In einem längeren Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 26. Mai 2011 mit dem Titel "Liebe Marie" beschreibt Henning Sussebach die Problematik und Konsequenzen der Schulzeitverkürzung von 9 auf 8 Jahre am Gymnasium. Dort finden sich auch folgende Sätze, die mit einem Zitat des Pädagogen Andreas Gruschka beginnen (S. 17):
"Er [Gruschka] sagt: ‚Die Kinder heute lernen Organisation und Präsentation.‘ Referate, Wochenpläne – er hält das alles für eine Vorbereitung auf ein kritikloses Büroleben, in dem der Chef in der Tür steht und sagt: ‚Frau Müller, stellen Sie mir bis Freitag bitte alles über die indischen Märkte zusammen!’"
Mir ist hier mal wieder bewusst geworden, dass man nicht nur die Praxis von Informationskompetenz-Aktivitäten von Bibliotheken kritisch betrachten kann, sondern insgesamt die Inhalte von Informationskompetenz kritisch hinterfragen muss.
Es geht nicht unbedingt darum, dass aufgrund von Informationskompetenz SchülerInnen und Studierende besser in der Arbeitswelt "funktionieren", sondern darum, dass sie gefördert werden, ihre Nutzung von Informationsressourcen kritisch zu reflektieren: Warum nutzen so viel Google und welche Gefahren sind damit verbunden? Warum sind viele Datenbanken kostenlos? Wie ist die gefundene Information entstanden und wie zuverlässig ist diese?
Am Schluss eines Aufsatzes zitierte ich mal aus einem Interview mit dem amerikanischen Informationstheoretiker Ronald Day (vgl. Day, Ronald E. and Ajit K. Pyati (2005): ‚We Must Now All Be Information Professionals‘: An Interview with Ron Day. In: InterActions: UCLA Journal of Education and Information Studies, 1(2), Article 10), das genau das, was das Zitat aus der Zeit meint, thematisierte:
"We don’t need to interpret information, we don’t need to ask how it is produced, we don’t need to ask any question of its powers; we simply need to make use of it. […]
Information, in this sense, has connotations of efficiency and of productivity[…]
We are always responsible, whether we want to be or not, in a larger sense than our institutional and professional roles. That is, we are always in response to other human beings and to other beings in general. We are in-formed, that is, always within processes of being formed by our way of responding. ‚In-formation’ in this sense, as ‘affective’ and becoming is inseparable from ‘communication’ – in the sense of responding within the condition of being in-common." (S. 3 und S. 7)
Beim Bibliothekartag nächste Woche in Berlin hält Wilfried Sühl-Strohmenger aus Freiburg einen vielversprechenden Vortrag mit dem Titel "Förderung von Informationskompetenz durch Bibliotheken – Aus berufsethischer Sicht". Primär geht es hier wohl um die Problembereiche des Urheberrechts und des Plagiarismus. Aber die spannende Frage, ob durch Form und Inhalt von bestehenden Informationskompetenz-Aktivitäten eher "funktionierende", statt kritische Bürgerinnen und Bürger das Ergebnis sind, wäre für mich auch eine berufsethische!?
Hallo Thomas,
insbesondere im letzten Zitat zeigt sich, dass du in deiner Betrachtung der Informationskompetenz ähnliche Gedankengänge verfolgst, wie der anglo-amerikanische Diskurs um New Media Literacys . Als dessen „Leuchtturm“ u.a. Henry Jenkins gelten kann, der in seinem „White Paper“ so genannte New Media Literacies benennt und sie – seinen in Convergence Culture entwickelten Gedankengang folgend – vor allem als Abkehr von einem massenmedialen Konsumentendenken darstellt. In der massenmedialen Welt, in der das Individuum nur als (passiver) Empfänger gedacht ist spielen die Fragen nach dem „Wer hat die Information unter welchem Umständen erstellt“ natürlich eine wichtige Rolle – ganz unwichtig ist das immer noch nicht – aber in Zeiten des Web 2.0 ist aus dem passiven Rezipienten ein Produser (oder deutsch: Prosument) geworden, der auch selbst Medien erstellt. Gerade bei den Produkten der Remix-Culture ist der Urheber oft nicht mehr eindeutig auszumachen. Die neuen Kompetenzen beschreiben Jenkins und seine Mitarbeiter so
(Whitepaper, 19)
Also auch hier ist eine Verschiebung in Richtung Kommunikation feststellen. Ausdifferenziert stellen sich für die Autoren folgende einzelne Fähigkeiten da
Ich glaube das kommt dem, was du unter Informationskomptenz oder/und Informationskultur verstehst recht nahe – und steht auch z.B. bei Play in einem Gegensatz zu einem reinem Nützlichkeitsdenken.
Rein theoretisch könnte ich nun noch einen Bogen zu Debrays Mediologie schlagen, die alte Infokompetenz als Übermittlung und die neue als Kommunikation kennzeichnen, aber dann wird der Kommentar wirklich zu lang…
Beste Grüße (heute aus Cux)
Wolfgang