Nachdenken über Information, Kommunikation und Wissen

"Information" ist seit langem ein vielfältig und oft benutzter Begriff im Alltag. Dessen Bedeutung erscheint dabei so vielfältig wie die Kontexte von dessen Benutzung. Dies ist die veränderte Online-Kurzfassung einer Besprechung, die vor kurzem auch gedruckt erschienen ist (Auskunft 34 (2014) 317-324). Behandelt wird das Buch „Theories of information, communication and knowledge : a multidisciplinary approach„, herausgegeben von Fidelia Ibekwe-SanJuan und Thomas Dousa (Dordrecht: Springer, 2014). Es umfasst Vorträge zu einem Kolloquium mit dem Titel “Colloque sur l’épistémologie comparée des concepts d’information et de communication dans les disciplines scientifiques (EPICIC)“ im Jahre 2011.

Anspruch des Bandes ist ein “multidisziplinärer” Ansatz, “Information” im Zusammenhang mit zwei weiteren wichtigen Schlagworten unserer Zeit, Kommunikation und Wissen, zu diskutieren. Begriffe definieren sich innerhalb von Theorien aber auch in der Praxis oft nur im jeweiligen Gebrauch und jeweiligen Bezug zueinander. Ein eindeutiger Gebrauch oder gar eine Definition der drei Begriffe ist nicht absehbar, wie auch in den Beiträgen dieses Bandes deutlich wird. Insofern greift das Hervorheben der drei genannten Begriffe noch zu kurz. Mindestens drei weitere wären hier zu nennen. In Zeiten von „Big Data“ sind Begriffe wie Daten, Medien und Dokumente genauso wichtig wie Information, Kommunikation und Wissen. All hier genannten Begriffe sind nur in einer "trans- und metadisziplinären" Sicht, welche der Band anstrebt, in ihrem Bedeutungsgefüge zu erfassen.

Die Diskussion um den Informationsbegriff ist einerseits geprägt von Versuchen, einheitliche Informationstheorien zu schaffen. Die ersten drei Beiträge von Søren Brier, Wolfgang Hofkirchner und Luciano Floridi bieten jeweils eher eine sehr einheitliche Sicht auf den Informationsbegriff, was natürlich die Gefahr erhöht, die eigene Sicht zu verabsolutieren und andere Sichten nicht mehr wahrzunehmen, wie Andrew P. Carlin in einer Rezension kritisch bermekt (Journal of the Association for Information Science and Technology 65, Nr. 6 (2014): 1299–1302, S. 1300). Andererseits werden unterschiedliche Informationsbegriffe teilweise pluralistisch und gleichberechtigt nebeneinander diskutiert. Auch Marcia J. Bates hebt in ihrem einschlägigen Enzyklopädie-Artikel das vielfältige Verständnis von Information hervor. Eine philosophische Sicht bietet der Eintrag „Information“ von Peter Adriaans in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2013 Edition).

Über die Verarbeitung von Information kann Wissen erzeugt werden, aus Wissen kann aber auch Information für andere stehen. Geht man davon aus, dass Information und Wissen z.B. in solcher Weise zusammenhängen, kommt man bei theoretischen Überlegungen zu Information und Wissen ohne erkenntnistheoretische (epistemologische) Betrachtungen nicht aus. Andererseits bin ich vor Jahren schon auf ein lohnenswertes Review von David Bade zu einem Buch von Roy Harris gestoßen, das aus linguistischer Perspektive gar von einem Ende traditioneller Epistemologie spricht. Das Review enthält neben einer ausführlichen Zusammenfassung des Buches von Harris auch einen Beitrag zum Informationsbegriff selbst, wenn es eine Auffassung von Information als "knowledge reduced to a sign awaiting its interpreter" hervorhebt und es dazu heißt: "Instead of definitional chaos we have information theoretically defined as that publicly available sign created for communicational purposes." (David Bade, "After epistemology, Roy Harris [book review]" Journal of Documentation 67 (2011): 194–200. S. 199). Auch Winfried Nöth bringt in seinem Beitrag im hier besprochenen Buch eine semiotisch-linguistische Perspektive auf das Informations-Kommunikations- und-Wissens-Begriffsgefüge zur Geltung.

Der zweite Teil des Buches bietet eher offene Ansätze, in denen sich die Vielfalt unterschiedlichster Theorien spiegelt. Im Sinne eines theoretischen Pluralismus werden von Lyn Robinson und David Bawden die Informationsbegriffe unterschiedlicher Fachgebiete und deren Unterschiede dargestellt. Am Ende bleibt es offen, ob es sich lohnt zu versuchen, diese Unterschiede zu überbrücken oder ob der Erkenntnisgewinn aufgrund der bestehenden Unterschiede nicht fruchtbarer und nützlicher ist. So ist denn auch eine Stärke des Buches, dass es für denjenigen, der die Diskussion um den Informationsbegriff nicht ständig im Detail verfolgt, auf eine Vielzahl weiterer wichtiger Beiträge auch außerhalb der Informations- und Bibliothekswissenschaften verweist bzw. diese diskutiert. So weist z.B. Jonathan Furner auf die beiden einschlägigen Open-Access-Zeitschriften hin, die regelmäßig Beiträge zur Diskussion um den Informationsbegriff bieten:

Furner (S. 165) zitiert auch einen Aufsatz von Agnès Lagache („What is information?“ In: Signals and images: Selected papers from the 7th and 8th GIRI meeting …, hrsg. von Madeleine Bastide, 279–291, Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 1997) mit folgendem Satz: „The world of information begins when dealing not with the thing, but with a representation of things.“ Information bezieht sich hier also immer auf Vorhandenes bzw. damit auch Vergangenes. Für mich ist Information als Teil von Erkenntnis aber nicht nur Repräsentation, sondern umfasst immer auch das Potential von Transformation. Es kommt also eine Zukunfts-Komponente mit dazu, die der Philosoph Ernst Bloch so beschreibt: "[…] Erkenntnis ist folglich nicht nur informierend über bereits Formiertes, sie informiert ebenso ihr Objekt über das darin noch nicht Formierte, sie wird aktive In-formation eines Wirklichen selbst." (Ernst Bloch: Erkenntnis als Schlüssel und Hebel des Wirklichen. In Tendenz – Latenz – Utopie, 117–121, Gesamtausgabe / Ernst Bloch Erg.-Bd. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978, S. 120). Letztlich geht dies auch in die Richtung des Verständnisses von Information als „Wissen in Aktion“, das in der deutschen Informationswissenschaft – z.B. von Rainer Kuhlen („Information – Informationswissenschaft.“ in Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. 6. Ausg., 1–24, hier S. 4. Berlin: de Gruyter, 2013) – bevorzugt wird.

Repräsentation, als ein Satz zu einem Sachverhalt, als eine Idee zu oder als ein Bild einer Sache, kann Information sein. Die Frage ist aber, ob beim Erstellen dieser Repräsentation nicht gleichzeitig das ursprüngliche Ding dieser Repräsentation, die “reale Sache“, verändert bzw. interpretiert wird. Ist ein Gedanke immer noch derselbe, wenn er von jemand anderem gedacht wird? Wird nicht eine Sache oder ein Gedanke beim Informieren bzw. Nachdenken auch interpretiert und damit auch verändert, also transformiert? Umfasst damit Information nicht auch Transformation und Veränderung? Mit solchen Gedanken kann Information auch auf seinen etymologischen Ursprung des Begriffes in Form von Bildung zurückgeführt werden (vgl. Rafael Capurro), womit man dann z.B. Informationskompetenz als wichtigen Teil von allgemeiner Bildung oder nach Lars Müller gar als „informationspolitische[s] Programm der (persönlichen) Aufklärung bzw. der Ausbildung einer inneren Einstellung“ ansehen kann.

Birger Hjørland diskutiert in seinem Beitrag die in der Entwicklung der Informationswissenschaften bisher auftauchenden Begriffe für diese Disziplin und ihre Nachbargebiete, wie Library Economy, Library Science, Bibliography, Documentation, Information and Communication Technology, Information Science(s) / Informations Studies / Information Science and Technology, Informatics, Library and Information Science, Information Management, Knowledge Management und Information Systems. Hjørland weist neben den am Anfang dieses Textes genannten auf weitere Kernbegriffe der Informationswissenschaften hin: „Aboutness“, Begriff, Fachgebiet, Relevanz, Sammlung, Sprache, Zeichen u.a. Für Hjørland beschäftigt sich Informationswissenschaft vor allem mit “knowledge production in society and how this knowledge is materialized in documents (including digital documents) and how it is organized, labeled, and managed in order to serve different groups and individuals.” (S. 225) Hier kommt dann auch die Förderung von Informationskompetenz in den Blick, die übrigens im "Handbook of information science" von Wolfgang G. und Mechtild Stock (Berlin: de Gruyter, 2013) sogar ein eigenes Kapitel bekommt.

Die letzten drei Aufsätze sind Fallstudien zur Anwendung von Informationsbegriffen z.B. bei der Deutung des Informationsgehaltes visueller Abbildungen. Dabei fällt der letzte Beitrag vom Mitherausgeber Thomas Dousa (“Documentary languages and the demarcation of information units in textual information: The case of Julius O. Kaiser’s Systematic Indexing”) mit seinem historischen Bezug noch mehr aus dem Rahmen. Ausgangspunkt hier ist ein Beispiel aus der Geschichte des Informationswesen in der Person von Julius Otto Kaiser, eines Zeitgenossen von Paul Otlet und Wilhelm Ostwald. Vor dem Hintergrund der Indexierung von Textdokumenten zerlegte Kaiser diese in kleinere Einheiten von Information und kommt nach Dousa (S. 300ff) damit dem monographischen Prinzip Otlets nahe, das ja auch von Karl Wilhelm Bührer und Wilhelm Ostwald propagiert wurde.

Eines der Vorzüge des Werkes ist sicherlich auch, dass das französische Sprachgebiet im Bereich der Informationsphilosophie durch die französische Mitherausgeberin, die selbst eine Monografie zur Informationswissenschaft vorgelegt hat (Fidelia Ibekwe-SanJuan, La science de l’information: Origines, théories et paradigmes. Paris: Lavoisier, 2012), berücksichtigt wird. Auch die zweite französische Autorin des Buches hat einen Aufsatz zum Informationsbegriff in einem Band mit Übersichtsbeiträgen aus der französischen Informationswissenschaft publiziert: Sylvie Leleu-Merviel und Philippe Useille, „Some revisions of the concept of information.“ in Information science, hrsg. von Fabrice Papy, 1–32 (London, Hoboken, N.J.: ISTE; Wiley, 2010).

Am Ende ihrer Einleitung beschreiben die beiden Herausgeber aus ihrer Sicht die Gemeinsamkeit bezüglich des Informationsbegriffes bei den Autoren des Bandes. Information ist nicht nur einfach eine Repräsentation oder von der anderen Seite her gesehen eine reine Konstruktion des die Information aufnehmenden "kognitiven Agenten", sondern eine Mischung, "a synthesis of data grounded in human interaction with the world and creative interpretation of the meaning of that data on the part of a cognitive agent qua indivudual and social being." (S. 19) Der Band bietet gute Anknüpfungspunkte und vielfältige Anregungen für die weitere Lektüre, um das Bedeutungsgefüge von Information, Kommunikation und Wissen zu erfassen.