Ostwald und die Brücke in den Nachrichten aus der Chemie!

Ein Nachtrag:

In Heft 06/2006 der Nachrichten aus der Chemie wurde ein Aufsatz von Horst Remane mit dem Titel Wilhelm Ostwald und die „Organisation der geistigen Arbeit“publiziert.

Kurz nach der Verleihung des Nobelpreises für Chemie hat Wilhelm Ostwald mit dem „Brücke-Institut“ und Ansätzen wie „Weltformat“ und „Weltregistratur“ versucht, Standardisierung, Archivierung und Weitergabe menschlichen Wissens voranzutreiben.

Im gleichen Heft erschien auch ein kleiner Beitrag von mir mit dem Titel „Helfer im Informationsdschungel“ (Nachrichten aus der Chemie 54(2006)719-720).

Das Zusammentreffen dieser beiden Artikel veranlasste mich zu einem Leserbrief, der in einem der nächsten Hefte auch publiziert wurde:

Leserbrief für die Abteilung „Korrespondenz“ der Nachrichten aus der Chemie

Das mein Beitrag zum Alltag eines Informationsspezialisten in einer Universitätsbibliothek im gleichen Heft wie der informative Bericht von Horst Remane über Wilhelm Ostwald und die „Brücke“ [Nachr. Chem 2006, 54, 645] erschien, hat durchaus symbolischen Charakter, hat doch Ostwald schon 1909 erkannt, dass es immer notwendiger sei, „den Nachrichtendienst in der Wissenschaft … so auszubilden, dass er von besonders geschickten, weil in solchen Arbeiten geübten Mitarbeitern geleistet wird.“ [Energet. Grundlg. d. Kulturwiss., S. 175]

Zu wenig findet für mich in Remanes Beitrag Berücksichtigung, dass Ostwalds Ideen auch Vorläufer hatten und gleichzeitig Teil einer Art bibliographischer oder Dokumentationsbewegung waren, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund des gewaltigen Literaturwachstums besonders in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern ausbildete [siehe zum folgenden T. Hapke: Ordnung, Fragmentierung und Popularisierung: Wilhelm Ostwald zur wissenschaftlichen Information und Kommunikation. S. 63-78. In: Wissenschaftstheorie und -organisation : Vorträge zu dem Symposium anlässlich des 150. Geburtstages. Großbothen, Mitteilungen der Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft, Sonderheft 19, 2004].

So gründete der Belgier Paul Otlet 1895 in Brüssel ein Institut International de Bibliographie, um alles Gedruckte auf Karteikarten bibliographisch zu erfassen. Brücke-Mitbegründer Karl W. Bührer initiierte 1905 eine Internationale Monogesellschaft. Diese stellte sogenannte Monos her, kleine Karten in standardisiertem Format, eine Art Reklame-Bildchen – sicher ein eher amüsantes Detail. Im gleichen Jahr hatte Hermann Beck in Berlin ein Internationales Institut für Techno-Bibliographie ins Leben gerufen. In den zwanziger und dreissiger Jahren arbeitete das von Jean Gérard mitbegründete „Maison de la Chimie“ in Paris als eine Art französische Brücke der Chemie. Schon 1914 hatte Ostwald seine Idee eines Internationalen Instituts der Chemie in der Zeitschrift Science weltweit bekanntgemacht.

Eine kulturgeschichtliche Einordnung solcher Weltprojekte lieferte gerade der Medienhistoriker Markus Krajewski [Restlosigkeit : Weltprojekte um 1900. Fischer, 2006], der sich auch intensiv mit Ostwald auseinandersetzt.

Ein weiteres wenig bekanntes Detail in der Geschichte des modernen Informationswesens stellt die Tatsache dar, dass einer der Doktoranten in Ostwalds Institut in Leipzig, der Photochemiker und Erfinder Emanuel Goldberg, schon im Jahre 1931 eine „Statistische Maschine“ genannte Dokumenten-Suchmaschine vorstellte, bei der auf einem Mikrofilm gespeicherte Dokumente mit Hilfe einer photoelektrischen Zelle und definierten Such-Codes gesucht und gefunden werden konnten [dazu Michael Buckland: Emanuel Goldberg and his knowledge machine : information, invention, and political forces. Libraries Unlimited, 2006].

Weitere Links zur Geschichte wissenschaftlicher Information und Kommunikation bietet die Webseite www.tu-harburg.de/b/hapke/infohist.htm

Thomas Hapke, Lüneburg