Suchmaschinen und Informationskompetenz

Da gerade „Alternativen zu Google“ ein Thema ist, hier ein Hinweis auf einen frei im Netz verfügbaren Aufsatz-Sammelband zum Thema Suchmaschinen von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften:

Wie arbeiten die Suchmaschinen von morgen? : Informationstechnische, politische und ökonomische Perspektiven / Friedemann Mattern (Hrsg.). Stuttgart : Fraunhofer IRB Verl., 2008

Der letzte kurze Beitrag von Rudi Schmiede mit dem Titel „Auf dem Weg in die Google-Gesellschaft?“ (S. 127-133) enthält ab S. 129 Grundlegendes zur Unterscheidung von Information und Wissen und danach interessante Bemerkungen zum Thema Informationskompetenz. Diese machen einerseits deutlich , dass Informationskompetenz nicht alles umfasst und nicht die wichtigste Kompetenz ist, wie wir Bibliothekare manchmal glauben wollen, betonen aber andererseits doch deren Wichtigkeit! 8-).

Für den Umgang mit Informationen und Wissen erforderliche Fähigkeiten werden gewöhnlich mit den Begriffen „Informationskompetenz“ oder „Medienkompetenz“ beschrieben. Die damit beschriebenen Anforderungen reichen jedoch für die Bewältigung der mit Wissensarbeit verbundenen Aufgaben nicht aus, denn die für die gegenwärtige Entwicklung zentrale Kompetenz ist die an die Person gebundene Fähigkeit zur Vermittlung zwischen Informationen und Wirklichkeit, mit anderen Worten die Kontextualisierungsfähigkeit. Diese wird jedoch durch Tendenzen zur Umwertung von Wissen gefährdet: An die Stelle von „wahr“ oder „falsch“ treten Kriterien der Zugänglichkeit wie „digital“ oder „nicht-digital“, „gegoogelt“ oder „nicht gegoogelt“. Dagegen ist gerade das Wissen
um und über das Nicht-Wissen – wie die Philosophen und Soziologen Norbert Bolz, Nina Degele und Helmut Willke betonen – von rasch wachsender Bedeutung; und dieses Wissen wird durch die genannten Zugänge überhaupt nicht eröffnet. Zentral für den menschlichen Umgang mit Wissen bleibt vielmehr die erfahrungsbasierte, Vernunft und Verstand nutzende Urteilskraft (Kant), durch die erst menschliche Autonomie und Individualität konstituiert wird. Diese Urteilskraft ist unter den heutigen Bedingungen entscheidend von der Fähigkeit abhängig, Informationen aus externen Wissensquellen zu erarbeiten, zu erschließen und zu beurteilen. Google ist wertvoll, so weit und insofern Suchmaschinen diesen Prozess unterstützen; dafür ist aber die schon eingeforderte Transparenz der Such- und Ranking-Algorithmen zentral. Die Fähigkeit zum Umgang mit nichtdigitalen Informationen hat keineswegs an Bedeutung eingebüßt, sondern bleibt für die Urteilskraft und den Umgang mit Wissen und Nicht-Wissen von zentraler Bedeutung. Dies ändert selbstverständlich nichts daran, dass Wissensprozesse durch digitale Techniken unterstützt werden können und sollten. […]

[…] Die sachlich und sozial begründete und immer wichtiger werdende Fähigkeit zur Nicht-Information und Nicht-Kommunikation wird nach wie vor zu wenig ausgebildet. Dieser Mangel ist Bestandteil eines breiteren Defizits: Es fehlt an der Ausbildung in umfassender, die Urteilskraft stützender Informations- und Medienkompetenz, wie dies vor einigen Jahren die Dortmunder „SteFi“-Studie mit aller Deutlichkeit aufgezeigt hat. Wir hinken in der schulischen wie in der hochschulischen Ausbildung der technischen
Entwicklung deutlich hinterher: Wir verweigern unseren Schülern und Studenten die Herausbildung der notwendigen Urteilsfähigkeit, indem wir die Informations- und Medienkompetenz nicht systematisch in die Schul- und Hochschulcurricula einbauen. […] Trotzdem bleibt die Ausbildung kritischer, auf umfassendem Wissen basierender Autonomie die Kernaufgabe, um einen angemessenen und mündigen Umgang mit den neuen Informations- und Wissenswelten zu ermöglichen.

Macht das Internet dumm?

Diese Frage wird zur Zeit in diversen Medien diskutiert. So auch in der letzten Ausgabe des Spiegel (der Artikel dazu unter dem Titel „Die Datensucht“ ist nun auch online! T.H. 27.8.08). Auch die Zeit fragt auf in ihrem Online-Angebot: Macht uns Google wirklich dumm?.

Auslöser ist wohl ein Artikel von Nicholas Carr in der Zeitschrift Atlantic. Aber auch der New Scientist enthält in ähnlicher Richtung einen Kommentar des britischen Philosophen Anthony C. Grayling mit dem Titel „The importance of knowing how“. Auszüge findet man in einem britischen Blog.

Angesprochen werden in den Texten eine Vielzahl von Themen aus dem Bereich Informationskompetenz, die wachsende Informationsflut, das Problem der Plagiate und die Frage, wie der Umgang mit Internet, Web 2.0 usw. unser Arbeiten, Denken und Lernen verändert. Sicher, neu ist diese Diskussion nicht (vgl. auch), und historisch gesehen gab es ähnliche Diskussionen bei jeder medialen Umwälzung.

Das Fach „Information History“

Nun hat die Informationsgeschichte auch ihre erste Monografie über das Fach selbst. Gerade erschienen ist:

Toni Weller: Information history : an introduction ; exploring an emergent field. Oxford: Chandos, 2008.

Das Buch

… explores how the contemporary values and concerns of our own information society have helped lead to a reconsideration of our history, and of what constitutes our historical understanding of information in the twenty-first century. … It takes a forward looking approach to the emergence of further LIS departments embracing it in their curriculum, and historians exploring the concept of information an explicit part of their research.

Content:

  • Introducing information history – The Information Age; information history in the 2000s; defining information; studying information
  • The relevance of information history – specific skills; general skills; contextualisation; development of the information profession
  • Key schools of thought in information history:
    • library and book history
    • the history of information systems and infrastructures
    • the history of information disciplines
    • cultural and social explorations of information
    • origins of the information society
  • Information history in practice – research; teaching
  • Looking forward – the next ten years

Themenheft zur Geschichte der Informationswissenschaft in Großbritannien

Das Journal of Information Science publiziert eine Art Themenheft zur Geschichte der Informationswissenschaft in Gro&szloig;britannien (August 2008, Volume 34, No. 4). Es folgen ein paar Artikel als Beispiele. Im Rahmen des Intranets der TUHH haben wir anscheinend Zugang dazu im Rahmen der von der DFG geförderten Nationallizenzen.

  • Brian Vickery: Guest Editorial Meeting the challenge. Journal of Information Science 2008 34: 397-401. (Pionier, den ich auf einer Konferenz in Philadelphia 2002 kennengelernt habe, siehe auch: A long search for information / Brian Vickery. Urbana-Champaign, Ill. : Graduate School of Library and Information Science, Univ. of Illinois at Urbana-Champaign, 2004.
  • Jack Meadows: Fifty years of UK research in information science. Journal of Information Science 2008 34: 403-414.
  • David Bawden: Smoother pebbles and the shoulders of giants: the developing foundations of information science. Journal of Information Science 2008 34: 415-426.
  • Tom Wilson: The information user: past, present and future. Journal of Information Science 2008 34: 457-464.
  • Blaise Cronin: The sociological turn in information science. Journal of Information Science 2008 34: 465-475.
  • Peter Willett: From chemical documentation to chemoinformatics: 50 years of chemical information science. Journal of Information Science 2008 34: 477-499.
  • Wendy A. Warr: Social software: fun and games, or business tools? Journal of Information Science 2008 34: 591-604.
  • Mike Thelwall: Bibliometrics to webometrics. Journal of Information Science 2008 34: 605-621.
  • Eugene Garfield: How I learned to love the Brits. Journal of Information Science 2008 34: 623-626. (Garfield’s Homepage)

Informationskompetenz in Schule und Unterricht

… heisst die vom Fachinformationszentrum (FIZ) Karlsruhe betreute Seite zur Informationskompetenz im Rahmen der Jugend-Forscht-Aktivitäten des FIZ. Der Schwerpunkt liegt also auf Aktivitäten im schulischen Bereich. In der Mitte finden sich von Luzian Weisel gesammelte Meldungen zu Neuigkeiten, die im Hintergrund mit Hilfe von Blog-Software verwaltet werden.

Die Aktivitäten von Luzian Weisel sind auch Teil von Aktivitäten der Arbeitsgruppe Bildung und Informationskompetenz der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI).

Information naïveté

Im Journal of the American Society for Information Science and Technology (Volume 59, Issue 7, Pages 1124-1127) ist ein interessanter Aufsatz von Roberta Brody mit dem Titel "The problem of information naïveté" erschienen. Thematisiert werden ethische Probleme nicht genügender Informationskompetenz. Angesprochen werden hier auch Informationsanbieter, die eine Naivität im Umgang mit Informationen unterstützen, wenn sie z.B. glauben machen, dass über ihr Angebot wirklich alles Wichtige zu bekommen ist.

Die Artikel des Teilthemenheftes "Perspectives on Global Information Ethics" scheinen zur Zeit im Rahmen einer PR-Aktion frei zugänglich zu sein.

This article explores the ethical dilemmas that can result from the lack of information literacy. […] Information naïveté includes both the hubris of incompetence and the misplaced pride of the inexperienced. […] The dilemma then is how information creators, aggregators, and disseminators should act, given an understanding that information naïveté may shape what appears to be credible information either by intent, by incompetence, or by circumstance.

The space between knowing of and knowing about also may be seen as a gap between information and its recipients, but is not meant to imply that the gap exists because there are receiver deficits and perfect information. Instead, it would appear that while there are information users seeking information […], there also are the information naïve who are unaware of such gaps, uninterested in bridging them, or intentionally exploiting them. We cannot fact check all of the information we receive and still make decisions and act upon those decisions in a timely manner, nor should we be expected to do so. We also should not obsess about whether we, as users, are sufficiently information literate.
Instead, we should consider pressing the producers, disseminators, and aggregators of information as well as the contributors to these products to be less information naïve; to be more questioning, less arrogant, and less possessed by the memories of past market conditions.