Nach einem Überblick zum Thema Informationskompetenz in Deutschland 2010 folgt hier nun eine Einschätzung der Situation nach dem Jahr 2011. Themen sind:
- Politisches
- Verständnis von Informationskompetenz
- Regionales aus dem Bereich GBV
- Discovery-Systeme
- ECTS-Kurse
Politisches
Das Positionspapier vom Anfang des Jahres 2011 mit dem Titel "Medien- und Informationskompetenz – immer mit Bibliotheken und Informationseinrichtungen! Empfehlungen von Bibliothek & Information Deutschland (BID) für die Enquete-Kommission ‚Internet und digitale Gesellschaft‘ des Deutschen Bundestages" war ein positives Beispiel für branchenübergreifende Aktionen von Bibliothekssparten und Informationsdienstleistern. Mit der gerade abgeschlossenen Ausschreibung einer Kommission Informationskompetenz des Deutschen Bibliotheksverbandes e. V. und des Vereins Deutscher Bibliothekare e. V. fällt man hoffentlich bezüglich der Zusammenarbeit nicht wieder zurück.
Aber auch das Konzept Informationskompetenz, das der ehemalige DGI-Präsident Arnoud de Kemp in einem Interview vertritt vertritt, wirkt auf mich eher wie von gestern: Informationskompetenz als Fachkompetenz von Experten, denen niemand das Wasser reichen kann. So kommt man mit dem Begriff aus meiner Sicht nicht weiter! Hier ist sichtbar, dass eine Branche um ihr Überleben kämpft. Aber dies geht vielen Dienstleistungs-Berufen so. Am besten und am zugespitztesten drückt dies für mich immer Gunter Dueck aus.
Natürlich wird von BibliothekarInnen und Informationsleuten das Thema Informationskompetenz auch genutzt, um die eigene Bedeutung zu betonen, es darf nur nicht dazu kommen, zu glauben, dass damit der eigene Berufsstand gerettet werden kann.
Verständnis von Informationskompetenz
Eine schon etwas ältere Präsentation des Oldenburger Kollegen Oliver Schoenbeck trifft auch mein Verständnis von Informationskompetenz: Die Förderung von Informationskompetenz ist nicht nur als Frage von Schulungen sondern als ganzheitlichen Ansatz zu sehen. Dieser impliziert, Kunden durch Marketing, gute Nutzer-Oberflächen, Bibliotheks-Webseiten sowie ansprechende Lernräume und AUCH durch Lernangebote dabei zu unterstützen, ihre Informationskompetenz zu verbessern. Zudem darf Informationskompetenz nicht nur als Bibliothekskompetenz verstanden werden, sondern als Teil von Schul-, Hochschul- und Erwachsenen-Bildung, wie es z.B. der Arbeitskreis Bildung und Informationskompetenz der DGI vormacht.
Insgesamt kommt aus deutschen Bibliotheken für mich zur Zeit nicht viel Neues zum Thema Informationskompetenz. Wenn doch, kommt dies eher von kritisch zum Thema eingestellten KollegInnen wie Anne Christensen und Lambert Heller. Schaut man sich die Beiträge beim Bibliothekartag zum Thema Informationskompetenz an, bin ich eher enttäuscht, kein Vergleich zu den Beiträgen bei der britischen Konferenz LILAC, wo allein die Abstracts vielfältige Anknüpfungspunkte zur weiteren Reflektion spannender IK-Themen geben. Hier folgt eine Auswahl von Vortragstiteln:
- "This house believes that librarians and their services are the barrier to information literacy"
- "The roving librarian: keep taking the tablets"
- "Digital literacies as a postgraduate attribute"
- "Getting creative with research: a case study approach to information literacy teaching at UCA"
- "Web scale discovery and information literacy: competing visions or mutual support?"
Regionales aus dem Bereich des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV)
Bei der letzten Sitzung der AG Informationskompetenz des Gemeinsamen Biblioteksverbundes (GBV) im Februar 2012 wurden z.B. folgende Erfahrungen thematisiert, die aus meiner Sicht allgemeiner Geltung relativ nahekommen:
- Von sich aus kommen Studierende nie!
- Hoher Verwaltungsaufwand für Organisatorisches bei Kursen z.B. mit Credit Points
- Curriculare Verankerung hängt oft an Personen
- Als Angebote für Erstsemester (nicht nur) in den Natur- und Ingenieurwissenschaften etwas Niedrig-Schwelliges anbieten!
- Pragmatisches Vorgehen: Ein Angebot ausprobieren und wenn es nicht funktioniert, wieder einstellen.
- Literaturverwaltungskurse scheinen allgemein gut anzukommen. (Für die TUHH gilt dies zumindest für wissenschaftliche Mitarbeitende, die aber auch als Multiplikatoren in der Lehre wirken.)
- Auch andere Kooperationen suchen: Studienzentren, Fachschaften, Career-Service, …
Discovery-Systeme
Das Thema Discovery-Systeme (bzw. Web-2.0-Kataloge) wie VuFind, Primo, Summon usw. scheint noch selten zusammen mit Informationskompetenz gedacht zu werden! Diese Entwicklung empfinde ich selbst einerseits als sehr positiv, andererseits aber auch potentiell problematisch. Von den Kosten für die vermeintlich besseren kommerziellen Systeme ganz zu schweigen.
In der Tat ist für mich diese Entwicklung im Augenblick sehr spannend: Wie verändert sich durch den Einsatz von Discovery-Systemen Informationskompetenz? Wie abhängig ist Informationskompetenz von den verwendeten Nutzer-Oberflächen? Wie verhindern hinter den Oberflächen liegende Gegebenheiten (Indexierung, grundlegende Datenstruktur und -verknüpfungen, Katalogiserungs-Regelwerke usw. ) ein optimales Recherche-Ergebnis bzw. was muss man an eigentlich unnötiger Informationskompetenz aufbringen, um aus den Systemen das Beste rauszuholen?
ECTS-Kurse
Noch eine interessante Beobachtung: Eine Kollegin in einem größeren Universitäts-Bibliothekssystem berichtete mir von ihrem benoteten Pflicht-Kurs „Informationskompetenz“ als Teil eines größeren Moduls für Bachelor-Studierende mit Vorlesung und Übungen. Die Studierenden finden den Kurs zunehmend unnötig bzw. langweilig. Sie glauben z.B. schon alles zu können und benötigen manche Inhalte erst später im Studium. Damit bleiben Informations- und Auskunftsbereiche, wo Studierende sofort und einzeln bei auftretenden Fragen und Problemen ausführlicher betreut werden können, eigentlich wichtig. Gerade bei individuellen Anfragen sind die Rat Suchenden am zugänglichsten für das Thema Informationskompetenz. Leider sind diese Anfragen wohl immer seltener an den Auskunftsplätzen!
In den Bibliotheken des GBV ist es nicht so häufig, dass man als Bibliothek einen ECTS-Kurs anbieten kann. Wenn es die eigenen Kapazitäten erlauben, sollte man diese aber aus meiner Sicht unbedingt pflegen. Wichtige Inhalte, um das Ganze attraktiver zu machen, wären z.B. auch Literaturverwaltungsprogramme, Open Access und wissenschaftliche Zeitschriften, Linking-Dienste, alles nach dem Motto "Werden Sie nach Login oder Kreditkarte gefragt, denken Sie an die Bibliothek!"
Insgesamt halte ich allerdings reine Kurse zur Förderung von Informationskompetenz oder auch zum zum wissenschaftlichen Arbeiten eher wirklich für zu langweilig. Man braucht eigentlich immer ein Thema zu dem man Informationen sucht bzw. worüber man wissenschaftlich arbeitet. Ich fände ein Konzept sinnvoller, wo man solche Module zu einzelnen Themen wissenschaftlichen Arbeitens an passender Stelle in Lehrveranstaltungen integriert. Wenn diese Lehrveranstaltungen problemorientiert aufgebaut sind und Studierende dort durch Seminararbeiten, Poster und/oder Vorträge ein bestimmtes Thema bearbeiten müssen, sind diese fast ‚automatisch‘ gezwungen, ‚wissenschaftlich zu arbeiten‘. Und genau an diesen Punkten, wären passende Module sinnvoll.
In der Verfahrenstechnik bin ich z.B. jedes Jahr in der Eingangsveranstaltung zum Projektierungskurs dabei und geben einen Überblick zur Fachinformation der Verfahrenstechnik. Anschliessend können die Teilnehmenden dies direkt bei ihrer 3-wöchigen Projektarbeit nutzen. Auf die TUHH bezogen eignen sich wahrscheinlich aber auch manche Lehrveranstaltungen aus dem nicht-technischen Wahlpflichtbereich für eine explizite Behandlung des Themas "Wissenschaftliches Arbeiten" bzw. "Finden von Fachinformation". Diese Veranstaltungen haben Themen wie Wissenschafts- und Technikgeschichte, Wissenschaftstheorie und Technik, Kultur und Technik, Gesellschaft im Wandel, Ethics for Engineers, Soziologie des Internets oder Humanities and Engineering.
Pingback: Was ist mit Informationskompetenz gemeint? | Basedow1764's Weblog
Liebe Anne, danke für Deinen Ergänzungen! 😎
Lieber Thomas, danke für die Zusammenfassung und die Impulse! Ich finde auch, dass wir die Themen Discovery und Informationskompetenz zusammen denken sollten (anstatt bei Discovery ob der vielfältigen Varianten und kniffeligen Probleme in Schockstarre zu verfallen). Einen guten Ansoß dazu hat Oliver Kohl-Frey letztes Jahr mit seinem Vortrag „Zwischen Informationskompetenz und Informationsleichtigkeit“ gegeben.
Was ich als Trend noch sehe ist die Zusammenarbeit von Bibliotheken und anderen „Beratungs-„Akteuren an Hochschulen, ganz konkret zum Beispiel bei den Langen Nächten der aufgeschobenen Hausarbeiten. Hierbei sind Bibliotheken in der Regel nicht nur Gastgeberinnen, sondern nutzen das Format meinem Eindruck nach gut, um zu zeigen, welche Beratungs- und Unterstützungsangebote es gibt und um diese erlebbar zu machen. Im Nicht-ECTS-Bereich gibt es damit und auch darüber hinaus neue und interessante Formate für die an sich langweilige Informationskompetenz-Veranstaltung, finde ich! Dass es dazu aber in Hamburg nichts zu hören geben wird, ist tatsächlich sehr bedauerlich.