Das Wort "kritisch" stammt ja vom Griechischen ab (krínein = scheiden, trennen, unterscheiden, entscheiden, urteilen) und gerade das "Unterscheiden" bzw. "auf Unterschiede achten" ist beim Thema Informationskompetenz eine wichtige Aufgabe. Unterschiede im Kontext und in der Wahrnehmung unterschiedlichster agierender Menschen und Institutionen mit unterschiedlichsten Themen gehören zu diesem Thema. Gerade im Themenfeld von Information und Kommunikation spielen solche Unterschiede wie die zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Stoff und Form, zwischen Stabilität und Veränderung, zwischen Repräsentation und Transformation bzw. Interpretation sowie zwischen Technik und Kultur eine große Rolle.
Die kanadischen Autoren Coleen Addison und Eric Meyers (Perspectives on information literacy: a framework for conceptual understanding. Information research 18 (2013) 3) unterscheiden verschiedene Sichten auf Informationskompetenz unterschieden:
- "Acquistion of ‚information age‘ skills" (ACRL, Big6 Skills, …) – dies das aus meiner Sicht in Bibliotheken dominierende Verständnis
- "Cultivation of habits of mind" (Kuhlthau, Dervin, …)
- "Engagement in information-rich social practices" (Multiliteracies, Lloyd, …)
Natürlich gibt es zwischen diesen Perspektiven Übergänge, aber von oben nach unten werden diese Sichten immer ganzheitlicher gedacht. Die Autoren haben in ihrem Artikel auch deren Vorteile, Herausforderungen und – besonders interessant – auch deren Implikation auf die Rolle von „information professionals“ reflektiert.
Karsten Schuldt hat in seinem Beitrag "Anmerkungen zur Information Literacy" im Libreas-Blog auf mehrere Bücher aus dem amerikanischen Verlag Library Juice Press aufmerksam gemacht, die Information Literacy kritisch reflektieren, etwas, was ja auch dieser Blog versucht. Die kritische Sicht der von Karsten Schuldt diskutierten Aufsätze implizit die Berücksichtigung kritischer Pädagogik (z.B. basierend auf Paolo Freire und Henry Giroux). Er übernimmt aber auch die interessante Frage "Ist die Information Literacy neoliberal?", die durchaus zur ersten oben genannten Perspektive auf Informationskompetenz passt.
Hier folgen noch ein paar weitere interessante Beiträge zur "critical information literacy", die mir in letzter Zeit aufgefallen sind:
- Cultural Shifts: Putting Critical Information Literacy into Practice von Alison Hicks (Communications in Information Literacy 7(1), 2013) – Der Aufsatz hebt inhaltliche Überschneidungen zwischen dem Studium von Fremdsprachen und dem Erwerb kritischer Informationskompetenz hervor, siehe auch die Verwendung des Begriffes Kultur im Titel. Auch die Sozialisierung uund das Einarbeiten in Informations- und Kommunikationsprozesse in einer Fach-Disziplin ist für mich eher ein kultureller Vorgang.
- Die Britin Laureen Smith hat neben ihrem Blog in letzter Zeit eine Reihe von Aufsätzen und Präsentationen zu kritischer Informationskompetenz veröffentlicht:
- Towards a model of critical information literacy for the development of political agency. Journal of Information Literacy 7(2), December 2013.
- Building social justice through library and information science. (2012). Paper for AHRC Justice and the Arts Symposium.
- A Critical Approach to Information Literacy – Focus Session at Umbrella 2013, 3rd July 2013.
- Das britische Projekt "The 5 Resources Model of Critical Digital Literacy" unterscheidet basierend auf einem Modell zur "critical literacy" von Freebody, P. und Luke, A. (Literacy as engaging with new forms of life: the four roles model, in G.Bull and M.Anstey (Eds.) The Literacy Lexicon, 2nd edn. NSW: Pearson Education Australia, 2003, pp. 51–66) fünf Dimensionen der "critical digital literacy": Decoding (Code breaker), Meaning making, Using (Text user), Analysing (Text critic) und Persona ("to accommodate the social and identity relations of the contemporary digital environment").
- Critical Literacy als Kern – Amanda Hovious: Promoting Multiple Literacies (Principles of New Librarianship)