"Threshold concepts" statt Standards zur Informationskompetenz

Die ACRL ist dabei ihre "Information Literacy Competency Standards for Higher Education" zu überarbeiten bzw. zu ersetzen. In einer im Februar publizierten Verlautbarung wird ein erster "initial draft" eines "Framework for Information Literacy for Higher Education", also eines Rahmens für Informationskompetenz innerhalb der Hochschulbildung, zur Diskussion gestellt [Inzwischen ist beim angegbenen Link auch der 2. Draft zu finden. T.H. 11.4.2014]. Hintergrund ist der Versuch, aktuelle Entwicklungen moderner Informationsumgebungen aber auch moderne Konzepte aus dem Bereich ganzheitlicherer Betrachtungen von "information literacy" zu berücksichtigen, z.B. Begriffe wie Metaliteracy und Forschungsergebnisse der Wahrnehmung von "information literacy" in unterschiedlichsten Kontexten von Autorinnen wie Kuhlthau, Bruce, Lloyd und anderen.

Wesentlicher Teil des neuen Rahmens sind sogenannte "Threshold concepts", hier so etwas wie "Schwellen-Begriffe" oder eine Menge von "Kern-Begriffen", die notwendig sind, um sich – hier als Anwendung auf den Bereich Informationskompwetenz – in modernen Informationsumwelten zurecht zu finden. Das Nachdenken über "Threshold concepts" allgemein begann im ersten Drittel des letzten Jahrzehntes durch Publikationen der Erziehungswissenschaftler Jan H.F. Meyer und Ray Land. Hintergrund hier war auch das Nachdenken über das Prinzip "less is more" beim Erstellen von Curricula.

"Threshold concepts" haben nach Meyer und Land fünf Eigenschaften: Sie sind "transformative, integrative, irreversible, bounded; and troublesome", wobei die Eigenschaft "boundedness" mutigerweise im geplanten IL Framework gleich wieder fallengelassen wird (S. 5). "Threshold concepts" sind entscheidende Begriffe und Konzepte, von Meyer und Land auch "jewels in the curriculum" genannt, die das fachliche Verständnis nachhaltig verändern. Sie stehen damit selbst an einer Schwelle zwischen fachlichen Inhalten und pädagogisch-didaktischen Aktivitäten. Sie verweisen auf – und thematisieren damit auch – Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Ängste, die das Lernen begleiten.

(Nach: Ray Land, Glynis Cousin, Jan H F Meyer & Peter Davies: Threshold concepts and troublesome knowledge (3)*: implications for course design and evaluation. In: Rust, C. (Ed.) (2005): Improving Student Learning Diversity and Inclusivity. Oxford: Oxford Centre for Staff and Learning Development.)

Bisher im Framework formulierte "Threshold concepts" zur "information literacy" umfassen

  • Scholarship is a Conversation
  • Research as Inquiry
  • Format as Process

Dazu kommen weitere in Aufsätzen schon formulierte Beispiele:

  • Information as a commodity
  • Authority is constructed and contextual
  • Primary sources and disciplinarity
  • Metadata = Findability
  • Good searches use database structure
  • Let’s go … to the library

Als erster Eindruck lohnt sich für mich ein Nachdenken über "Threshold concepts", zielen sie doch auf das, was ich schon oft den Kern von Informationskompetenz genannt habe. Sogar eine neue Definition von "information literacy" wird vorgeschlagen (Ob dies notwendig ist, lasse ich hier offen!):

"Information literacy combines a repertoire of abilities, practices, and dispositions focused on expanding one’s understanding of the information ecosystem, with the proficiencies of finding, using and analyzing information, scholarship, and data to answer questions, develop new ones, and create new knowledge, through ethical participation in communities of learning and scholarship." (S. 4)

Zu jedem "Threshold concept" innerhalb des Frameworks (vielleicht auf Deutsch auch als Referenzrahmen zu bezeichnen, wobei dies im Informationskompetenz-Bereich von Andreas Klingenberg als Begriff genutzt wird) gehören cognitive Lernziele ("Knowledge Practicies (Abilities)"), Lernziele mit Bezug auf "metaliteracy" und zu verändernde Einstellungen ("Dispositions") sowie Vorschläge zur Überprüfung der Selbsteinschätzung durch Lernende und zur externen Bewertung des Lernerfolgs.

Sicher wirken die Gedanken der "Threshold concepts" eher abstrakt und es bleibt abzuwarten, was dies für den Bereich Informationskompetenz praktisch bedeutet. Aber Letzteres konnte man auch bei den Standards fragen. Gemeint ist von den Entwicklern des Schwellenbegriffs "Threshold concept" sicher auch kein Handlungsrahmen, um die Welt nun besser mit Informationskompetenz-Aktivitäten beglücken zu können. 😎 Aber die Nutzung von "Threshold concepts" erfordert ein "Listening for understanding", das mich an die gerade populär werdende Nutzung ethnografischer Methoden im Bibliothekswesen erinnert (Vgl. das neueste Heft der Zeitschrift 027.7 zum Thema). Wichtig wäre die Erkundung "(ideally with students) what appear to be the threshold concepts in need of mastery" (Cousin, 2006, S. 5).

Zu fragen ist aber auch, inwieweit die oben aufgeführten "Threshold concepts" wichtig für das lebenslange Lernen sind, das Informationskompetenz ja unterstützen soll, oder ob es nicht teilweise eher Begriffe sind, die aus Sicht der Profession wichtig sind. So wird das letzte der oben aufgeführten "Threshold concepts" zur Informationskompetenz im Aufsatz der Autorinnen auch gleich wieder verworfen (vgl. Townsend, L., Brunetti, K., & Hofer, A. R. (2011). Threshold concepts and information literacy. portal: Libraries and the Academy, 11(3), 853-869).

Nimmt man das neue Framework zur "information literacy" nicht nur als nützliches Werkzeug oder Instrument sondern als ein Angebot oder eine Möglichkeit, um über Erfahrungen in modernen Informationsumgebungen zusammen mit Lernenden zu reflektieren und dabei auch individuelle und fachspezifische Wahrnehmungen kognitiver und affektiver Art zu diskutieren bzw. diese zuzulassen und auszutauschen, dann ginge dies für mich in die richtige Richtung!

Hier ein paar weitere Texte zum Einlesen:

Noch eine Beobachtung aus eigener Erfahrung: Teilnehmende des an der TUHH im Wintersemester durchgeführten Kurses zum "Wissenschaftlichen Arbeiten" haben am Schluss etwa teilweise so formuliert: "Wir haben gemerkt, dass wir mit unseren Problemen und Unsicherheiten bei wissenschaftlichen Arbeiten nicht allein sind." Und dies war für manche "fast" das wichtigste Ergebnis der Teilnahme am Seminar. Ein paar Sätze aus dem kurzen Beitrag von Cousin haben mich daran erinnert:

"Teachers must demonstrate that they can tolerate learner confusion and can ‘hold’ their students through liminal states. Moreover, in our research some students expressed the fear they were the only ones among their peers who did not comprehend difficult concepts. While it became a source of huge relief to discover eventually that other students were similarly confused, this awareness needed to be shared early on in the course. Unless teachers devise activities that uncover this, many students will suffer in silence." (S. 5)