Das im letzten Beitrag schon erwähnte Lehrbuch für Lehren und Lernen mit Technologien (#L3T) enthält einen spannenden Beitrag von Andrea Belliger, David J. Krieger, Erich Herber und Stephan Waba zur "Die Akteur-Netzwerk-Theorie [ANT]- Eine Techniktheorie für das Lernen und Lehren mit Technologien".
Diese vom französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour mit entwickelte Theorie bzw. Methode weist auch nicht-humanen Akteuren wie Medien, Maschinen usw. eine wichtige Rolle bei der Kommunikation im Bereich Technik und Gesellschaft zu. Diese Theorie scheint damit auch für den Bildungsbereich nutzbar zu sein.
Wenn Menschen, Technologien aber auch Artefakte aus dem Bildungsumfeld als handlungstragende Akteure im technologiebasierten Unterricht verstanden und in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden, gelingt es uns, die Realitäten des Unterrichts- und Lernverhaltens zu verstehen und in didaktischen Einsatzszenarien zu berücksichtigen. Modellhafte Akteur-Netzwerke könnten dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die sozialen Wirklichkeiten des Zusammenspiels von Akteur-Netzwerken in der Bildungspraxis zu erzielen.
Im Bereich der Informationswissenschaft ist Latour bisher eher wenig rezipiert worden. Im Buch "Critical theory for library and information science : exploring the social from across the disciplines", herausgegeben von Gloria J. Leckie, Lisa M. Given und John Buschman (Santa Barbara, Calif : Libraries Unlimited, 2010) ist Latour ein Kapitel gewidmet: "Bruno Latour: documenting human and non-human associations" von Will Wheeler. Latours ethnografische Feldstudien in naturwissenschaftlich-technischen Laboren zeigten, wie wissenschaftliche Fakten als "Tat-Sachen" auch über wissenschaftliche Artikel – ein Beispiel für von Latour sogenannte "immutable and combinable mobiles" – entstehen, Verbreitung finden und sich durchsetzen. Die in wissenschaftlichen Artikeln beschriebenen Forschungsergebnisse repräsentieren immer eine über mehrere Zwischenstufen vermittelte Realität.
Besonders interessant sind daher auch die Vorstellungen Latours zu Begriffen wie Information und Wissen. Wissen wird nur unter Berücksichtigung seines Entstehenszusammenhangs und an einer Stelle als "Vertrautheit mit Ereignissen, Orten und Menschen" beschrieben. Um dieses Wissen zu verbreiten, damit Wissen auch aus irgendeiner Entfernung möglich ist, muss es verschriftlicht werden, wodurch es im Optimum stabiler wird, also erhalten bleibt. Gleichzeitig aber wird es auch mobiler und kann damit von anderen wahrgenommen werden. Latour definiert dann in seinem Buch "Science in action" (1987) den Begriff Information (S. 243):
"This compromise between presence and absence is often called information. When you hold a piece of information you have the form of something without the thing itself. […] As we know, these pieces of information (of forms, or paper forms, or inscriptions, […]) can be accumulated and combined in the centres."
Zu diesen Zentren gehören bei Latour auch Bibliotheken!