IK + KI – Informationskompetenz und künstliche Intelligenz

Aktivitäten der Informationskompetenz haben oft den Anspruch, dass mit ihr auch Fake News bekämpft werden kann, wie auch hier schon mal diskutiert wurde.

Damit kommt aber auch das Thema Künstliche Intelligenz und der Umgang mit Algorithmen im Rahmen von Informationskompetenz ins Spiel, wobei dies eigentlich auch bei einer Auseinandersetzung mit Data Literacy schon zu implizieren wäre. Somit hat sich das amerikanische „Project Information Literacy“ jetzt auch in einem Report mit Algorithmen beschäftigt.

Ein weiterer interessanter Aufsatz über Algorithmen und Informationskompetenz von Annemaree Lloyd, „Chasing Frankenstein’s monster: Information literacy in the black box society“ (Journal of Documentation, 2019, 75(6), 1475–1485, Open-Access-Version), auch im Report zitiert, ist in der Datei zum „Further Reading“ genannt.

Als einen „leading thinker“ (siehe S. 37-42 dieses Reports) kann man in Deutschland auch die Informatikerin Katharina Zweig bezeichnen, die in ihren Texten den Umgang mit Algorithmen erklärt, problematisiert und erläutert, wie man beim Umgang die Kontrolle behalten kann.

In ihrem populären Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl : wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können“ (München: Heyne, 2019) fielen mir folgende Sätze in der Einleitung (vgl. Leseprobe beim Verlag) auf, die sich auf ihr Studium der Biochemie und Bioinformatik beziehen und bzgl. der wissenschaftstheoretischen Lücke im Studium der Natur- und Ingenieurwissenschaften meine Sicht genau teilen.

„Und auch hier fehlte allerdings die Statistik. Und in keinem der beiden Studiengänge wurden wir in Wissenschaftsthoerie unterrichtet – eine völlig unverständliche und gefährliche Lücke im Lehrplan fast aller natur[- und ingenieur-]wissenschaftlichen Studiengänge, die Fakten produzieren wollen und sollen.“ (S. 12, Zusatz T.H.)

Zum Nachdenken über das Verhältnis von Informationskompetenz und Fake News regt auch Ron Day in seinem Konferenzbeitrag „Before information literacy [Or, Who Am I, as a subject?of?(information)?need?]“ an (Proceedings of the Association for
Information Science and Technology 57 (2017) 57-60, Open Access Version).

Zur Problematik von Fake News im Zusammenhang mit wissenschaftstheoretischen Fragestellungen war mir vor Kurzem eine Stelle bei Roberto Simanowski aufgefallen. In seinen Buch „Stumme Medien: Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft“ (Berlin: Matthes & Seitz, 2018, Rezension 1, Rezension 2) findet sich Folgendes:

In dieser Situation [Fake News, „Wunsch nach Gewissheiten“] hilft wenig, die >falsche< Wahrheit mit der >richtigen< zu bekämpfen oder zwei >halbrichtige< zusammenzubringen, [...] Die Konfontation mit einer Gegenmeinung führt eher zur Verhärtung, weil diese sogleich als feindlich identifiziert wird und zur Abwehr gemahnt. [...] Das Problem der Falschmeldungen und Hassreden darf sich nicht in der Frage erschöpfen, wer die Wahrheit sagt, denn das liefe auf ein antiquiertes Modell von Wahrheit hinaus, wie es sich im Faktencheck als Klärung objektiver Tatsachen nun abzeichnet. Die Rückkehr zum Positivismus [...] verfängt sich als Erkenntnismethode aber im Ja/Nein-Dualismus und erneuert so die Illusion einer objektiven Wahrheit.

[…] Zu den zentralen Begründungselementen demokratischer Herrschaft […] zählt die Einsicht, ‚dass es in Bezug auf normative Fragen – und um solche handelt es sich in der Politik – so etwas wie eine absolute, immer gültige >Wahrheit< nicht gibt. [...]' Entscheidend ist [...], das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass in politischer, ethischer und religiöser Hinsicht mehrere, durchaus einander widersprechende Positionen ihre Berechtigung haben. Die Frage ist viel grundsätzlicher zu stellen: Gibt es die Wahrheit? […]

In der Konsequenz heißt dies, dass man Falschmeldungen und Hassreden nicht nur am Computerbildschirm bekämpft, sondern auch durch eine prinzipielle Diskussion der Frage, was Wahrheit ist und wie wir mit unterschiedlichen Vairianten davon umgehen. Die Fähigkeit, die dieser Ansatz vermitteln will, ist eine doppelte Herausforderung, ohne die Online-Kommunikation auf Dauer nicht funktionieren wird: Man muss sich selbst gegenüber skeptisch sein und der Gegenposition einräumen, auch recht zu haben. […] Es gilt, sich auf die Argumente des anderen wirklich einzulassen, […]“ (S. 71-73)

Und auch in den sogenannten „harten“ Wissenschaften ist Wahrheit nichts Endgültiges, sondern in der Regel nur etwas Vorläufiges bzw. umfasst mit eine gewissen Wahrscheinlichkeit versehene "Tatsachen" (vgl. auch den letzten Teil des oben schon verlinkten Beitrages zu Fake News und Informationskompetenz in diesem Blog). Wissenschaft hat auch mit Unsicherheit zu tun (vgl. das Zitat von Peter Høeg im unteren Teil eines Beitrags in diesem Blog).

Es gibt eben im wirklichen Leben nicht nur die Unterscheidung zwischen 0 oder 1, bzw. falsch oder wahr, was ja eine Grundlage für die Informatik darstellt, sondern auch mehrschichtige Differenzen, Vielfalt und Komplexität. Hier kommt das ins Spiel, was Thomas Bauer in seinem kleinen Buch "Die Vereindeutigung der Welt: Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt" Reclam, 1980) Ambiguitätstoleranz nennt.