- und Kommunikationsgesellschaft prägen.

Was ist der Kern von Informationskompetenz oder Informationskultur?

Der ständige Wandel der Informationstechnologie wirft die Frage auf, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Individuums im Bereich Informationskompetenz wichtig bleiben.

Welche Aspekte von Informationskompetenz gelten unabhängig davon, ob man sich in der Welt der gedruckten Information, im Web 2.0 oder in den vielfältigen Zwischenstufen zwischen beiden bewegt? Ein erster, unvollständiger Vorschlag, wie ein Individuum mit hoher Informationskultur und Informationsbildung agiert, könnte so aussehen:

  • Nie nur einer Informationsquelle vertrauen!
  • Beim Recherchieren und Informieren jederzeit auf Veränderungen gefasst sein! Das Andere beachten, und über sich selbst und das eigene Informationsverhalten hinaussehen!
  • Strategien zur Informationsbewältigung und zum Umgang mit der Informationsflut nutzen sowie Informationsmöglichkeiten und -prozesse kennen.
  • Beim Recherchieren über die verwendeten Suchbegriffe und deren Variationen und Synonyme nachdenken. Alltagstauglich ist der Slogan "Bullshit in, bullshit out".
  • Sich bewusst sein, dass Informationsprozesse prinzipiell unsicher sind und diese Ungewissheit ertragen lernen (Ambiguitätstoleranz). Differenzen ertragen und aushalten.
  • Im Rahmen des Informationsprozesses nicht zu früh aufgeben.
  • Sich bewusst sein, dass jedes Informationsprodukt von jemandem Bestimmten mit einem gewissen Zweck erstellt wurde. Jede Tatsache ist eine Tat-Sache.

Philosophische Hintergründe und Diskussionen zum modernen Informationswesen

In letzter Zeit sind zwei interessante Artikel erschienen, die Phänomene des modernen Informationswesens wie hier Urheberrecht und Transparenz stark philosophisch betrachten:

Auf den Frankfurter, in Südkorea geborenen Philosophen Byung-Chul Han bin ich letztes Jahr erstmals durch sein Buch "Hyperkulturalität : Kultur und Globalisierung" (Berlin : Merve-Verl., 2005) aufmerksam geworden. Er hat einen Blick von außen, quasi einen "Anderen Blick" auf viele Dinge, die auch für die Informationswissenschaft interessant sind. Dieser kulturell-philosophisch geprägte Blick öffnet bei mir manchmal andere Sichten auf Begriffe, wie etwa beim für mich bisher vorgefasst positiv besetzten Begriff Transparenz. Und dann kann es hier auch ganz schnell aktuell politisch werden (siehe dazu auch die spannende und umfangreiche Diskussion zum Artikel von Han im Tagesspiegel!).

In seinem Buch "Transparenzgesellschaft" (Berlin : Matthes & Seitz, 2012), das obiger Artikel zusammenfasst, schreibt Byung-Chul Han z.B.:

"Die sozialen Medien und personalisierten Suchmaschinen errichten im Netz einen absoluten Nahraum, in dem das Außen eliminiert ist. Dort begegnet man nur sich und seinesgleichen. Es ist keine Negativität mehr vorhanden, die eine Veränderung möglich machen würde. Diese digitale Nachbarschaft präsentiert dem Teilnehmer nur jene Ausschnitte der Welt, die ihm gefallen. So baut sie die Öffentlichkeit, das öffentliche, ja kritische Bewusstsein ab und privatisiert die Welt. Das Netz verwandelt sich in eine Intimsphäre oder eine Wohlfühlzone. Die Nähe, aus der jede Ferne beseitigt ist, ist auch eine Ausdrucksform der Transparenz." (S. 58-59)

Forschung umfasst Informationskompetenz

Dies wird besonders deutlich in zwei Papieren aus dem britischen Raum, auf die Sheila Webber gerade in ihrem Blog hingewiesen hat:

Beide sind von Vitae, einer nationalen britischen Organisation zur Förderung individueller Kompetenzen von Forschenden, für die es wohl kein Pendant im deutschen Raum gibt. Auch Career Center an deutschen Universitäten finden hier sicher viele wertvolle Tipps.

10 Bücher für ein ganzheitliches Verständnis von Informationskompetenz

Solche Listen sind immer eine beliebte Beschäftigung und Anregung zur Diskussion. Hier folgt eine Liste von aus meiner jetzigen Sicht zehn wichtigen Bücher für ein ganzheitliches Verständnis von Informationskompetenz:

  1. Critical library instruction : theories and methods / Maria T. Accardi, … (Hrsg.) Duluth, Minn.: Library Juice Press, 2010.
    Informationskompetenz kritisch reflektiert.
  2. Deep Search : Politik des Suchens jenseits von Google / Konrad Becker, … (Hrsg.). Innsbruck: Studien-Verl., 2009.
    Suchmaschinen und ihre gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung.
  3. How to research / Loraine Blaxter, C. Hughes, M. Tight. 4. ed. Maidenhead: Open Univ. Press, 2010.
    Alle Aspekte wissenschaftlichen Arbeitens aus einem Guss.
  4. #public_life : digitale Intimität, die Privatsphäre und das Netz
    Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2011. (Auch online).
    Kompetent und bewusst mit eigenen und fremden Daten (nicht nur) im Web 2.0. umgehen.
  5. Schlüsselkompetenzen : Literatur recherchieren in Bibliotheken und Internet / Fabian Franke, Annette Klein und André Schüller-Zwierlein. Stuttgart: Metzler, 2010.
    Praktische Informationskompetenz aus bibliothekarischer Sicht.
  6. Weiterlesen

Theoretisch-philosophische Reflexionen zu Bibliothek und Information

Ausgehend von einem Durchblättern des schwergewichtigen Buches "The atlas of new librarianship" von R. David Lankes (Cambridge, Mass.: MIT Press, 2011), zu dem es auch eine spannende Website gibt, suchte ich nach ein paar Rezensionen, fand z.B. die von Dale Askey, und landete in einem Blog mit dem Namen "Sense and Reference".

Dieses enthielt nicht nur eine ausführliche, sehr kritische Besprechung von Lankes‘ Buch, sondern in anderen Beiträgen faszinierende Auseinandersetzungen mit grundsätzlichen philosophischen Fragen zu Bibliothek und Information, so auch einen Lankes‘ Ansatz weiter kritisierenden Beitrag mit dem Titel "Libraries are not in the construction business".

Ich stimme mit dem Autor des Blogs "Sense and Reference", Lane Wilkinson, in vielen Punkten nicht überein – so vertritt er aus meiner Sicht einer zu einseitig realistische Haltung. Trotzdem sind viele Beiträge spannend, um z.B. die eigene Haltung zu schärfen. In der Diskussion zum zuletzt genannten Blog-Beitrag hat Angela Pashia meine Haltung zur Position von Wilkinson so mit ausgedrückt:

We need a middle ground that breeds a healthy skepticism (I like to think of that as information literacy, the ability to evaluate an information resource) without denying either an objective external reality or the influence of social conditions on learned human behavior.

Ein ebenfalls interessanter Blog-Beitrag befasst sich mit den Themen Literacy und Transliteracy.

BTW: Innerhalb einer Umfrage zum Thema Meta-Literacy von Thomas P. Mackey (siehe auch seinen Aufsatz mit Trudy E. Jacobson "Reframing Information Literacy as a Metaliteracy") habe ich übrigens zur Frage "Which of the following literacies do you think are components of information literacy?" – es folgten "Media literacy, Digital literacy, Cyber literacy, Visual literacy, Mobile literacy, Critical literacy, Health literacy, Other (please specify)" – bemerkt:

You can find dozens of discussions which special literacy is part of which other special literacy. It is a question of the viewpoint and socialization of the discussion member. In case you define ‚literacy‘ as „engaging with information in all of its modalities“ like O’Farrill, Ruben Toledano: Information literacy and knowledge management. Preparations for an arranged marriage (In: Libri 58 (2008) p. 155-171, p. 16) all above is literacy! […] but perhaps you should define meta-literacy as ‚reflecting about literacy‘ what I would like.

Wilkinson bietet in seinem Blog auch eine Zusammenstellung von Lektüre zum Thema "Library and Philosophy".

Man müsste auch mal darüber nachdenken, was zum Thema "Theoretisch-philosophische Reflexionen zu Bibliothek und Information" in Deutschland sichtbar ist. Rafael Capurro und auch Uwe Jochum sind mir da sofort eingefallen. Und natürlich der umtriebige Libreas-Blog mit Ben Kaden, der gerade Anfang des Jahres einen Überblick zur Forschung im Bibliotheks- und Informationswissenschaft im Jahre 2011 gegeben hat! Auf dem letzten Bibliothekartag gab es immerhin eine Session zu ethischen Fragen!

Fragen Sie mich übrigens nicht, wann man dann Ganze lesen soll, wenn man als Praktiker in einer Bibliothek arbeitet! Daher hier auch nur ein Hinweis auf die Möglichkeiten, die ich so wahrgenommen habe.

Fachinformation zur Biotechnologie

Schon 2004 hatte ich auf Anfrage des TUHH-Biotechnologie-Professors Volker Kasche Ideen und Textgrundlage für ein kurzen Text zur biotechnologischen Fachinformation geliefert, der dann im Lehrbuch von Klaus Buchholz, Volker Kasche und Uwe Th. Bornscheuer "Biocatalysts and enzyme technology" (Weinheim : WILEY-VCH, 2005) als Appendix I "The world of biotechnology information – 8 points for reflecting on your information behavior" (S. 419-426) erschienen ist. Grundlage dafür war eine allgemeiner gehaltene Webversion "Die Welt der Information in den Ingenieurwissenschaften – 10 Tipps zum Überleben" auf der Website der TU-Bibliothek.

Reizvoll daran fand und finde ich noch, die wichtigsten Bereiche allgemeiner und fachlicher Informationskompetenz in einem relativ kurzen Text darzustellen. Mittlerweile bin ich beim Korrigieren des überarbeiteten Textes "The World of Biotechnology Information: Seven Points for Reflecting on Your Information Behavior" für das Lehrbuch, das Mitte 2012 in 2. Auflage erscheinen soll. Die Greifwalder Biotechnologen haben die nicht überarbeitete Version sogar schon ins Netz gestellt (For teaching purposes only!). 😎

Viel zu lesen im Neuen Jahr: Examensarbeiten zur Informationskompetenz

In den letzten Tagen und Wochen wurde ich auf folgende Examensarbeiten im Bereich Informationskompetenz aufmerksam:

Auf die zweite Arbeit hatte ich schon länger gewartet. Auch die Dissertation enthält eine umfassende theoretische Diskussion über Informationskompetenz. Es tut sich was zu Theorie und Wissenschaft im Bereich Informationskompetenz in Deutschland.

Förderung von Kreativität

Das Thema Kreativität klang in diesem Blog schon öfter an. Im Zusammenhang mit meinem Beitrag bei plan3t.info unter dem Titel "Medien- und Informationskompetenz up-to-date" vom Oktober 2011 bin ich im Blog des erwähnten amerikanischen Medienpädagogen Henry Jenkins auf ein Interview mit dem Medienwissenschaftler David Gauntlett gestoßen, das den Titel "Studying Creativity in the Age of Web 2.0" (zweiter Teil, dritter Teil) trägt.

Die im Interview angesprochene und zitierte Definition von Kreativität bildet auch die Grundlage von Gauntletts Buch "Making is Connecting: The Social Meaning of Creativity, from DIY and knitting to YouTube and Web 2.0", das in wichtigen Teilen auf der Website zum Buch verfügbar ist:

Everyday creativity refers to a process which brings together at least one active human mind, and the material or digital world, in the activity of making something. The activity has not been done in this way by this person (or these people) before. The process may arouse various emotions, such as excitement and frustration, but most especially a feeling of joy. When witnessing and appreciating the output, people may sense the presence of the maker, and recognise those feelings.

Die hier beschriebene Alltags-Kreativität, die für Gauntlett auch für das Web 2.0 charakteristisch ist, führt ihn in seinem lesenswerten Buch sogar zurück bis ins viktorianische Zeitalter der britischen Art-and-Crafts-Bewegung, bis zu John Ruskin und William Morris.

Welche Möglichkeiten haben nun Bibliotheken, um Kreativität zu fördern? Hier das, was mir ad hoc eingefallen ist, was Bibliotheken "machen" können, um zu "verbinden":

  • Angebot von Discovery-Oberflächen für die Suche nach Bibliotheksbeständen
  • Teile von Bibliotheksräumen mit Wohnzimmer-Atmosphäre ausstatten und Möglichkeiten für Gruppenarbeit bieten
  • Innerhalb ihrer Nutzer-Umwelt das jeweilige Wissensmanagement unterstützen
  • Ganz banal: Im Rahmen von Informationskompetenz-Aktivitäten auf die notwendige kreative Verwendung von Suchbegriffen und deren Variationen und Synonyme bei der Recherche hinzuweisen
  • Nicht zu vergessen die Förderung der Kreativität des eigenen Personals, um die konkreten Utopien zukünftiger Bibliotheks-Dienstleistungen (Link zu meinem letzten plan3t.info-Beitrag) zu schaffen
  • …!?

Anknüpfungspunkte und Inhalte der Förderung von Informationskompetenz

In welchem Rahmen und mit welchen Inhalten erreicht man Studierende beim Thema Informationskompetenz am besten? Dieser Dauerbrenner bei Diskussionen um Informationskompetenz ist kürzlich von Anne Christensen in ihrem Blog in einem anregenden Beitrag aufgegriffen worden.

Der Hinweis von Anne Christensen, dass weder Bibliotheken, noch Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten selbsterklärend sind, und ihr Vorschlag, schon ziemlich früh, das Thema Peer Review zu behandeln, treffen die inhaltliche Haupt-Problematik von Informationskompetenz aus meiner Sicht exakt.

Persönlich glaube ich, dass man eigentlich noch tiefer gehen müsste. Die wichtige Frage, die ja auch mit dem Peer Review zusammenhängt, lautet: Wie entsteht wissenschaftliches Wissen? Was unterscheidet dieses von anderem Wissen? Und schon ist man mittendrin in der Frage: Was ist "wissenschaftliche" Wahrheit? Was ist Wahrheit überhaupt? Und damit ist man auch schon tief verstrickt in spannenden philosophischen, gar weltanschaulichen Diskussionen! (Vor einiger Zeit hatte ich im Rahmen eines Essays auf ähnliche Aspekte in einem kurzen Abschnitt mit dem Titel "Von der Informationskompetenz zur Reflexion über wissenschaftliches Arbeiten" hingewiesen.)

Optimal wäre also die Integration eines Moduls Informationskompetenz in eine Lehrveranstaltung zum (möglichst fachspezifischen) wissenschaftlichen Arbeiten. Gerade hatte ich eine Gruppe Studierender des Masters-Studienganges Resource Efficiency in Architecture and Planning (REAP) der HafenCity-Universität (HCU) zu Gast. Deren Lehrveranstaltung mit dem Titel "Research Methods and Statistics" ist genau der richtige Ort für das, was mir vorschwebt und das durch das Leuphana-Semester in Lüneburg eigentlich auch zu erreichen wäre. Themen der HCU-Lehrveranstaltung sind: Basic concepts in epistemology and philosophy of science, Different understandings of and perspectives on theoretical and empirical research (qualitative and quantitative research), The role of models and computers, Fundamentals of statistical reasoning, Principles of scientific work. Meine eigene Mitwirkung in der Lehrveranstaltung beschränkte sich dann allerdings doch eher auf die klassisch, bibliothekarisch verstandene Informationskompetenz, denn wer von uns hat die Zeit und die Gelegenheit, solch ein Projekt und eine solche Lehrveranstaltung wirklich durchzuführen bzw. zu begleiten. Übrigens, auch die [Q] Studies, das Studium fundamentale der HCU, wären ein potentieller Ort für die Integration von IK-Aktivitäten.

Auch an der TU Hamburg-Harburg (TUHH) habe ich vor ein paar Wochen Veränderungen beobachten können, die eventuell verstärkt Anknüpfungspunkte zur Förderung von Informationskompetenz bieten könnten. Ich war eingeladen im Rahmen einer Übung zur Vorlesung "Bioverfahrenstechnik – Vertiefung" etwas zur Fachinformation in der Verfahrenstechnik zu sagen. Ich dachte anfangs, dass wird wieder so eine aufgesetzte Veranstaltung, wo man etwas zum Thema Informationskompetenz erzählt, dies aber von den Studierenden kaum wahrgenommen wird, weil für sie anstehende Klausuren mit Recht viel wichtiger sind.

Doch ich wurde eines anderen belehrt! Zur Einführung wurden die Teilnehmenden von den lehrenden wissenschaftlichen MitarbeiterInnen auf Aspekte des problembasierten Lernens (PBL) hingewiesen, das im Rahmen dieser Lehrveransatltung ausprobiert werden sollte und das seit einiger Zeit an der TUHH etwas populärer wird.

Der "Kreislauf" des PBL, der den Studierenden vorgestellt wurde, ist dabei der Folgende:

  • Am Anfang steht ein Problem, vorbereitet in der Regel vom Lehrenden.
  • In einer Kleingruppendiskussion wird bekanntes Wissen zum Problem gesammelt und danach gefragt, was zur Problemlösung noch benötigt wird.
  • Dann erfolgt in Eigenstudien die Suche nach benötigten Informationen via Internet und Bibliotheks-Ressourcen.
  • Die gesammelten Informationen werden dann ausgetauscht, und es wird geprüft, ob diese schon zur Problemlösung reichen. Ist dies nicht der Fall, beginnt der Kreislauf von vorne.

Und der dritte Punkt ist eben aus der Natur des Prozesses heraus der richtige Anknüpfungspunkt für Informationskompetenz-Aktivitäten.

Für die TUHH ist dies jedenfalls was Neues, abseits von den normalen Vorlesungen. Vorbild für die TUHH sind PBL-Konzepte der dänischen Universität Aalborg sowie der niederländischen Universität Maastricht.

Es gibt vergleichbare Ansätze für handlungsorientiertes, selbstgesteuertes Lernen unter anderen Begriffen wie z.B. WebQuests. Sheila Webber hat gerade in ihrem Blog unter dem Stichwort Inquiry-Based Learning auf ähnliche, aber viel strategischer gedachte britische Aktivitäten hingewiesen. Schon vor längerer Zeit hatte ich eine These zitiert, dass die Anknüpfungspunkte von Informationskompetenz dann größer werden, wenn komplexere und offene Problemstellungen Teil des Lernens im Alltag an den Schulen und Hochschulen werden. Mein Tutorial im Rahmen der oben erwähnten Vorlesung wurde jedenfalls aufmerksam verfolgt. Wohl besonders auch deswegen, weil durch das Absolvieren der (übrigens freiwilligen) PBL-Anteile der Vorlesung die Studierenden Punkte für die abschliessende Klausur erwerben konnten. 😎

Informationskompetenz auf die Spitze getrieben!

Aus der Praxis heraus, aufgrund einer aktuellen Anfrage eines Lehrenden meiner Universität, hier ein Beispiel, warum überflüssiges Wissen hinsichtlich der Informationssuche bei den Kunden der Bibliotheken weiterhin notwendig bleiben wird. <Ironie>Informationskompetenz bleibt also ein wichtiges Thema!</Ironie>.

Wenn ich mir über die Elektronische Zeitschriftenbibliothek die Physical Reviews anschauen will, hier z.B. den Teil E, sehe ich, dass eine Nationallizenz vorhanden ist. Klicke ich hier auf die Nationallizenz lande ich beim Dienst GetInfo der TIB Hannover.

Anscheinend kann ich jetzt gezielt über diese Oberfläche GetInfo in der gewünschten Zeitschrift recherchieren. Es werden mir Artikel der Nationallizenz angezeigt und ich kann mir diese auch im Volltext runterladen, hier ein Beispielartikel. Den gleichen Artikel kann ich auf der Verlags-Website des e-journals nicht mehr bekommen.

Was ist hier passiert? Für mich sieht dies so aus, als ob der Verlag das Vorhalten der Zugriffsberechtigung für die Nationallizenz eingestellt hat und dies auf die TIB verlagert hat, die anscheinend gleichzeitig einen Server mit den Volltexten bereitstellt. Wurde all dies irgendwann mal kommuniziert? Habe ich da was verpasst? Wahrscheinlich!?

Diese Entwicklung bedeutet für Kunden zum Beispiel, dass Artikel, die z.B. via Google Scholar auf der Verlags-Website gefunden werden, an manchen Universitäten nicht im Volltext gelesen werden können. Sie müssen wissen, dass sie den gleichen Artikel über GetInfo nochmal recherchieren müssen, um an den Volltext zu kommen. Das wird alles immer verrückter mit der Informationskompetenz!

Man kommt also bei der genannten Zeitschrift an meiner Universität offenbar über die Recherche bei GetInfo weiterhin an die Volltexte der Nationallizenz, jedoch nicht mehr direkt beim Verlag! Aber es wird noch komplizierter: Für die Zeitschrift Physical Reviews B, die die TUHH-Bibliothek z.Zt. abonniert hat, kommen unsere Kunden an die aktuellen Volltexte über die Verlagswebsite, und hier dann auch (!) an die Volltexte der alten Bände!

Alles sehr spannend und als Endkunde, und als der fühle ich mich hier auch, irgendwann sicher kaum noch zu verstehen!?

Ergänzung vom 14.10.2011:

Nachdem ich gestern das Obige ziemlich schnell runtergeschrieben habe, ist mir bewusst geworden, dass die hier beschriebene Entwicklung wahrscheinlich von grundsätzlicherer Natur ist: Die Verlage werden die von den Bibliotheken gekauften elektronischen Ressourcen aus verschiedensten Gründen irgendwann nicht mehr vorhalten können oder wollen. Gerade hat z.B. ein Verlag seine Plattform gewechselt und manche der eBooks sind dabei nicht mit auf die neue Plattform gewandert. Die TUHH-Bibliothek hat dafür die PDF-Dateien der eBooks angeboten bekommen. Vielleicht stellt ein Verlag seine Tätigkeiten in einem bestimmten Segment ein oder geht gar in Insolvenz. Auch dann sind eigentlich dauerhaft lizensierte eMedien plötzlich nicht mehr verfügbar. Oder der Verlag, wie anscheinend bei den Physical Reviews im Rahmen der Nationallizenzen, möchte ältere "Bestände" und Verträge nicht mehr weiter pflegen.

Ausserdem verdienen Verlage dadurch zusätzliches Geld, falls Interessierte via Google oder sonstwie auf der Verlags-Website landen, das Produkt kaufen, ohne zu wissen, das in den Tiefen des Deep Webs die Produkte frei zur Verfügung stehen.

Es werden sich weitere Geschäftsmodelle ähnlich wie z.B. das von JStor entwickeln, die abgelegten Content der Verlage aufnehmen und anbieten. Bibliotheken werden dann in Zukunft statt in ein Büchermagazin in solche wie im Fall von GetInfo durchaus auch von Bibliotheken betriebene Institutionen investieren müssen, um an ihre gekauften elektronischen Ressourcen langfristig heranzukommen.

Was kann man unseren Kunden angesichts dieser Unübersichtlichkeit hinsichtlich der Suche nach bestimmten Volltexten raten? Ich sage z.B. immer, dass die Suche nach einem konkreten Artikel im Volltext durchaus über Google erfolgen kann. Oft findet man hier das Gesuchte sofort. Nur im Falle man nach der Kreditkarte oder nach einem Login gefragt wird, sollte man sich daran erinnern, dass es Bibliotheken gibt 😎 und im Katalog nach der gewünschten Zeitschrift recherchieren, um so eventuell auf weitere "Standorte" der Volltexte zu kommen oder überraschenderweise 😎 festzustellen, dass diese Zeitschrift leider nur gedruckt in der betreffenden Bibliothek zur Verfügung steht.